Kunststofftechnik 07.11.2024, 07:00 Uhr

Forscher entwickeln Farbstoffe zur Spannungsmessung in Kunststoffen

Ein Forschungsteam der TU Chemnitz hat spezielle Farbstoffmoleküle entwickelt, die mechanische Spannungen in Kunststoffen quantitativ anzeigen können. Diese sogenannten „molekularen Federn“ ändern ihre Farbe je nach Stärke der einwirkenden Kräfte und ermöglichen so eine visuelle Belastungsanalyse. Sie eröffnen neue Möglichkeiten für das Verständnis und die Überwachung von polymeren Werkstoffen.

Mehrere farbige Kunststoffröhren

Welche Spannung herrscht in einem Kunststoff-Bauteil? Das können neue Farbstoffe anzeigen.

Foto: PantherMedia / selensergen

Michael Sommer, Professor für Polymerchemie an der Technischen Universität Chemnitz, und sein Forschungsteam haben damit einen wichtigen Durchbruch in der Entwicklung spezieller Farbstoffe erzielt, die als Mechanophore bezeichnet werden. Diese neuartigen Moleküle sind in der Lage, mechanische Spannungen in Kunststoffen präzise und quantitativ anzuzeigen. Das Besondere an diesen Farbstoffmolekülen ist, dass sie je nach Stärke der einwirkenden Kräfte unterschiedliche Farben annehmen und somit eine visuelle Darstellung der Bauteilbelastung ermöglichen. Diese Entdeckung eröffnet völlig neue Perspektiven für die Überwachung und Analyse von polymeren Werkstoffen, die in zahlreichen Anwendungsbereichen zum Einsatz kommen.

Das Prinzip solcher spannungsempfindlichen Farbstoffe ist zwar nicht vollkommen neu, doch die bisher verfügbaren Mechanophoren konnten lediglich das Vorhandensein oder Fehlen von Spannungen in Kunststoffen anzeigen. Die Professur Polymerchemie der TU Chemnitz hat sich jedoch in den vergangenen Jahren intensiv mit der Entwicklung sogenannter molekularer Torsionsfedern beschäftigt, die sich als eine besonders geeignete Klasse von Mechanophoren herausgestellt haben. Diese speziellen Farbstoffmoleküle reagieren auf die innerhalb eines Kunststoffs wirkenden Kräfte und signalisieren mechanische Belastungen durch eine Veränderung ihrer Farbe. Sobald die Kraft auf den Kunststoff nachlässt, kehren die Farbstoffmoleküle wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurück – ähnlich wie eine Feder, die sich ausdehnt und anschließend wieder zusammenzieht.

Kunststoffe: Spannungen sichtbar machen

In einer vorherigen Studie der Professur Polymerchemie wurde bereits gezeigt, dass mit Hilfe dieser molekularen Torsionsfedern mechanische Spannungen in Kunststoffen stufenlos visualisiert und theoretische molekulare Kräfte abgeleitet werden können. „Diese Methode bietet enorme Vorteile überall dort, wo es darauf ankommt, Belastungen in Kunststoffen in Echtzeit zu überwachen. Diese neuartige Form der Schadensanalyse könnte schon bald den Weg in praktische Anwendungen finden“, erläutert Michael Sommer. Die Möglichkeit, Spannungen in polymeren Werkstoffen sichtbar zu machen und zu quantifizieren, eröffnet völlig neue Perspektiven für die Entwicklung, Überwachung und Optimierung von Kunststoffbauteilen in verschiedenen Einsatzbereichen.

In der aktuellen Forschungsarbeit, die kürzlich in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie veröffentlicht wurde, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der TU Chemnitz das Konzept der molekularen Torsionsfedern weiterentwickelt und eine experimentelle Kalibrierung von Kräften ermöglicht. Durch diesen Ansatz können die Größen der in verschiedenen Kunststoffen wirkenden Kräfte optisch bestimmt werden. „Der Übergang von der reinen Sichtbarmachung und theoretischen Berechnung von Kräften in Kunststoffen hin zu experimentell direkt gemessenen Kräften ist ein bedeutender Fortschritt“, sagt Michael Sommer. Das erreichten die Forschenden durch den Einsatz unterschiedlich funktionierender Mechanophore, deren Verhalten bei bestimmten mechanischen Spannungen miteinander verglichen werden kann. Auf diese Weise konnten sie die auf molekularer Ebene wirkenden Kräfte präzise ermitteln.

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Kunststoffe verstehen: Zugkräfte und Druckkräfte untersuchen

Bislang lag der Fokus der Untersuchungen hauptsächlich auf der Analyse von Zugkräften in Kunststoffen. Inwieweit auch äußere Druckkräfte zuverlässig und quantitativ bestimmt werden können, ist noch Gegenstand zukünftiger Forschungsarbeiten. Die gewonnenen Erkenntnisse bilden jedoch bereits eine solide Grundlage für ein tieferes Verständnis der in polymeren Materialien wirkenden Kräfte. Im Rahmen eines kürzlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts werden die Arbeitsgruppen von Michael Sommer gemeinsam mit den Teams von Günter Reiter (Polymerphysik) und Michael Walter (Theorie) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg weitere Experimente durchführen. Ziel ist es, mikroskopische Kräfteverteilungen in verschiedenen Kunststoffen zu untersuchen und auch 3D-gedruckte Bauteile in die Analysen einzubeziehen.

„Die Visualisierung von zeit- und ortsaufgelösten Kräfteverteilungen konnte bisher nur theoretisch modelliert werden. Der Einsatz von molekularen Torsionsfedern bietet hier einzigartige Möglichkeiten für mikroskopische Einblicke, die die Alterungs- und Schadensanalyse von Kunststoffen revolutionieren könnten“, erklärt Michael Sommer. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit haben das Potenzial, das grundlegende Verständnis der mechanischen Eigenschaften von Kunststoffen zu verbessern und neue Ansätze für die Entwicklung leistungsfähigerer und langlebigerer Polymermaterialien zu eröffnen. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten in Zukunft dazu beitragen, die Belastbarkeit und Zuverlässigkeit von Kunststoffbauteilen in verschiedensten Anwendungsbereichen zu optimieren.

Doktorand leistet wissenschaftlichen Beitrag zu den Polymeren

Michael Sommer hebt den außergewöhnlichen wissenschaftlichen Beitrag des Erstautors Raphael Hertel hervor, der als Doktorand in der Professur Polymerchemie maßgeblich an der Konzeption und Durchführung der Experimente beteiligt war. „Es ist immer wieder eine große Freude zu sehen, wie jemand aus der Arbeitsgruppe so erfolgreich eigenständige Projekte bearbeitet“, sagt Sommer. Die Leistung von Raphael Hertel unterstreicht die Qualität der Forschung und Ausbildung an der TU Chemnitz und zeigt, wie junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch ihre Kreativität und ihr Engagement Beiträge zum Fortschritt in der Polymerchemie leisten können.

Ein Beitrag von:

  • Julia Klinkusch

    Julia Klinkusch ist seit 2008 selbstständige Journalistin und hat sich auf Wissenschafts- und Gesundheitsthemen spezialisiert. Seit 2010 gehört sie zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Klima, KI, Technik, Umwelt, Medizin/Medizintechnik.

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