Die Doppel-Präsidentin
Sie hat nach links und rechts geschaut, die Möglichkeiten ausgelotet, Hindernisse beseitigt, um dann ihre „grünen“ Karrierewünsche zu verfolgen. Mit viel Leidenschaft und starkem Willen hat es die naturverbundene Ingenieurin Sabine Kunst zur Präsidentin der Universität Potsdam und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes gebracht.
„Die Universität ist finanziell stehend k. o.“ Das klingt dramatisch, besonders aus dem Munde einer Frau, die Sachverhalte für gewöhnlich mit der Nüchternheit der Wissenschaftlerin betrachtet.
Der Hintergrund: Sabine Kunst ist keinesfalls gewillt, die vom klammen Land Brandenburg eingeforderten 4,5 Mio. € Rücklagen kampflos zu erstatten, die sie als Präsidentin der Universität Potsdam verwaltet. Sabine Kunst hält das Vorgehen des Landes schlichtweg für unredlich. Auf große emotionale Gesten, die diese Feststellung unterstreichen, wartet man vergeblich. Sabine Kunst ist eine Frau, die lieber „klare Kante“ zeigt – das erleichtert vieles. Zielorientiert muss ihr Denken und Handeln als Hochschulmanagerin sein. Deshalb wählt sie ihre Worte mit Bedacht.
„Mir persönlich hat sicherlich mein fester Wille dabei geholfen, meinen Weg zu finden und meinen Platz zu behaupten.“ Das sei ihr nicht immer leicht gefallen. Neben großer Beharrlichkeit sei ihr auch das Glück zu Hilfe gekommen. Das Glück, einen Ehemann zu haben, der sein Arbeitsleben flexibel einteilen konnte, und einen verständnisvollen Doktorvater, der damals für seinen hochschwangeren Schützling eine Menge Verständnis zeigte.
Trotzdem hätten sich auf dem eigenen Karriereweg immer noch genügend Stolpersteine gefunden. Auch heute noch hätten es junge Frauen trotz erkennbarer gesellschaftspolitischer Fortschritte nicht leicht, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. „Was mich als Projektleiterin aber immer wieder erstaunt hat, war, wie schnell junge Mütter Verantwortung für große Projekte ablehnen und sich im Interesse der Familie entschließen, vorübergehend aus dem Berufsleben auszusteigen.“
Längst nicht immer, aber immer häufiger seien Beruf und Familie vereinbar. Die Universität Potsdam stünde im Ruf, diesen Spagat besonders gut hinbekommen. Das erleichtere Studierenden und Wissenschaftlern das Leben und der Hochschule die Personalgewinnung.
Rückblickend wertet Sabine Kunst die Zeit nach der Promotion als die schwierigste Phase im Berufsleben einer Wissenschaftlerin. „Der Schritt zur Professur ist von vielen Unwägbarkeiten und auch dem Risiko des Scheiterns begleitet. Es ist immer schwer, den Flaschenhals weniger Stellen zu passieren. Notgedrungen bleiben viele zurück, die sich neue Wege in Wissenschaft oder Wirtschaft suchen müssen. Das ist schwer und fordert Mut und Engagement.“
Netzwerke seien nicht weniger wichtig als fachwissenschaftliche Qualifikationen. „Frauen lernen das noch immer spät und schwer. Man muss den Aufbau eines Netzwerkes aber als notwendig und sinnvoll akzeptieren und für sich nutzen.“ Wer sich zwischenzeitlich aus dem Berufsleben verabschiede, um sich – auch dafür habe sie Verständnis – intensiver um die Kinder zu kümmern, dem falle das Knüpfen von Verbindungen zwangsläufig viel schwerer.
Die Familie hat Sabine Kunst, selbst eines von sieben Kindern und Mutter von drei erwachsenen Sprösslingen, ebenso geprägt wie ihre norddeutsche Heimat. „Familie ist mir ungeheuer wichtig. Und ich bin sehr naturverbunden und im christlichen Sinne dem Erhalt der Welt verpflichtet. Nicht die größte Brücke fasziniert mich, sondern der beste Beitrag zur Reinhaltung der Gewässer.“
Auch deshalb entschied sich Sabine Kunst, Biologie, Chemie und Politikwissenschaft zu studieren. „Das war mir aber nicht praxisbezogen genug.“ Über Weiterqualifizierungen landete sie bei den Bauingenieuren der Uni Hannover. Dort promovierte sie in Wasserwirtschaft und Siedlungswasserwirtschaft.
Der Wechsel ins Ausland lag nahe. Dorthin, wo die Not groß war. Im chinesischen Guangzhou nahm Sabine Kunst Biogasanlagen in Betrieb, in Bolivien und Peru entwarf sie Anlagen zur Reinigung völlig verdreckter Flüsse.
Für Vertreter von mehr als 200 deutschen Hochschulen war klar: Eine Frau mit so viel Auslandserfahrung eignet sich als Nachfolgerin des Anfang diesen Jahres gestorbenen DAAD-Präsidenten Stefan Hormuth. Seit dem 1. Juli 2010 leitet die 55-Jährige nun den Deutschen Akademischen Austauschdienst.
Braucht Sabine Kunst den Mehrfachstress? „Ja, offenbar schon“, sagt sie und lacht. Aber sie empfinde die Doppel-Präsidentschaft keineswegs als extremen Stress, eher als reizvoll: „Es fordert meine eigenen Managementfähigkeiten noch einmal besonders heraus.“
In vier Jahren Hochschulpräsidentschaft habe Sabine Kunst viel Gutes auf den Weg gebracht, attestieren ihr Insider. Unter ihrer Leitung habe die Uni Potsdam an Internationalität und über Schwerpunktsetzungen, unter anderem in den Umweltwissenschaften, an Profil gewonnen.
Allerdings sei sie als Uni-Präsidentin heute weit weg von der Ingenieurin Sabine Kunst – „was meine Liebe zur Fachdisziplin nicht schmälert“. Leider sei bei vielen begabten jungen Frauen der gleiche Funke nicht übergesprungen. „Oft fehlt ihnen im Berufsbild Ingenieurin der Bezug zum Menschen. Es erstaunt mich immer wieder, dass man den Maschinenbau als Beschäftigung mit Maschinen versteht und nicht als Aufgabe im Sinne des Nutzers, also des Menschen. Vielleicht ist eine stärkere Betonung der Interdisziplinarität im Studium eine Brücke, um die harten Ingenieurwissenschaften auch für Frauen attraktiver und zugänglicher zu machen.“
Ganz in diesem Sinne engagiert sich die erfolgreiche Hochschulmanagerin – und das, obwohl es an der Universität Potsdam selbst nur sehr wenige ingenieurwissenschaftliche Studiengänge gibt. WOLFGANG SCHMITZ
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