PVC – fast wie neu
Ein neues Verwertungsverfahren für PVC erzeugt aus alten Kabeln, Belägen oder Dachbahnen hochwertiges Regenerat. Damit wachsen die Chancen, dass die Industrie ihre gegenüber der Politik zugesagten Recyclingquoten erfüllen kann.
Auf dem Papier ist alles klar. Bis 2010, so verspricht die europäische PVC-Industrie in ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung vom März 2000, werden jährlich mindestens 300 000 t PVC-Abfälle rohstofflich oder werkstofflich verwertet werden.
Die bisherige Erfahrung mit der Getrenntsammlung alter Fensterprofile, Rohre oder Dachbahnen zeigt aber zwei hohe Hürden auf dem Weg dorthin: Zum einen wird nur ein geringer Teil der PVC-Abfälle überhaupt erfasst. Der größte Teil landet nach wie vor auf der weitaus preiswerteren Deponie. Zum anderen sind viele Produkte wie Dachbahnen, Fußbodenbeläge, Kabel oder auch Autoteile ein Verbund von PVC mit Fasern, Metall oder anderen Kunststoffen. Solche Verbunde waren bisher schwer zu recyceln.
In Zukunft könnte das anders sein. Mit „Vinyloop“ hat die belgische Solvay-Gruppe jetzt ein Verfahren entwickelt, das PVC-Verbunde verwerten kann und saubere sowie hochwertige Regenerate liefert.
Vinyloop nutzt eine spezielle Eigenschaft des PVC: seine selektive Löslichkeit. „Dadurch ist eine nahezu vollständige Abtrennung von anderen Materialien möglich. Die Eigenschaften des Regenerats sind denen von Frischware ebenbürtig“, so Dr. Reinhard Saffert, Leiter der Abteilung Anwendungstechnik bei der Solvay-Tochter Solvin in Rheinberg. Vergangene Woche nahm Solvin gemeinsam mit drei italienischen Partnerfirmen am Solvay-Standort im italienischen Ferrara die erste großtechnische Vinyloop-Anlage in Betrieb. In der rund 12 Mio. ! teuren Anlage sollen jährlich aus rund 15 000 t Kabelabfällen 10 000 t PVC-Regenerat gewonnen werden.
Die Aufarbeitung ist diskontinuierlich und erfolgt in drei Stufen. Je 2 t der angelieferten Altkabel – auf 3 mm bis 4 mm Größe klein gehackt und weitgehend vom Kupfer befreit – werden in einem geschlossenen Kessel in 140 0C heißes Lösemittel eingerührt. Nach 20 Minuten bei 3 bar hat sich das PVC zu rund 99 % gelöst, Metall, Gummi und andere Kunststoffe bleiben dagegen im Sumpf zurück.
Der Kniff besteht in der speziellen Lösemittelmischung: Sie besteht zu 85 % aus Methylethylketon (MEK), einer organischen, chlorfreien und biologisch abbaubaren Flüssigkeit, die aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften nur das PVC auflöst. Dem MEK werden kleinere Mengen anderer Lösemittel zugesetzt, um beispielweise die vorzeitige Ausfällung von PVC durch eingetragenes Wasser zu verhindern. Im zweiten Schritt wird die Mischung dann über große Siebe geführt, die das gelöste PVC von den Verunreinigungen trennen.
Der dritte Schritt ist das eigentlich Neue. Das gelöste PVC wird in zwei weiteren Reaktoren wieder ausgefällt, indem heißer Wasserdampf in die Flüssigkeit eingedüst wird. Der Dampf wirkt dabei auf zweierlei Weise: Er fällt das PVC aus, da der Kunststoff sich in Wasser nicht löst. Und er bildet mit dem MEK ein azeotropes Gemisch, das verdampft und sich beim Abkühlen wieder entmischt. Das MEK wird in den Lösereaktor zurückgeführt und kann nach bisherigen Abschätzungen rund ein Jahr lang im Kreis gefahren werden. Nach dem Trocknen des ausgefällten PVC bleibt ein graues, feines Pulver mit Partikelgröße von 300 mm bis 500 mm zurück, „das genau dieselbe Qualität besitzt wie der Input“, betont Dr. Helmuth Leitner, Umweltverantwortlicher bei Solvay in Brüssel.
Die Kosten des Verfahrens variieren zwischen 250 ! und 450 ! pro t PVC-Abfall. „Sie sind stark abhängig von der Vorbehandlung des Inputs“, erläutert Saffert. Je mehr Fremdstoffe die Abfälle enthalten, um so aufwendiger ist die Vorbehandlung. Bei den in Ferrara verwerteten Kabelummantelungen liegt der PVC-Anteil bei rund 60 % – zu niedrig, um das Verfahren wirtschaftlich zu gestalten. Daher soll im April eine zusätzliche elektrostatische Trennanlage installiert werden, die das PVC bis auf 80 % aufkonzentriert. Auch die am Standort vorhandene Infrastruktur diktiert die Kosten. Wo große Mengen Heißdampf anfallen, ist das Verfahren preiswerter als an Standorten, wo der Dampf erst produziert werden muss.
Für die Industrie ist Vinyloop nicht nur der Schlüssel, um die selbst gesetzten Recyclingziele zu erfüllen, sondern auch Basis für gute Geschäfte. „Das Regenerat ist so gut wie neue Compounds, aber mindestens ein Drittel preiswerter“, betont Leitner. Wenn die Planungen von Solvay aufgehen, sollen ab 2004 zwei weitere Vinyloop-Anlagen in Deutschland – voraussichtlich in Bernburg und in Rheinberg – Kabel, Bodenbeläge, Dachbahnen und Fensterprofile verwerten. Eine vierte Anlage für die Verwertung von PVC-Planen wird in Frankreich geplant. „Insgesamt“, so rechnet Leitner vor, „können ab 2004 dann jährlich 120 000 t Abfälle mit Vinyloop verwertet werden.“ Auch Kanada, Japan und die USA interessieren sich laut Solvay für das Verfahren.
Vor allem aber will die PVC-Industrie der Politik demonstrieren, dass sie es mit ihrer Selbstverpflichtung zum nachhaltigen Umgang mit dem umstrittenen Kunststoff ernst meint. Viele EU-Parlamentarier sähen es lieber, Verwendung und Verwertung von PVC gesetzlich zu regeln. Das aber fürchtet die Branche wie der Teufel das Weihwasser: Ein gesetzlich reguliertes Produkt lässt sich nur schwer verkaufen.
CHRISTA FRIEDL
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