Und sie klingt: Die Schallplatte aus Beton ist da
Wenn der nun schon 50 Jahre alten Megahit „Satisfaction“ der Rolling Stones ertönt, ist Vinyl, Polycarbonat oder ein elektronischer Speicher im Spiel. Forscher der Bundesanstalt für Materialforschung in Berlin zeigen nun, dass auch Beton in der Lage ist, Mick Jaggers Gesang zu erzeugen. Das glauben Sie nicht? Lesen Sie selbst, wie das funktioniert.
Beton ist ein Werkstoff, der nicht gerade für filigrane Strukturen bekannt ist. Das im Prinzip einfache Gemisch aus Zement, Sand und Wasser steht eher für raschen Baufortschritt im modernen Hochbau. Denn Zeit ist Geld und Beton ist enorm effektiv. Beton ist als Baumaterial uralt. Schon die Römer kannten und nutzten Beton, um ihre Hafenanlagen zu befestigen oder um die Steine im Trajansforum in Rom miteinander zu verbinden.
Rollende Steine auf rotierendem Stein
Forscher der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin sind nun auf eine völlig verrückte Idee gekommen, um die filigranen Eigenschaften des schnöden Werkstoffs nach Vorne zu stellen: Sie gossen eine Schallplatte aus Beton. Wer den Tonarm des Plattenspielers in die Betonrille setzt, hört augenblicklich den unbefriedigten Mick Jagger.
Das ist kein Scherz. Die Ingenieure der BAM haben ausgerechnet den Megasong „(I Can’t get no) Satisfaction“ der Rolling Stones aus dem Jahre 1965 in die Betonrillen geritzt. Rollende Steine auf rotierendem Stein.
Schräge Idee für eine Werkstoff-Werbung
Das zu Stein gewordene Vinyl ist natürlich nur eine Werkstoff-Werbung. Und zwar für den noch jungen Ultra-Hochleistungsbeton (UHPC), die Abkürzung steht für „Ultra High Performance Concrete“. Mit dem Baustoff wurden schon spektakuläre Bauwerke gebaut wie das Museum der Zivilisationen Europas und des Mittelmeerraums (MUCEM) in Marseille und die Wildbrücke Völkermarkt in Österreich, die erste Straßenbrücke aus UHPC.
„Mit dieser Schallplatte aus Ultrahochleistungsbeton wollen wir zeigen, dass durch eine Funktionalisierung von Oberflächen die Eigenschaften von Werkstoffen an ihre jeweilige Anforderung und Anwendung angepasst werden können. Die UHPC-Schallplatte zeigt, dass Beton mehr kann, als es ihm seine derzeitige baupraktische Anwendung abverlangt“, erklärt Ricardo Kocadag, der die schräge Werbeidee beim BAM umgesetzt hat.
Neuer Werkstoff ist eine Komposition
„Unsere Ultrahochleistungsbeton-Schallplatte ist auf jedem herkömmlichen Plattenspieler abspielbar – und das in hervorragender Qualität“, ergänzt Dr. Götz Hüsken, der bei der Optimierung des Verfahrens mitgewirkt hat. Der UHPC ist mehr als eine Mischung aus Zement, Sand und Wasser. Der neue Werkstoff ist eher – um im Bild des Tonträgers zu bleiben – eine Komposition aus Zement, Gesteinskörnung, Zusatzstoffen, Zusatzmitteln und Wasser.
Die Wissenschaftler am BAM im Bereich Bauwerksicherheit forschen daran, wie durch Zugabe von Fließmitteln, Feinstfüllern und reaktiven Zusatzstoffen besondere Eigenschaften des Ultra-Hochleistungsbetons erreicht werden können. Die BAM-Ingenieure können beliebige Strukturen bis in die UHPC-Mikroebene hinein herstellen. Dadurch ist es möglich, der Betonoberfläche eine spezielle Funktion zu geben.
Denkbar ist beispielsweise eine besonders rasche Abführung von Regen- oder Tauwasser von Brücken und Gebäuden durch Mikrorillen, ganz ähnlich wie bei der besonderen Rillenstruktur in Winterreifen. Ganz generell ist der neue Werkstoff UHPC besonders dicht und feinkörnig. Er ist somit praktisch dicht gegen Flüssigkeiten, Gase und auch Chlorid. Das macht ihn besonders geeignet für den Einsatz im betonaggressiven Milieu, wie dem Kanalisations- und Anlagenbau der chemischen Industrie.
Dazu kommt: UHPC ist je nach Zusatzstoffen um 30 bis 50 % leichter. Das macht ihn als Baustoff für Brücken, Hochhäuser und große filigrane Dachkonstruktionen attraktiv. Oder eben auch für den Megasong der Rolling Stones. Die Betonplatte lässt sich übrigens mehrfach abspielen, genau wie ihr Vorbild aus Vinyl. Willkommen in der Steinzeit.
Fehlt eigentlich nur noch, dass sich die Schallplatte aus Beton im Falle eines Kratzers selbst heilt. Den Beton, der sich selbst repariert, der ist ja auch schon erfunden.
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