Berufliche Perspektiven für angehende Ingenieure sind nebulös
Die Berufsaussichten für Ingenieure bleiben auf absehbare Zeit gut. Doch Experten tun sich schwer mit Empfehlungen, welche Fachrichtungen besonders chancenreich sind.
Im Moment herrscht relative Ruhe auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure, denn noch immer ist die Nachfrage groß. Aktuell stehen für 78.000 offene Stellen rund 25.000 arbeitssuchende Fachkräfte zur Verfügung. „Aber die Firmen klagen nicht mehr so wie noch vor ein paar Jahren“, sagt Lars Funk, der im Verein Deutscher Ingenieure (VDI) den Bereich „Beruf und Gesellschaft“ leitet. Dass die große Nachfragewelle abgeebbt ist, führt Funk auf die hohen Absolventenzahlen der vergangenen zwei bis drei Jahre zurück: „Teilweise waren sie doppelt so hoch wie noch vor 15 Jahren.“ Doch „die Schere wird sich in zwei bis drei Jahren wieder öffnen“, prophezeit der VDI-Experte.
Ersatzbedarf generiert hohe Nachfrage bei sinkenden Studierendenzahlen
Was die nächste Ingenieurgeneration aber auf dem Arbeitsmarkt erwartet, ist in vielen Bereichen ungewiss. „Im Rahmen unserer Analysen haben wir bisher bewusst davon abgesehen, künftige Entwicklungen im Detail zu prognostizieren“, sagt Sarah Berger, Bildungsexpertin am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Der Arbeitsmarkt werde nicht nur durch konjunkturelle und technologische Entwicklungen beeinflusst, sondern auch durch Faktoren wie die Studienneigung deutscher Abiturienten oder die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte.
Berger und Funk gehören zu den Experten, die regelmäßig den Ingenieurmonitor des VDI erstellen. Einig sind sie sich in grundlegenden Punkten. Schon allein, weil es keine Doppeljahrgänge mit Abiturienten nach zwölf und 13 Jahren Schuljahren mehr gibt, werde die Zahl der Studenten zurückgehen. Selbst wenn durch konjunkturelle oder technologische Entwicklungen keine ganz große Nachfrage initiiert würde, „reicht der Ersatzbedarf für eine gute Nachfrage am Arbeitsmarkt aus“, ist Funk überzeugt. Der Hintergrund: Die „Babyboomer“ kommen in die Jahre und verabschieden sich nach und nach aus dem Berufsleben in den Ruhestand.
Megatrends verändern Aufgabenprofile für Ingenieure
Für die nachwachsende Ingenieurgeneration wird sich aber manches ändern. Große Trends wie Industrie 4.0, Energiewende oder Elektromobilität sowie die Digitalisierung des Alltages „werden die Aufgabenprofile für Ingenieure verändern“, betont Funk. Für junge Ingenieure und diejenigen, die jetzt ihr Studium aufnehmen, sei es deswegen ratsam, die technologischen Entwicklungen und ökonomischen Veränderungen sehr genau zu beobachten und zu analysieren.
Die Bundesagentur für Arbeit hat diese Analysen teilweise auf der Basis der ihr vorliegenden Arbeitsmarktzahlen vorgenommen. Demnach zeigt sich der Arbeitsmarkt „für Ingenieure der Maschinen- und Fahrzeugtechnik nach wie vor sehr positiv“. Vor allem im Süden und Westen Deutschlands haben die Firmen der Fahrzeugtechnik demnach „Schwierigkeiten, offene Stellen in angemessener Zeit zu besetzen“. Im Maschinenbau sei dagegen in den kommenden Jahren „mit einer Beseitigung noch vorhandener Engpässe zu rechnen“.
In Mechatronik, Energie- und Elektrotechnik blickt die Arbeitsagentur eher verhalten in die Zukunft. Einerseits sei die Zahl der offenen Stellen in der jüngeren Vergangenheit gestiegen, andererseits sei die Beschäftigung insgesamt tendenziell eher rückläufig: „Hier könnte eine Aufgabenverlagerung von der Elektrotechnik hin zur (technischen) Informatik eine Rolle spielen“, heißt es aus der Agentur.
Unabhängig von der Fachrichtung sieht die Bundesagentur besonders gute Berufschancen in Forschung und Entwicklung sowie Konstruktion und Produktion. Im Jahr 2016 stieg die Zahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich um rund 13.000; mit einem Plus von rund 10.000 Stellen auf 203.000 Arbeitsplätze nahmen Forschung und Entwicklung dabei den größten Aufschwung.
Experte rät zur Vorsicht bei der Spezialisierung
Einen Boom auf der Studentenseite verzeichnet die Bundesagentur im weiten Feld des Wirtschafts- und des allgemeinen Ingenieurwesens. Im Studienjahr 2015/2016 waren 107.000 angehende Wirtschaftsingenieure an den Hochschulen immatrikuliert, im allgemeinen Ingenieurwesen waren 46.000 Studenten eingeschrieben. Jeder zweite Ingenieurstudent hat sich damit für diese breite Ausbildung entschlossen, 2009 war es erst jeder Vierte.
Das deckt sich mit Funks Beobachtung, dass immer mehrere Allrounder gefragt sind. „Sicherlich werden immer wieder Spezialisten benötigt“, meint Funk. Die Zweistufigkeit des Studiums mit Bachelor- und Masterabschlüssen beinhalte die Chance, sich marktgerecht zu spezialisieren. „Die Basis muss solide sein, dann kann man mit dem Master eine passgenaue Spezialisierung draufsatteln“, rät Funk.
Von ausgesprochenen Spezialstudiengängen rät der Fachmann ab. Vor wenigen Jahren habe es einen Boom in der Fachrichtung Solartechnik gegeben. Doch von heute auf morgen brach der Arbeitsmarkt nahezu vollständig zusammen: „Als die Solarindustrie in Richtung China abwanderte, gab es hier kaum noch Bedarf für diese spezialisierten Ingenieure.“ Gegen die Spezialisierung spricht auch ein grundlegender Trend zu komplexen Projekten in der Industrie. Team- und Projektarbeit verlangen entsprechende Social Skills. „Interdisziplinäres Arbeiten steht immer mehr im Mittelpunkt und damit auch die Fähigkeit, mit Experten aus anderen Fachrichtungen kommunizieren zu können“, erläutert Funk.
Grundsätzlich rät der VDI-Experte Nachwuchskräften, sich bei der Berufswahl einer alten Tugend zu bedienen: „Wir raten ganz klar, nach den eigenen Neigungen über Branche und Fachrichtung zu entscheiden.“ Zu den fächer- und branchenübergreifenden Studierenden gehört ganz klar der Wirtschaftsingenieur: „Das ist eine eigene starke Disziplin mit einem eigenen Einsatzgebiet an der Schnittstelle zwischen Technik, Vertrieb und Management geworden“, so Funk.
Zukunftsszenario Ingenieurarbeitsmarkt 2029
IW Köln und VDI haben ein gemeinsames „Szenario-Tool Ingenieurarbeitsmarkt 2029“ entwickelt. Dieses Werkzeug ist auf den Seiten des VDI abrufbar und erlaubt jedem angehenden Ingenieur und jeder angehenden Ingenieurin, die grobe Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt selbst zur prognostizieren. Das interaktive Werkzeug kombiniert verschiedene Einflussfaktoren und errechnet daraus den groben Bedarf an Ingenieuren in den kommenden Jahren.
Dieser Beitrag erschien im Magazin „Ingenieurkarriere“ der VDI nachrichten.
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