Chancen am US-Aktienmarkt 10.08.2020, 13:55 Uhr

Aktienmarkt: Sind US-Technologie-Unternehmen überbewertet?

US-Technologieaktien sind gefragt wie niemals zuvor. Die Kurse von Werten wie Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google haben sich zuletzt geradezu atemberaubend entwickelt. Droht bald ein Absturz? Zumindest ein gesundes Maß an Vorsicht ist angebracht.

Blick auf die Skyline New Yorks mit der Freiheitsstatue im Vordergrund

Foto: panthermedia.net/UTBP

Menschen sind Gewohnheitstiere. Und so war es für Internetunternehmen über Jahre hinweg eine große Herausforderung, das Konsumverhalten von Kunden so grundlegend zu verändern, dass Internetshopping so selbstverständlich wird wie der Einkauf im Supermarkt. Heute sind wir an diesem Punkt angekommen – und sogar noch ein Stück weiter. Selbst die Kommunikation über sogenannte soziale Medien ist für Viele mittlerweile wichtiger als das direkte Gespräch. Das Internet ist längt kein „Nice to have“ mehr, sondern zentraler Konsum- und Kommunikationsort für Milliarden von Menschen.

Unumstrittene Marktführer im Netz der Worte, Dinge und Bilder sind US-Technologiefirmen, darunter vor allem fünf Unternehmen: Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google – oft auch kurz FAANG genannt. Die Big Five haben die technologische Entwicklung in den vergangenen Jahren entscheidend vorangetrieben und profitieren dank ihrer Marktmacht nun überproportional von der Coronakrise. Denn aus Furcht vor dem Virus ist die Zahl der aktiven Internetnutzer explosionsartig gestiegen. Und man kann davon ausgehen, dass dies kein einmaliges Ereignis ist, sondern eine Trendbeschleunigung. Das glauben auch immer mehr Anleger.

Die Entwicklung der Börsenkurse von US-Technologiewerten zeugt davon. So hat der Nasdaq 100 Index, in dem Tech-Werte überproportional stark vertreten sind, im laufenden Jahr bereits 20 % zulegen können, während sich breiter gefasste Indizes wie der S&P 500 oder der Eurostoxx 600 in Europa noch im negativen Bereich bewegen. Insbesondere die FAANG-Werte sind hier voranmarschiert. Amazon hat seit Jahresbeginn bereits 60 % zugelegt, Netflix mit plus 43 % und Apple mit plus 42 % folgen knapp dahinter.

Zugegeben: Die Geschäftsmodelle und der Erfolg der Tech-Konzerne sind gute Kaufargumente für Investitionen. Allerdings sollten sich Anleger auch die Frage stellen, ob die sehr hohen Bewertungen für diese Unternehmen noch durch deren substanzielle Entwicklung gerechtfertigt sind. Schließlich haben die Kurs-Gewinn-Verhältnisse der betreffenden Aktien inzwischen Niveaus erreicht, die an die New Economy-Blase im Jahr 2000 erinnern. So liegt zum Beispiel das KGV bei Amazon, bezogen auf die geschätzten Gewinne vom Jahr 2020, bei 74. Der Grund für diese Bewertung ist, dass der Kurs der Amazonaktie innerhalb der vergangenen fünf Jahre um 925 % gestiegen ist.

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Natürlich muss es selbst bei einer so fulminanten Kursentwicklung nicht zu einem dramatischen Absturz kommen. Eine ungebremste Fortführung dieser Hausse ist jedoch nur mit sehr viel Phantasie denkbar. Denn in solchen Bewertungen steckt eine Erwartungshaltung, die auch von Unternehmen wie Amazon irgendwann erfüllt werden muss. Und das wird immer schwerer.

Dazu ein Rechenexempel: Die Analystenprognosen, die von Bloomberg im Durchschnitt zusammengefasst werden, gehen in den kommenden Jahren von einem Wachstum von mehr als 32 % aus. Selbst wenn Amazon seine Margen aufrechthält, müsste der Tech-Konzern bei diesem angenommenen Wachstum seinen Umsatz von derzeit rund 265 Millionen auf unglaubliche drei Billionen US-Dollar steigern, um seine aktuelle Börsenbewertung zu rechtfertigen. Deshalb sollte man selbst in einem positiven Szenario maximal von nur einem moderaten weiteren Anstieg der Aktie ausgehen. Denn die Aktienkurse müssen ab einem gewissen Punkt, auch bei weiterhin guter Entwicklung der Unternehmen, irgendwann in das Erwartungsniveau der Anleger hineinwachsen. Gleichzeitig ist die Fallhöhe groß. Denn mit jedem weiteren Kursanstieg steigt das Enttäuschungspotenzial überproportional gegenüber den Kurs-Chancen, die Aktien wie Amazon noch bieten.

Privatanleger sollten deshalb nicht nur auf Unternehmen mit guter Wachstumsperspektive setzen, sondern auch verstärkt überprüfen, ob die Fundamentalbewertungen noch realistisch sind. Wer nur auf die Namen und nicht auf die Zahlen schaut, könnte sonst eines nicht zu fernen Tages böse überrascht werden.

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Helge Müller ist Chief-Investment-Officer der Genève Invest in Luxemburg. Für ingenieur.de schreibt er in regelmäßigen Abständen Kolumnen zur privaten Vermögensverwaltung. Foto: Genève Invest

Helge Müller ist Chief-Investment-Officer der Genève Invest in Luxemburg. Für ingenieur.de schreibt er in regelmäßigen Abständen Kolumnen zur privaten Vermögensverwaltung.

Foto: Genève Invest

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  • Helge Müller

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