Elektrotechnik: Aussichten exzellent – Prognosen schlecht
Der Trend zur „all electric society“ steigt. Elektrotechnisches Know-how wird für die deutschen Schlüssel- und Exportindustrien immer wichtiger. Doch der Nachwuchs macht sich weiterhin rar, wie die jüngste Studie des Verbandes der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) offenbart.
In immer mehr Branchen spielen intelligente Verbindungen von Technologien und Anwendungen eine tragende Rolle. Elektromobilität, intelligente Stromnetze (Smart Grids), Ambient Assisted Living sowie Embedded Systems und Embedded Networks heißen die technischen Kern- und Schlüsseltechnologien – die Leitmärkte der Zukunft stehen buchstäblich unter Strom.
Zur Euphorie besteht dennoch kein Anlass. „Noch nie waren die Aussichten für die Elektrotechnik so gut, die Prognosen so schlecht“, kommentiert VDE-Vorstandsvorsitzender Hans Heinz Zimmer die Ergebnisse der VDE-Studie 2010.
Denn die positiven Wachstumszahlen – für 2010 und 2011 wird nach einem Einbruch im Jahr 2009 ein Wachstum von 6 % erwartet – hängen an einem seidenen Faden, der Fachkräftemangel heißt. Trotz Einstiegsgehältern von 42 000 € und der für die Mehrzahl realistischen Aussicht, dieses binnen sieben bis acht Berufsjahren um mehr als 50 % zu steigern, trotz einer selbst in Krisenzeiten niedrigen Arbeitslosenquote von unter 3 % kann von einem verstärkten Run auf die Studienfächer Elektro- und Informationstechnik nicht die Rede sein.
Im Gegenteil. „Trotz absolut steigender Studienanfängerzahlen sinkt langfristig das Interesse an diesem Studienfach leicht ab“, heißt es in der Studie.
Hinzu kommt: Probieren geht bei den derzeit rund 65 000 Studierenden in den Fächern Elektrotechnik und Informationstechnik immer öfter über Zuendestudieren. So stieg die Abbrecherquote „als Folge von Problemen bei der Umstellung der Studiengänge auf die Bachelor-/Masterstruktur“ im Zeitraum 1993 bis 2006 an den Universitäten von 40 % auf 53 %, an den Fachhochschulen von 30 % auf 40 % an.
Spätestens ab 2020 wird es der Studie zufolge eng für die Personalabteilungen, da allein der Ersatzbedarf um 22 % steigen, die Zahl der Hochschulabsolventen (2010: 8300) dagegen um 11 % sinken wird. Und auch von diesen steht nur ein Teil dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung. Bis zu 30 % aller Elektroingenieure an deutschen Universitäten sind ausländische Absolventen, die nach ihrem Studium wieder in ihre Heimat zurückkehren.
Hohe Abbrecherquoten sind die eine, eine fast schon unüberschaubare Vielzahl an Abschlüssen und so genannten Bindestrich-Studiengängen eine andere Folge der Bologna-Reform. „Insgesamt ist dies wenig vorteilhaft“, resümiert Gerald Gerlach, Vorsitzender des VDE-Ausschusses Ingenieurausbildung, den Trend zur Diversifikation und frühzeitigen Spezialisierung.
Wo selbst im grundständigen Studiengang Elektrotechnik/Informationstechnik die Stufungsmodelle variieren, die Formel mal „6+4“ (sechs Semester Bachelor, vier Semester Masterstudium), mal „7+3“ und recht selten „8+2“ heißt, die Ausrichtung sowohl anwendungs- wie forschungsorientiert sein kann, die Regelungen für Betriebspraktika zum Teil sehr verschieden sind, der Mastertitel mal den Zusatz „of Science“ mal „of Engineering“ trägt, bleibe die Vergleichbarkeit, eine Stärke der deutschen Ingenieurausbildung, auf der Strecke.
Weniger ist mehr, heißt der Appell des VDE an die Hochschulen, die neu entstandene Vielfalt der Studienabschlüsse auf ein übersichtliches Maß zu begrenzen. Auch künftig sollen grundständige Studiengänge mit breiter Grundlagenausbildung und späterer Vertiefung die klare Mehrheit der Studiengänge mit elektrotechnischem Bezug ausmachen.
Informationsdefizite und fehlende Rollenvorbilder sind die Hauptursache für den Nachwuchsmangel. „Wir müssen an allen Stellschrauben drehen, um hier die Trendwende zu schaffen – von der Information und Motivation über die Verbesserung der Ausbildung bis hin zu neuen Wegen, die weg vom Braindrain hin zum Braingain führen“, denkt VDE-Vorstandsvorsitzender Zimmer an eine Intensivierung der Zuwanderungsbemühungen und an attraktive Arbeitsplätze für hoch Qualifizierte.
Ansatzpunkte, um die bundesweit mittlerweile mehr als 1000 Aktivitäten verschiedenster Akteure zur Nachwuchsmotivation nachhaltiger zu machen, seien eine stärkere Differenzierung in Angebote für „Schaulustige“ und „technisch Interessierte“, die Verbindung mehrerer Projekte und Institutionen zu einem Gesamtkonzept sowie ein kontinuierliches Technik-Curriculum für den gesamten Bildungsweg.
Als Rollenvorbild setze vor allem der Ingenieur in der „Expertenkarriere“ positive Anreize. Denn die Angst, bei einer fachlich fokussierten Tätigkeit irgendwann den „Anschluss“ und damit den Wert auf dem Arbeitsmarkt zu verlieren bzw. den Technikbezug aufgeben zu müssen, um Karriere zu machen, spiele bei der Studienwahl durchaus eine Rolle. „Weil man als BWL- oder Jura-Absolvent eher Karriere machen kann“, lautet einer Umfrage des VDE zufolge für die Mehrheit der Professoren der Elektrotechnik/Informationstechnik der Grund dafür, dass fähige Talente für die Technik verloren gehen. HERTA PAULUS
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