„Deutsche Ingenieure sind weniger flexibel als ihre polnischen Kollegen“
Von der Öffnung der Grenzen und der daraus resultierenden Liberalisierung des Arbeitsmarktes erhoffen sich Wirtschaft und Politik eine erhöhte Zuwanderung ausländischer Ingenieure. Aber sind überhaupt Fachleute – etwa aus Polen – an einem Wechsel in den Westen interessiert? Ein Gespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler Witold Malachowski, ehemaligem Vorstand und bis 2007 Vertreter der VW AG in Posen.
VDI nachrichten: Werden Ländergrenzen in Bezug auf den Arbeitsmarkt künftig eine immer geringere Rolle spielen?
Malachowski: Die Grenzen zwischen den EU-Ländern spielen keine Rolle bei Waren-, Ideen- und Arbeitskräfteaustausch. Auch Deutschland hat über sieben Jahre hinweg allmählich die Hindernisse auf seinem Arbeitsmarkt abgeschafft. Jetzt hat man in Deutschland aber mit Erstaunen festgestellt, dass das Interesse der Polen am deutschen Arbeitsmarkt auf unverändertem Niveau geblieben ist.
Also wird es nach Öffnung der Grenzen auch künftig keinen Zustrom polnischer Ingenieure geben?
Persönlich sehe ich das nicht. Die Sprachbarriere ist dabei eine wesentliche Hürde. Ein Ingenieur aus Polen muss beim Wechsel zum westlichen Nachbarn die deutsche Sprache und die Fachtermini beherrschen. Polnische Ingenieure sprechen in der Regel zwar ziemlich gut Englisch, das wird ihnen aber kaum nutzen, weil die deutschen Ingenieure Englisch nicht als vorrangige berufliche Kommunikationssprache verstehen.
Was sonst hindert polnische Ingenieure, nach Deutschland zu wechseln?
In den vergangenen Jahren hat sich die Lage dieser Berufsgruppe in Polen völlig verändert. Die Gehälter sind systematisch nach oben geklettert. Ingenieure und Ingenieurinnen, die aus materiellen Gründen ausreisen wollen, bleiben meist nur für kurze Zeit im Ausland. Sie wissen, dass, wenn sie für längere Zeit fortbleiben, ihre Arbeitsplätze in Polen von anderen Fachleuten eingenommen werden könnten. Es entsteht also eine Angstbarriere, eine psychologische Barriere.
Wo liegen die wesentlichen Überschneidungen in der Mentalität polnischer und deutscher Ingenieure?
Ich habe über einige Jahre polnische und deutsche Ingenieure aus direkter Arbeitsnähe beobachtet. Disziplin, Verantwortung, Produktivität – hier werden die Unterschiede immer kleiner. Die wirtschaftliche Entwicklung erfordert neue Verhaltensmuster. So sind Arbeitnehmer in Polen heute pünktlicher als früher und sie erfüllen ihre Pflichten disziplinierter. Hocheffiziente Teamarbeit führt dazu, dass schwächere Glieder nicht selten aus der Gruppe herausfallen. Ähnlich wie in Deutschland.
Und die Unterschiede?
Es ist unverkennbar, dass es große Unterschiede in den Ausbildungswegen gibt. Die Ausbildung eines polnischen Ingenieurs ist breiter, sie besteht aus einer größeren Zahl humanistischer Studieninhalte als es in Deutschland der Fall ist. Ein deutscher Ingenieur ist ein Fachmann in einer besonders schmalen Spezialisierung. Deshalb ist sein fachliches Mobilitätspotenzial kleiner als das des polnischen Ingenieurs. In Polen haben wir ein stärkeres Interesse, unser Wissen zu erweitern als in Deutschland. Das verdeutlicht nichts besser als der große Stellenwert, den bei uns in Polen das Aufbaustudium genießt.
Sie halten den deutschen Ingenieur für weniger flexibel als seinen polnischen Kollegen?
Das liegt auch an der steifen Diensthierarchie in Deutschland. Ein Arbeitnehmer auf niedriger Hierarchiestufe ist in seiner Unabhängigkeit stark begrenzt. Der Vorgesetzte genießt eine formale Autorität, die er sich nicht mehr erkämpfen muss. In Polen muss der Vorgesetzte seine Autorität Stück für Stück aufbauen.
Ich möchte ein Beispiel nennen, wie sehr sich die polnischen Mitarbeiter als wichtiger Bestandteil ihres Unternehmens fühlen und an dessen Schicksal teilhaben: Als wir im Volkswagenwerk Polen das Ideenmanagement einführten, war das große Feedback der Mitarbeiter – auch von Seite derer mit vergleichsweise einfachen Jobs – auch für uns überraschend. Natürlich hat der Ideengeber einen entsprechenden Bonus bekommen. Es kamen sehr viele gute Ideen zusammen.
Stellen polnische Unternehmen auch deutsche Ingenieure ein, obwohl die polnische Ausbildung – wie Sie sagen – mindestens genauso gut ist?
Ja, aber entscheidend bleiben die Kompetenzen sowie die Lohnverhandlungen, denn die Lohnansprüche polnischer Ingenieure sind wesentlich niedriger als die der deutschen Ingenieure. Obwohl die Lohnschere nicht so weit auseinanderklafft wie in der Vergangenheit, dürfte das Verhältnis 1:3 betragen.
Sie verfolgen seit Jahren die Beziehungen und Kontakte zwischen polnischen und deutschen Ingenieuren. Was fällt Ihnen besonders auf?
Es ist für viele Deutsche sehr schwer, negative Vorurteile zu überwinden. Sie sind noch immer fest verankert. Wenn ein Pole ein Unternehmen vor die Wand gefahren hat, dann heißt es: „Die Polen sind eben so.“ Da tritt manchmal eine gewisse deutsche Überheblichkeit zutage.
Die Deutschen leben in der tief verwurzelten Überzeugung, dass sie Weltspitze sind – nicht nur in der Wirtschaft. Das betrifft den Glauben an das deutsche Auto ebenso wie den Fußball. Dieses Überlegenheitsgefühl ist nicht immer förderlich, wenn es um internationale Kooperationen geht.
Es wohnen viele deutsche Ingenieure in Polen. Ändert sich nach einem längeren Aufenthalt in Polen die Einstellung der Gäste gegenüber dem Gastgeberland?
Am schnellsten verändert sich die Haltung eines deutschen Ingenieurs gegenüber Polen, wenn er eine Polin heiratet. Er wird dadurch zum Botschafter Polens, er baut hier ein Haus, lernt die polnische Sprache und die polnische Küche schätzen. Ich kenne viele solcher Beispiele.
Andererseits bilden viele Deutsche, die mit ihren Familien hierhin kommen, Enklaven. Sie sind sie nicht so tief in der polnischen Gesellschaft verankert wie ihre Kollegen, die Polinnen geheiratet haben. Sie sind weniger an Kontakten interessiert, lernen weder die polnische Sprache noch die polnische Kultur kennen. Die Arbeit in Polen betrachten sie nur als eine vorübergehende Beschäftigung – in der Regel aber als eine sehr attraktive. Sie können bei geschickter Verhandlungsführung mehr verdienen als in Deutschland und haben die Möglichkeit, ihrer Karriere durch die hinzu gewonnene Internationalität einen weiteren Schub zu verleihen.
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