Unüberhörbar: Elektroautos bekommen künstlichen Sound
Elektro- und Hybridautos müssen ab Sommer 2019 im Stadtverkehr künstliche Geräusche von sich geben. Der Grund: Sie sind bei niedrigem Tempo sehr leise und werden von Fußgängern und Radfahrern leicht überhört. Sicherheit ist wichtig, aber ist es nicht auch paradox, dass geräuscharme Motoren auf diese Weise aufgerüstet werden müssen?
Wie sehr wir uns als Fußgänger im Straßenverkehr auf unser Gehör verlassen, kann man spätestens dann verstehen, wenn man einmal in Pekings Innenstadt zu Fuß unterwegs war. Zu den großen Herausforderungen für den westlichen Passanten zählen die überaus beliebten Elektro-Roller. Ständig huschen sie, meist von hinten kommend, an einem vorbei, zwängen sich noch rasch irgendwo durch und bewegen sich dabei fast immer haarscharf an den Passanten, anderen Verkehrsteilnehmern und jeglichen Regeln vorbei.
Wer nicht gehört wird, wird nicht wahrgenommen
Als westlicher Besucher ist man permanent überfordert und es dauert eine Weile, bis man in Peking routiniert die Straße nach den lautlosen Flitzern absucht, bevor man zur Überquerung ansetzt. Das Thema der beinahe geräuschlosen Elektromotoren wird zukünftig auch bei uns verstärkt auf der Tagesordnung stehen, denn hierzulande fürchtet man vor allem um die Verkehrssicherheit. Wer nicht gehört wird, oder sich akustisch bemerkbar macht, wird auch nicht wahrgenommen.
Das ist keine neue Erkenntnis und wird schon seit Jahren von Experten diskutiert. Vor gut einem Jahr erließ die US-Behörde für Verkehrssicherheit NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) eine Vorschrift, wonach alle neuen Elektro- und Hybridmodelle technisch so ausgestattet sein müssen, dass sie beim Fahren gezielt Geräusche erzeugen. Zuvor hatte die amerikanische Verkehrsbehörde Verkehrsunfälle aus zwölf US-Bundesstaaten ausgewertet, an denen rund 560.000 Autos mit Benzin- oder Dieselantrieb und knapp 8.400 Hybridmodelle beteiligt waren.
Einbau eines Warngeräuschgenerators wird Pflicht
Im Ergebnis lässt die Studie ein zweifach höheres Unfallrisiko für Fußgänger im Vergleich mit Diesel- oder Benzinautos erwarten, sobald Hybridautos bei langsamer Fahrt elektrisch betrieben werden. Auch in Europa gibt es bereits seit 2014 gesetzliche Geräusch-Vorschriften für Elektroautos. Der Einbau eines Warngeräuschgenerators, ein „Acoustic Vehicle Alert System“, wird ab Juli 2019 für alle neu entwickelten Fahrzeugtypen in der EU zur Pflicht und ein Jahr später für sämtliche neu zugelassenen Elektro- und Hybridautos.
Während die künstlich erzeugten Geräusche in Europa bis zu einer Geschwindigkeit von 20 km/h Pflicht sind, liegt die Grenze in den USA bei 30 km/h. Bei schnellerer Fahrt reicht das Rollgeräusch aus, das die Reifen auf der Fahrbahn erzeugen.
Bisher nicht vorgeschrieben ist der genaue Klang des künstlich erzeugten Geräusches. Klar ist, dass zum Beispiel keine Musikstücke abgespielt werden dürfen, aber mit welchem Sound die einzelnen Fahrzeuge Fußgänger vor ihrem Herannahen warnen, bleibt vorerst den Herstellern überlassen.
Geräusch soll auf das Fahrverhalten hinweisen
Allerdings ist in der EU-Vorschrift festgehalten, dass das Geräusch eines Elektroautos, genau wie beim Verbrennungsmotor, auf das Fahrverhalten hinweisen soll. Bedeutet: Beim Bremsen klingt das Geräusch anders als beim Beschleunigen. Ein Klangbeispiel findet man auf der Internetseite der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen. Auch an der Technischen Universität München steht das Acoustic Vehicle Alert System auf dem Programm. Professor Hugo Fastl erforscht die Grundlagen des Geräuschdesigns für Elektroautos. Jede Firma wolle ihr eigenes Branding, ein Geräusch, das für das Auto typisch ist, sagt Fastl. „Schließlich klingt im Moment ein BMW auch anders als ein Mercedes oder ein Porsche – das soll bei den E-Autos ebenfalls so sein.“
Aber wie genau wird ein solcher Sound entwickelt? „Wir haben zunächst ein Grundgeräusch, dem wir eine Tonhöhe zuordnen“, sagt Fastl. Dabei bewegen sich die Forscher im mittleren Frequenzbereich. „Sehr tiefe Frequenzen sind schwierig abzustrahlen. Dafür müssen die Lautsprecher am Auto sehr groß sein.“ Zu hohe Frequenzen dagegen können von älteren Menschen nicht mehr wahrgenommen werden. Die Tonhöhe kann außerdem einen Hinweis darauf geben, wie schnell das Auto fährt. Bei einem Auto, das beschleunigt, wird die Tonhöhe daher nach oben gehen.
„20 Jahre lang war es immer das Ziel, dass die Autos leiser werden.“
Neben dem Frequenzbereich sind auch Klangfarbe und Rauigkeit wichtige Merkmale für das Auto-Sounddesign. Die Rauigkeit bestimmt zum Beispiel wie schnell sich die Lautstärke des Tons ändert. „Besonders große Rauigkeit entsteht, wenn die Lautstärke etwa 50 bis 70 Mal pro Sekunde schwankt“, sagt Fastl. „Wenn Rauigkeit in einem Geräusch ist, wird es als sportlich empfunden. Einen Ferrari ohne Rauigkeit können Sie schlecht verkaufen.“
Eine gewisse Paradoxie erkennt Professor Fastl allerdings auch in diesem Forschungsprojekt. „20 Jahre lang war es immer das Ziel, dass die Autos leiser werden. Jetzt ist es teilweise zu leise und wir müssen es wieder lauter machen.“ Hinzu kommt, dass auch viele Fahrzeuge mit Benzinmotor bei niedrigen Geschwindigkeiten fast genauso leise sind wie ein E-Auto. Müssten dann nicht auch moderne Benziner mit künstlichen Geräuschen ausgestattet werden?
Umweltbundesamt gegen Einführung akustischer Dauersignale
Das Umweltbundesamt UBA vertritt zum Thema Lärmminderung durch Elektroautos eine eindeutige Haltung. In einem Positionspapier von 2013 betont das UBA, dass „akustische Dauersignale für Elektroautos aus Gründen des Lärmschutzes nicht eingeführt werden sollten“. Eigentlich nachvollziehbar, schließlich müssen ja auch Fußgänger und Radfahrer, die sich lautlos im Verkehr bewegen, keine Geräusche erzeugen.
„Eine Art Klingel als Ergänzung zur Hupe könnte dagegen helfen, mögliche Konflikte mit Fußgängern zu entschärfen“, so das UBA. Potenziale für relevante Lärmminderung durch Elektromobilität liegen dagegen bei „schweren Fahrzeugen, die innerorts häufig anfahren und bremsen, wie Bussen des ÖPNV und Müllsammelfahrzeugen. Noch größere Potenziale existieren bei Mopeds und Motorrädern, die prinzipiell fast so leise wie Fahrräder sein könnten.“
In China, wo 2016 mehr als 20 Millionen Elektroroller verkauft wurden, fasst man derzeit verstärkt auch den ausländischen Markt ins Auge.
Und was sind die beliebtesten Elektroautos der Deutschen? Hier der Überblick.
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