Demographischer Wandel: Vor allem Ingenieure sind gefragt
Die Zahl der Studienanfänger in den Ingenieurwissenschaften steigt in Deutschland stetig. Gelingt es aber nicht, sie im Studium zu halten, droht ein böses Szenario: Die aus dem Berufsleben ausscheidenden Fachkräfte können nicht ersetzt werden.
Deutsche Unternehmen haben es nicht leicht. Arbeitgebern in Berlin und Frankfurt falle es schwerer als Unternehmen in New York, London oder Kopenhagen, an Fachleute zu kommen. Schuld daran seien vor allem der Mangel an Fachkräften sowie die Überalterung der deutschen Gesellschaft. Das hat die Personalberatung Aon Hewitt in einer Umfrage an 131 Standorten herausgefunden.
Deutsche Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber bestätigt im Magazin „Capital“: „42 % unserer Mitarbeiter sind heute über 50 Jahre alt. Viele werden in den Ruhestand gehen.“ Man entwickle sich vom Rationalisierer zum Rekrutierer.
Demographischer Wandel ist das zentrale Problem
Es kommt Bewegung in die Personalpolitik der Unternehmen. Das drängende Problem des demografischen Wandels dürfe aber auch nicht auf die lange Bank geschoben werden, betonen Wissenschaftler des HIS-Instituts für Hochschulforschung (HIS-HF) und des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung (NIW) in einer gemeinsamen Studie zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands.
Schon bis 2021 seien mindestens 209 000 Naturwissenschaftler und Ingenieure in der gewerblichen Wirtschaft zu ersetzen, 78 000 davon in den wissensintensiven Dienstleistungen, 57 000 im wissensintensiven verarbeitenden Gewerbe. Prozentual gesehen beträgt der Anteil der Personen in der Altersklasse der 55- bis 64-Jährigen 13,4 % – höher als in allen anderen europäischen Vergleichsländern. Demgegenüber stünden zu geringe Zuwächse bei Studienanfängern, vor allem aber bei Absolventen. Ab Mitte des nächsten Jahrzehnts werde der jährliche Ersatzbedarf demografisch bedingt deutlich höher ausfallen – bei gleichzeitig immer weniger Nachwuchs.
Fachkräftemangel: Naturwissenschaftler und Ingenieure sind gefragt
Parallel zu dieser Entwicklung verzeichnen die Forscher eine wachsende Bedeutung wissensintensiver Sektoren an der gesamtwirtschaftlichen Produktion. Im Vergleich zu angelsächsischen und skandinavischen Ländern, aber auch zu Überseestaaten, setze Deutschland in diesen Bereichen zu selten auf wissenschaftlich geschultes Personal. Hierzulande arbeiteten im Bereich Forschung und Entwicklung 59,5 % Wissenschaftler, beim Spitzenreiter Südkorea sind es 78,8 %, haben Forscher von HIS-HF und NIW ermittelt. Die Hochschulen seien gefordert, die Studienanfänger besser zu betreuen, um Studienabbrüche zu reduzieren.
Die Ausgangslage könnte schlechter sein, junge Menschen drängen an die Hochschulen: Bis 2020, wenn der demografische Wandel zum Abschmelzen des Studentenbergs führt, rechnet das Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie mit bis zu 1 Mio. Erstsemester – was eine Aufstockung des Hochschulpaktes um den vierfachen Betrag benötige. Laut Statistischem Bundesamt nahmen im Studienjahr 2011 bereits 515 833 Studienanfänger ihr Studium an einer deutschen Hochschule auf – weit mehr als Politik und Wissenschaft vermutet hatten.
Trotz Hochschulpakt: Bis zu 300 000 Studienplätze zu wenig
„Der Hochschulpakt hilft, den derzeitigen Peak bei der Zahl der jährlichen Studienanfänger abzufedern“, sagt Michael Leszczensky, Geschäftsführender Leiter des HIS-Instituts, um anzufügen: „Angesichts der erwarteten hohen Studienanfängerzahlen scheinen die bereitgestellten Mittel nicht auszureichen. Legt man die aktuelle Vorausberechnung der Studienanfängerzahlen durch die Kultusministerkonferenz zugrunde, weist der Hochschulpakt bis 2015 eine Unterdeckung von etwa 300 000 Studienanfängerplätzen auf.“
Vorausberechnungen für Bildung und Arbeitsmarkt aber bleiben in wirtschaftlich wackligen Zeiten vage. Das verunsichert zwangsläufig die Studierenden. Um beruflich auf Nummer sicher zu gehen, entscheiden sich laut HIS knapp drei Viertel der deutschen Bachelorabsolventen für eine Weiterbildung im Master.
Den Bachelor will Markus Finck vom Bereich Beruf und Gesellschaft im VDI deshalb nicht infrage stellen: „Er ist ein berufsqualifizierender Abschluss. Unternehmen suchen gezielt nach diesen Ingenieuren, weil sie sie früh an Bord haben wollen.“ Bachelorabsolventen starteten „unter exzellenten Bedingungen“.
Ein Beitrag von: