„Die Wettbewerbsfähigkeit der Produktion in Deutschland ist gefährdet“
Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück. Die Rezession in Europa hinterlässt auch hierzulande deutliche Spuren in der volkswirtschaftlichen Statistik. Kippt jetzt auch in Deutschland die Konjunktur? Fragen an Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz.
Heise: Treiber der deutschen Konjunktur waren im ersten Quartal die gute Nachfrage der privaten Haushalte und die Industrieproduktion, die von Exportaufträgen profitierte. Hinzu kam eine gewisse Belebung bei der Lagerhaltung: Die Unternehmen haben ihre zuvor deutlich abgebauten Lagerkapazitäten im letzten Quartal wieder vorsichtig aufgestockt, was für einen gewissen Zukunftsoptimismus spricht.
Zum einen belebt sich die Weltwirtschaft. Insbesondere darf man dabei die Bedeutung der Rohstoffpreise nicht unterschätzen. Die Preise für Öl, Metalle und andere Rohstoffe hatten während des Aufschwungs 2010/2011 kräftig angezogen. Das trug wesentlich zu der spürbaren Abkühlung der Weltwirtschaft im vergangenen Jahr bei. Jetzt haben wir den gegenteiligen Effekt: Die Rohstoffpreise sind teils deutlich gesunken. Das hat zu niedrigeren Inflationsraten geführt und die Notenbank zu einer großzügigeren Liquiditätsversorgung und zu Zinssenkungen veranlasst.
Zum anderen hat die Eurokrise nicht mehr die frühere Brisanz und Dramatik: Nach der Beruhigung an den Finanzmärkten rechnen die Unternehmen überwiegend nicht mehr damit, dass der Euro abgelöst wird.
Bei den Ausrüstungsinvestitionen ist es im vergangenen Jahr hierzulande in der Tat zu einem kräftigen Rückgang gekommen. Und diese Entwicklung hat sich in den ersten Monaten 2013 weiter fortgesetzt. Die Ausrüstungsinvestitionen befinden sich auf einem viel zu niedrigen Niveau. Modernisierung sowie Erweiterung des Kapitalstocks leiden. Der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Produktion hierzulande ist gefährdet. Das muss man konstatieren und thematisieren.
Das ist derzeit schwer abzusehen. Wir haben im Herbst die Bundestagswahlen. Sie setzen für Investoren immer ein Fragezeichen und sorgen für Zurückhaltung. Ferner gibt es selbst gemachte Probleme, die die Unternehmen abschrecken. Dazu gehört die Energiewende mit unbekannten Auswirkungen. Es gibt Angst vor sehr hohen Strompreisen. Probleme existieren auch bei der Infrastruktur, wie den Stromtrassen und Verkehrsnetzen. Eine Steuererhöhungsdiskussion kommt hinzu.
Deutschland wird zweifellos von der Erholung der Weltwirtschaft profitieren, weil es gut im Export aufgestellt ist. Vor allem ist es den deutschen Unternehmen gelungen, den Ausfuhrrückgang in die Eurokrisenländer durch Mehrexporte in außereuropäische Länder auszugleichen. Es zeigt, dass sich die Unternehmen an die Gegebenheiten auf den internationalen Märkten gut anpassen können.
Kurzfristig sicherlich noch nicht in dem Maße, wie wir uns das wünschen. Die Konsolidierungsbemühungen müssen fortgesetzt werden. Das wird die Nachfrageentwicklung dämpfen. Dennoch halte ich die Stimmungsindikatoren, die sich in den Problemländern teils deutlich verbessern, nicht für trügerisch. Die Exporte in Griechenland, Spanien und auch in Portugal legen zu – von Irland gar nicht zu sprechen. In Spanien bewegt sich das Wachstumstempo der Ausfuhren seit zwei bis drei Jahren sogar etwa auf deutschem Niveau. Die Leistungsbilanzen dieser Länder verbessern sich deutlich.
Ja, seit 2010 sind etwa die griechischen Importe um 8 % zurückgegangen. Die Exporte sind gleichzeitig um 29 % gestiegen. Preissenkungen schlagen zu Buche und das Waren- und Dienstleistungsangebot verbessert sich. Das hat die Chancen des Landes an den internationalen Märkten erhöht. Griechenland hat es mittlerweile geschafft, seine Leistungsbilanz auszugleichen. Ähnlich sieht es in den anderen südlichen Eurostaaten aus. Ich bin zuversichtlich, dass diese bessere Entwicklung anhalten wird.
Die wirtschaftliche Stabilisierung im Euroraum hat noch nicht die von der Notenbank erhofften Fortschritte gemacht. Ein schwächerer Konjunkturverlauf einerseits und eine sich abschwächende Inflation sowie moderate Inflationserwartungen andererseits waren für den Entschluss ausschlaggebend.
Längerfristig ist es ganz wichtig, dass sich die Zinsentwicklung wieder normalisiert, dass die Zinsen also wieder steigen. Das haben vor allem die Versicherungswirtschaft und die Banken, die die Interessen der Sparer vertreten, immer wieder gefordert.
In der Tat liegen die Kreditzinsen in den südlichen Staaten weit über dem Niveau in Deutschland. Angesichts einer Leitzinssenkung von einem Viertel Prozent-Punkt fragen die Unternehmen in den Problemländern, warum die EZB nicht noch mehr tut.
Weil der Grund für die hohen Zinsen weniger im Bereich der Geldpolitik liegt. Die Kreditzinsen für Unternehmen spiegeln vor allem das Staatsrisiko und die Unsicherheit über den Fortbestand des Euro wider. Will zum Beispiel ein italienischer Energiekonzern erfolgreich Anleihen begeben, so kann er keinen Anleihezins bieten, der unter dem des italienischen Staates liegt. Das akzeptieren die Märkte nicht.
Sie signalisiert den Märkten, dass die EZB den in Gang gekommenen Zinssenkungsprozess für Staatsanleihen durch die Leitzinssenkung flankieren möchte. Damit trägt sie dazu bei, die Risikoprämien für die Unternehmen in den südlichen Ländern zu mindern.
Eine Arbeitsgruppe der EZB und der Europäischen Investitionsbank (EIB) arbeitet schon seit geraumer Zeit an Ideen, wie man die Kreditvergabe an Unternehmen stimulieren kann. So soll zum Beispiel die EIB, die mit einer Kapitalgarantie der EU-Mitgliedsländer ausgestattet ist, noch stärker in die zinsgünstige Finanzierung von Unternehmen der Problemstaaten eingebunden werden…
Vor einer solchen Strategie ist zu warnen. Die EZB kann dem Verbriefungsmarkt allenfalls einen Anschub geben, sollte aber nicht die Risiken der Unternehmensfinanzierung direkt in ihre Bilanz aufnehmen.
Ja, die Auswirkungen auf den Sparer sind nicht zu unterschätzen. Die Zinserträge sinken in Deutschland seit Jahren. Das ist nicht allein Folge des äußerst niedrigen Zinsniveaus. Es hat auch damit zu tun, dass die Sparer ihre Anlagen von längeren Laufzeiten auf kurzfristige umgeschichtet haben. Die sind schnell liquidierbar, was ihrem Sicherheitsbedürfnis entgegenkommt.
Ja, zum einen gibt es niedrigere Erträge durch den Zinsrückgang und zusätzlich schrumpfen die Zinserträge durch die Umschichtungen der Portfolien. Infolge der geringeren Zinseinnahmen wächst das Geldvermögen der privaten Haushalte nur relativ langsam. In jüngsten Veröffentlichung der EZB zur Vermögenssituation in Europa, schneidet Deutschland schlecht ab.
Allerdings hat das mit dem Zeitpunkt der Erhebung zu tun. Zum Zeitpunkt der Untersuchung befanden sich viele Länder Europas im Immobilienboom und die Immobilienpreise auf ihrem Höhepunkt, während am deutschen Immobilienmarkt absolute Stille herrschte. Heute sähen die Zahlen anders aus.
Ja, wir erleben eine Umverteilung vom Sparer zu den Schuldnern, seien es Unternehmen, private Haushalte oder auch Staaten. Sie profitieren, denn sie können zu günstigen Zinsen Kredite aufnehmen oder ihre Zinslasten durch Umschuldungen senken. Solange die Zinsen unterhalb der Inflation liegen, wird sogar der Bestand an Vermögen auf der einen und die Schulden auf der anderen Seite real entwertet. Diese Umverteilung muss unbedingt zeitlich begrenzt werden.
Der Zeitpunkt für eine Normalisierung der Zinspolitik ist gekommen, so bald sich die Konjunktur im Euroland gefestigt hat.
Ja, die Rezession ist in der Eurozone noch nicht überwunden. Im ersten Quartal gab es ein Minus von 0,2 %.
Ich will hier nicht pro domo reden. Aber ich muss angesichts der gegenwärtigen öffentlichen Diskussionen, die vor allem vor Lebensversicherungen warnen, eine Lanze für diese zukunftsorientierte Anlageform brechen. Lebensversicherungen können die Gelder ihrer Kunden breit streuen und auch in einem schwierigen Umfeld gute Renditen erzielen. Das hat sich in der Finanzkrise gezeigt. Wer einen alten Lebensversicherungsvertrag hat, sollte ihn auf alle Fälle im Portefeuille halten. Aber auch die Neuanlage in Lebensversicherungen ist derzeit noch attraktiv: Immerhin gibt es die gesetzliche Mindestverzinsung von 1,75 %. Die tatsächlichen Ausschüttungen lagen auch zuletzt im Durchschnitt nahe bei 4 %.
Die Aktienkurse werden in starkem Maße von niedrigen Zinsen und vorhandener hoher Liquidität getrieben. Ich gehe davon aus, dass die Zinsen vorerst niedrig bleiben werden und die weltweite Konjunktur nach der Schwäche in 2012 wieder etwas besser wird. Auch die soliden Fundamente der Unternehmen sprechen eher noch für eine Fortsetzung des guten Börsenklimas.
Im Übrigen: Wenn in diesen Tagen von Rekordständen des Dax geredet wird schließt das die kumulierten Dividendenzahlungen mit ein. Aber wenn wir die Kurse ex Dividende betrachten, dann hinken wir den Höchstständen der Jahre 2000 oder 2007 noch weit hinterher.
Ich glaube, dass es sich hier im Bundesdurchschnitt um eine gesunde Korrektur handelt, die die lange Zeit relativ niedrigen Immobilienpreise wieder auf ein angemesseneres Niveau bringt. Dieser Prozess dürfte sich noch fortsetzen. Das schließt aber nicht aus, dass es auf regionalen Teilmärkten durchaus zu Übertreibungen kommen kann, wo Investoren viel Geld verlieren können, wenn sie zu spät eingestiegen sind.
Ich rechne damit dass die Zahl der Beschäftigten im weiteren Verlauf dieses Jahres und 2014 im Zuge einer konjunkturellen Erholung wieder beschleunigt zunehmen wird. Ein weiterer Rückgang der Arbeitslosigkeit lässt sich dagegen nur schwer prognostizieren, zumal wir derzeit eine hohe Zahl an Zuwanderern registrieren, von denen sich ein Großteil dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen dürfte.
Der Konsum ist vor allem von der Beschäftigungslage abhängig. Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass die Unternehmen die Zahl ihrer Beschäftigten reduzieren wollen. Auch werden die zunächst noch anhaltend niedrigen Inflationsraten und die verbesserte Lohnentwicklung die Kaufkraft der Verbraucher stärken und für eine anhaltend gute Konsumlaune sorgen. Wir rechnen mit einer weiterhin lebhaften Konsumkonjunktur in Deutschland, die der wirtschaftlichen Entwicklung eine gute Grundlage geben wird.
Ein Beitrag von: