„Wir können nur durch Kreativität gewinnen“
Computer baut man in den USA. Oder doch nicht? Pyramid Computer aus Freiburg beweist seit nunmehr 25 Jahren, dass Innovation im IT-Sektor auch aus Deutschland kommen kann. Die Firma ist das Lebenswerk des gelernten Geografen Frieder Hansen.
Frieder Hansen, geboren 1961 in einer Gemeinde nahe Freiburg, bastelte schon als Schüler an Radios. Weil in seiner Heimatstadt zu wenig los war, studierte er Geografie, um Entwicklungshelfer zu werden. „Doch der Einsatz bei einem Entwicklungsprojekt in Sri Lanka desillusionierte mich“, sagt Hansen.
Zurück zu Hause entdeckte Hansen die Informationstechnik für sich. Um seine Studienarbeiten zu schreiben, lötete er 1984 aus einem Bausatz für den Selbstbau seinen ersten Apple-II-Clone. Darauf lief das offene Betriebssystem CPM mit Anwendungen wie WordStar. Fortan schrieb Hansen sämtliche Arbeiten mit diesem Gerät, was sofort Nachfrage aus dem Freundeskreis auslöste.
Bald fand Hansen einen Nebenjob bei einem Freiburger Apple-Händler. Über dessen Telex kontaktierte Hansen taiwanische Lieferanten vorgelöteter Platinen. Nun fragte er drei enge Freunde: Christian Pogoda, Markus Müller und Niko Hensler. „Niko kenne ich seit der fünften Klasse“, sagt Hansen. Die drei sollten ihm bei der Bewältigung der anrollenden Auftragsflut helfen. Das Quartett war damals der einzige deutsche Anbieter solcher Clones. Müller und Pogoda gehen heute andere Wege. Hensler ist bei Pyramid Computer für alles Kaufmännische und für das Tochterunternehmen ITernity zuständig.
Die elterliche Garage wurde zum Lager, Hansens Studentenbude zur Werkstatt. 1985 wurde Pyramid Computer gegründet, 1986 in eine GmbH umgewandelt. Bald stieg Pyramid von Apple- auf IBM-Clones um. „IBM-Rechner konnten damals mehr, zum Beispiel BTX anbinden“, erklärt Hansen. 1989 zog Pyramid, mittlerweile mit 30 Mitarbeitern, ins jetzige Firmengebäude im Freiburger Westen.
1990 entwickelte Pyramid die Design-PC-Linie Wave-
line, die eine Weile gut lief. „Dann kamen die Discounter, und die Margen gingen in die Knie“, berichtet Hansen. Pyramid wehrte sich durch eine geschickte Strategie: Mithilfe eines Bekannten, der in den USA lebte, gründete man eine Einkaufs-Tochterfirma im Silicon Valley, die Pyramid fortan mit dem Neuesten und Besten aus dem kalifornischen IT-Mekka versorgte. „Deshalb lagen wir in den Rankings der Fachzeitschriften immer ganz vorn“, erklärt Hansen.
In den Neunzigern entwickelte IBM das geschlossene Betriebssystem OS/2. Pyramid fürchtete um sein Geschäftsmodell und gründete mehrere Tochterfirmen. Doch dann brachte Microsoft Windows 3.x auf den Markt, und IBMs Abschottungsstrategie war gescheitert. „Wir hatten uns wegen IBM verzettelt“, sagt Hansen selbstkritisch im Rückblick. Es dauerte lange, bis alle Randaktivitäten abgestoßen oder wieder eingegliedert waren.
1998 stellte das Unternehmen auf der CeBIT den ersten Linux-Mittelstandsserver Ben Hur vor. Farbenfrohe Blenden, Anschlüsse auf der Vorderseite und ein Komplett-Softwarepaket machten ihn zum Renner.
Softwarehersteller wurden auf Ben Hur aufmerksam und wollten es mit ihren Produkten bundlen. Das OEM-Geschäft, heute das wichtigste Standbein von Pyramid, entstand. Lücken im Markt füllte Pyramid auf Kundenwunsch mit Eigenentwicklungen. Im Jahr 2000 entstanden etwa Netzwerkkarten mit reduzierter Bauhöhe und drei Ports. „So was gab es damals einfach nicht“, so Hansen.
2005 riss die Digitalfotografie Pyramids Großkunden Agfa Foto in die Insolvenz. „Erhebliche Außenstände, unbrauchbare Lagerware für 1 Mio. € und ein Drittel weniger Umsatz“, benennt Hansen die Auswirkungen. Eine Kreditausfallversicherung, das Verständnis der städtischen Sparkasse und der Verkauf des Ben-Hur-Geschäfts retteten Pyramid schließlich.
Damals habe er nicht mehr schlafen können, sagt Hansen. Ansonsten hat der Manager keine Probleme mit der Work-Life-Balance. Von überlangen Arbeitstagen hält er wenig – auch bei seinen Mitarbeitern. „Wir können nur durch Kreativität gewinnen“, sagt er. Erschöpfte Menschen seien nicht kreativ. Die rund 110 Mitarbeiter, davon 17 Auszubildende, wissen es zu schätzen – Fluktuation ist rar. Pyramid entwickelt ausschließlich in Freiburg, die Fertigung befindet sich inzwischen in Erfurt. „Wir haben hier keine Fertigungskräfte mehr gefunden“, erklärt Hansen.
Rechtzeitig zu Hansens 50. Geburtstag erlebt Pyramid einen Innovationsschub. Hansen, für Technologie und Marketing zuständig, sucht Märkte, „die groß genug für einen gewissen Umsatz sind, aber noch zu klein, um die ganz Großen anzuziehen“. In interaktiven Displays sieht er ein solches Segment.
Das erste Displayprodukt heißt Polytouch: Der hochauflösende Groß-Touchscreen auf Basis des neuesten Intel-Prozessors kann 60 Berührungen gleichzeitig erkennen und ist so komfortabel bedienbar wie das iPad. Rechts und links vom Screen lassen sich zusätzliche Komponenten, z. B. Beispiel Belegdrucker oder Kartenleser, einbauen.
Mögliche Applikationen sind Produktpräsentation und Verkaufsassistent, Touristeninformation oder Fahrkartenautomaten mit grafischer Zieleingabe. Eine günstigere Variante mit nur zwei gleichzeitigen Berührungspunkten ist schon geplant. „Daraus wird eine ganze Produktserie“, sagt Hansen, der einmal mehr bewiesen hat, dass IT-Innovation auch hierzulande möglich ist. ARIANE RÜDIGER
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