Disruption – welche Branchen Anleger jetzt meiden sollten
Radikale Umbrüche suchen mittlerweile immer mehr Sektoren heim. Anleger sind besonders gefragt, diese Entwicklungen zu beobachten. So genannte „Witwen- und Waisenaktien“ sind zunehmend rar gesät
Das Neue hat schon immer das Alte ersetzt, wenn es besser war. Aber die Geschwindigkeit, mit der neue Anbieter mittlerweile Sektoren umdefinieren, ist schon atemberaubend. Ob Automobil, Öl & Gas, Finanzdienstleistungen, Handel, Medien oder auch Pharma und Telekom – kaum eine Branche ist vor radikalen Umbrüchen gefeit.
Unternehmen wie Uber und Lyft vermitteln weltweit zig Millionen Fahrten pro Tag, obwohl es sie vor zehn Jahren noch nicht einmal gab. Sie schicken sie sich nicht nur an, den Taximarkt neu zu gestalten, sondern wollen dabei helfen, die komplette Mobilität neu zu definieren. Das eigene Auto soll gar passé sein in ein paar Jahren. Nur eine von vielfältigen Herausforderungen für Automobilhersteller derzeit. Denn es ist unbestritten, dass die Nutzungsraten des eigenen Pkw beschämend gering sind. Kaum Fahrten über 5 Kilometer, rund 23 Stunden steht der eigene PKW ungenutzt auf einem Parkplatz.
Gute Zeiten für junge Herausforderer
Dazu kommen regulatorische Anforderungen, dass der CO2-Ausstoß doch bitteschön sinken soll, was neuen Wettbewerbern wie Byton, Tesla und vielen mehr in die Karten spielen kann. Fällt doch bei einem Elektroauto die aufwendige Entwicklungsarbeit für den Motor weg. Die restlichen Bestandteile des Neuwagens werden auch bei etablierten Herstellern zu einem Großteil von Zulieferern bezogen.
Genau diese Arbeitsteilung mit vielen Industriestandards weltweit ist verantwortlich dafür, dass die Hürden für die Neugründung eines Herausforderers so drastisch gefallen sind. Ohne das Know-how der Zulieferer hätte Tesla es nie geschafft, von Null auf knapp 100.000 ausgelieferte Pkw im 2. Quartal 2019 zu kommen. Standardisierte Software vom Verwaltungssystem bis zum „Customer Relationship“-Programm in Verbindung mit zahlreichen Outsourcing-Möglichkeiten sind die Grundlage dafür, dass neue Unternehmen schnell Fuß fassen können.
Bei Apples iPhone, einer Coca-Cola oder den Adidas Sneakers kann es zum Beispiel vorkommen, dass kein einziger Apple-, Coca-Cola- oder Adidas-Mitarbeiter je das eigene Smartphone, die eigene Cola oder den eigenen Schuh vor der Auslieferung in Händen gehalten hat. Der gesamte Produktionsprozess ist ausgelagert. Netflix greift bei der Produktion von Inhalten wie Filmen oder Serien, auf externe Produktionsfirmen zurück. Die Inhalte werden abgespeichert auf der Amazon Cloud.
Platzhirsche verlieren nur einzelne Marktsegmente
Aber es gibt auch eine gute Nachricht für Investoren, deren Firmen derzeit von Disruptoren umzingelt scheinen. Sehr selten geht ein Sektor vollständig auf die neuen Unternehmen über. Meist bleiben die beiden Technologien nebeneinander bestehen. Neben dem Onlinehandel werden auch Einkaufserlebnisse in einem Laden bestehen bleiben. Nokia konzentriert sich nun auf die Netzwerktechnik, stellt aber immer noch vereinzelt Mobiltelefone ohne Smart-Funktion her, etwa das Bananen-Handy. IBM wurde nicht von Microsoft und Microsoft nicht von Apple aus dem Markt, sondern nur aus einzelnen Segmenten verdrängt.
Für Anleger gilt der Grundsatz: Unternehmen sollten bilanziell stark genug sein, Veränderungen stemmen zu können. Vorsicht bei Unternehmen, die eine hohe Verschuldung aufweisen.
Disruptive Märkte, die Anleger beobachten sollten
Autos werden auch in Zukunft hergestellt werden, erst wenn das autonome Fahren wirklich kommt, könnten die Stückzahlen deutlich zurückgehen. Investoren sollten allerdings Hersteller von Komponenten in Bezug auf den Verbrennungsmotor mit Argusaugen beobachten.
Im Finanzbereich scheint es absehbar, dass die Banken den Zahlungsverkehr zunehmend an Smartphonebanken, Technologieunternehmen und Kreditkartenanbieter verlieren. Banken, die stark im Kreditgeschäft oder in Beratungsleistungen sind, sollten aber weiterhin eine Existenzberechtigung haben. Im Markt für Fondsgesellschaften wird angesichts von Robo-Advisoren eine Bereinigung stattfinden.
Bis alle Staaten der Welt auf fossile Energien wie Öl und Gas für die Mobilität und bspw. die Plastikherstellung verzichten, wird noch viel Wasser durch den Amazonas, den Mekong und den Nil fließen. Dennoch zeigt sich, dass Plastik zunehmend ohne Öl hergestellt wird und in den Tank zunehmend ein Anteil an Bioethanol beigemischt wird.
Wie kommt das Erdöl aus dem Plastik? Ein Versuch von Lego
Der Handel scheint besonders exponiert für Veränderung. Kein Wunder, denn die Bilanzen sind häufig voll mit einem teuren Warenbestand und Kunden vom Preisvergleich nur einen Klick entfernt. In Großbritannien wird in absehbarer Zeit wohl jedes dritte Einkaufszentrum geschlossen werden müssen. Viele Modemarken werden dem Zeitgeist nicht mehr gerecht. Aber auch im Supermarkt müssen sich Marken angesichts von Craft Beer und Öko-Produkten die Treue ihrer Kunden immer wieder neu versichern.
Zeitungen werden zunehmend digital konsumiert. Werbefernsehen wird als Fixpunkt im Leben der Konsumenten durch Streamingdienste, Spieleplattformen und vieles mehr an Bedeutung verlieren.
Als Anleger sollte man daher im Portfolio eine gesunde Mischung zusammenstellen – aus Herausforderern, die an der Börse oft teuer gehandelt werden, und meist spottbilligen Herausgeforderten. Denn wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte.
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