Alte Berufe neu gelebt
Die Ingenieure Theo Gelhaar und Mark Füger haben Trends bewusst übersehen. Sie fahren in der Old Economy alles andere als schlecht – als Agraringenieur und Gießerei-Ingenieur.
Berufe im Agrarwesen oder der Gießereitechnik gelten als veraltet. Doch wer Vorurteile beiseiteschiebt und nachforscht, entdeckt, dass die „Old Economy“ gar nicht so alt ist und gute Karrierechancen bietet, wie zwei Beispiele zeigen.
Gießereitechnik – für Ingenieure, die die Produktion nicht scheuen
Theo Gelhaar hat an der Bergakademie in Freiberg studiert. Heute sagt er: „Ich habe eigentlich jeden Tag schwarze Hände“, sagt Theo Gelhaar und lacht. Der 31-Jährige ist Werksleiter einer Aluminiumgießerei in Finsterwalde. 76 Mitarbeiter beschäftigt der Mittelständler, 60 davon arbeiten in der Produktion. Und da geht es meistens dreckig zu. Staub und Schmutz sind überall, wenn aus Sand und flüssigem Aluminium Gussteile hergestellt werden.
Nur wenige Studenten verirren sich nach Sachsen an die Technische Universität, um dort Gießereitechnik zu studieren. Nach dem Abitur wollte auch der gebürtige Leipziger Gelhaar lieber Metallbauer werden. Am Infostand einer Fachhochschule erklärt ihm der Recruiter: „Das wollen viele.“ Der Nachbarstand gehörte der TU Freiberg. „Dort waren deutlich weniger Interessenten“, erinnert sich Gelhaar, bewirbt sich und gibt nach sieben Semestern seine Bachelorarbeit über Eisenguss ab. Danach folgt seine Masterarbeit über Stahlfeinguss.
Direkt nach dem Studium landet er bei seinem heutigen Arbeitgeber, der MGF Metallguss Finsterwalde – zunächst im Vertrieb. Firmenchef Jens Waldek lernt die Qualitäten des jungen Ingenieurs schätzen und bietet ihm die Werksleitung an – das war vor drei Jahren. Gelhaar greift zu und muss sich beweisen. Verständlich, dass nicht jeder Mitarbeiter begeistert ist über einen „Youngster“ als neuen Werksleiter. Der Altersdurchschnitt bei MGF liegt bei 45 Jahren. Doch anfängliche Ressentiments räumt Gelhaar rasch aus. „Ich bin handwerklich geschickt und habe zu Beginn in jeder Abteilung mitgearbeitet“, erklärt er seinen Einstieg. Schnell merken die Kollegen, dass sie da einen pfiffigen Ingenieur vor sich haben, der rasch Lösungen findet, handfeste Ideen einbringt und Führungsqualitäten beweist.
Gießerei-Ingenieure sind im In- und Ausland gefragt
Eine gute Kombination, wie Christine Fischer findet. Die Chefin von Searchpoint aus Baden-Baden hat sich auf das Finden und Vermitteln von Führungskräften im Gießereiwesen spezialisiert. Ein karger Markt. Fast alle 1.000 Gießereien in Deutschland suchen dringend Fachkräfte – doch es gibt kaum Suchende. Zu exotisch und unbekannt scheint der Beruf des Gießerei-Ingenieurs.
Dabei sind Gussteile in fast allen modernen Industrien im Einsatz. Werksleiter Gelhaar zählt auf: „Wir liefern in den Motorenbau, an die Bahn, die Druckindustrie und in die Medizintechnik.“ Und Fischer ergänzt, dass Gussteile und Know-how „made in Germany“ weltweit gefragt sind. Das gehe so weit, dass sich derzeit japanische, amerikanische und chinesische Investoren im deutschen Markt einkaufen – oft an das Ziel gekoppelt, Wissen abzugreifen. Die Old Economy der Gießereien blüht also und bietet gute Karrieremöglichkeiten im In- und Ausland.
Mit Pflanzenkohle auf den internationalen Agrarmarkt
Auch Mark Füger hat seine berufliche Zukunft mit einem alten Beruf verknüpft. Üblicherweise arbeiten Agraringenieure wie er bei Behörden, prüfen Böden oder besuchen Bauern, um Landmaschinen oder Saatgut zu verkaufen. Andere verschlägt es in die Chemieindustrie. Mark Füger hingegen kümmert sich um Pflanzenkohle. Ein Produkt, das in neuester Zeit Nachfrage erfährt.
Schon früher haben Indianer im Amazonasgebiet nährstoffarme Böden mit Pflanzenkohle verbessert. Vor gut 15 Jahren keimte die Idee in der Schweiz auf, Holzabfälle, Getreidespelzen oder Kirschkerne zu karbonisieren, damit daraus Kohle entsteht.
Eine Idee, die Mark Füger interessiert. Während des Studiums stößt er auf den Familienbetrieb „DU: willkommen in der Umwelt“. Zu Geschäftsführer Christoph Zimmermann findet er einen guten Draht, denn der will die Pflanzenkohle etablieren. Also steht die erste deutsche Pyreg-Anlage im schwäbischen Eislingen. Agrarexperte Füger sorgt dafür, dass sie backt und brummt. Das Geschäft läuft gut. Abnehmer der Pflanzenkohle sind Pferdehöfe, Kommunen, Molkereien, Biogasanlagen-Betreiber, Putenzüchter … Die Liste wird täglich länger. Füger beantwortet Mails aus China und Kanada, auch in Übersee ist der Bodenverbesserer, Qualität „made in Schwaben“, geschätzt.
Lobbyarbeit für das Spezialgebiet und das Bioprodukt
Auf diese achtet der Ingenieur penibel. Gut durchgekohlt muss sie sein, einen Kohlenstoffgehalt um die 80 % sollte sie haben und das Rohmaterial darf nicht weiter als 80 km anreisen, um zu Kohle zu werden. Studiert hat der 32-Jährige in Hohenheim bei Stuttgart Agrarwissenschaften, Fachrichtung nachwachsende Rohstoffe und Bioenergie. 2007 war das der zweite Jahrgang, gerade einmal 80 Studenten belegten das Fachgebiet.
Pioniergeist wehte über den Campus. Diesen Spirit merkt man Mark Füger heute noch an. Und obwohl die Pflanzenkohle ein altes Produkt ist, wissen nur wenige um die Einsatzgebiete. Deshalb spricht er bei Stadtplanungsämtern vor sowie in seiner Geburtsstadt Tübingen. Öffentliche Blumenbeete sollen dort an heißen Sommertagen in Zukunft seltener gegossen werden. Dreimal die Woche statt täglich. Die Pflanzenkohle fungiert im Boden als Wasserspeicher.
Hilfreich für die Überzeugungsarbeit sind auch Mark Fügers Kontakte in die Wissenschaft. So läuft demnächst eine Studie mit Pflanzenkohle an. Untersucht werden etwa Qualitätsmerkmale der Milch, weil Kohle dem Futter beigemischt wird. Sie bindet die Giftstoffe, die Kuh oder Pute später ausscheiden. Universitäten und Tierärzte sprechen bereits von einer positiven Langzeitwirkung auf das Tierwohl. Doch weil diese Einsatzgebiete neu sind, fehlt es an klaren Regeln. Deshalb engagiert sich Mark Füger im frisch gegründeten Fachverband Pflanzenkohle. Ziel ist neben der Öffentlichkeits- auch die Lobbyarbeit für das Bioprodukt, das chemische Dünger überflüssig machen soll.
Dieser Artikel erschien im Magazin Ingenieurkarriere, einer Sonderpublikation der VDI nachrichten. Laden Sie sich das komplette Magazin kostenfrei herunter.
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