EU will US-Strafzölle mit Deregulierung und Innovationen kontern
Die EU-Kommission will durch vereinfachte Regeln und Innovationen Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken. Eine Einordnung.
Inhaltsverzeichnis
- EU-Chefin von der Leyen will Trumps Zollmanie mit drastischen Maßnahmen entgegensteuern
- EU will Innovationen in Schlüsseltechnologien Vorfahrt einräumen
- Industriepolitik nicht länger zersplittert, sondern in der EU gebündelt
- Europas Unionsabgeordnete voll des Lobes für von der Leyens Initiative
- Von der Leyen beruft sich auf Draghi-Bericht zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit
- Von der Leyens Papier erinnert an Barrosos Innovationsstrategie aus dem Jahr 2000
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will die EU mit dem „Kompass Wettbewerbsfähigkeit“ neu ausrichten und so den Tanker Europa auf einen neuen Kurs zwingen. Nach fünfjähriger Vorfahrt für Anstrengungen zugunsten der Klimaschutzpolitik – Stichwort „Green Deal“ – sollen die 27 EU-Staaten mit dem „Kompass Wettbewerbsfähigkeit“ jetzt schnell auf Erfolgskurs getrimmt werden. Der Green Deal bleibt im Beiboot nur noch im Schlepptau und nimmt allenfalls im Kielwasser noch auf Fahrt.
Da ist es kein Zufall, dass von der Leyen am morgigen Mittwoch dieser Woche in Brüssel die Wettbewerbsfähigkeit als neue Losung ausgeben wird. Seit dem Amtsantritt des 47. US-Präsidenten sieht sich die Europäische Union in schwerem Fahrwasser. Denn der erneut ins Weiße Haus in Washington eingezogene Donald J. Trump will gegen Europa schweres Geschütz auffahren. Die Ankündigung, die europäische Industrie und hier vor allem Produkte der deutschen Auto-, Chemie- und Maschinenbauindustrie pauschal mit Strafzöllen von bis zu 20 % belegen zu wollen, sorgt für Krisenstimmung bei den europäischen Wirtschaftsmanagern.
EU-Chefin von der Leyen will Trumps Zollmanie mit drastischen Maßnahmen entgegensteuern
In einem 21-seitigen Papier mit dem Titel „Kompass Europa – Für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz“ wird ein neues Logbuch ausgegeben: Abbau von Bürokratie, mehr Tempo bei Genehmigungsprozessen, Vereinfachung und Verkürzung von Zulassungsprozeduren, Bürokratieabbau und Verfahrensbeschleunigung sowie abgespeckte Berichtspflichten bei Auszahlung von europäischen Fördergeldern.
Alles für ein Ziel: die Wiedererlangung von Wettbewerbsfähigkeit auf europäischer Ebene und globaler Ebene. Dazu sollen mit einem „beispiellosen Tempo“ künftig die Genehmigungsprozesse vor allem in den Mitgliedstaaten vereinfacht werden, um schneller zu Genehmigungen zu kommen. Im Wortlaut des Papiers der EU-Kommission heißt dies übersetzt: „Regeln vereinfachen und Verfahren beschleunigen!“
EU will Innovationen in Schlüsseltechnologien Vorfahrt einräumen
Die Vorgaben der Brüsseler Behörde zielen darauf ab, stärker Innovationen in Zukunftsbereichen wie künstliche Intelligenz (KI), Raumfahrt, saubere Energie oder Robotik zu fördern. Damit soll nach Vorstellung der Kommission die Produktivität der europäischen Unternehmen erhöht und diese so auf den globalen Märkten wettbewerbsfähiger gemacht werden. Flankiert werden soll dieser Ansatz mit einer neuen EU-Haushaltslinie im mehrjährigen Finanzrahmen von 2028 bis 2035. Noch in diesem Jahr will die EU-Kommission einen ersten Vorschlag unterbreiten, der auch einen „Wettbewerbsfähigkeits-Fonds“ enthalten soll.
Industriepolitik nicht länger zersplittert, sondern in der EU gebündelt
Mit Blick auf die industriepolitischen Strukturen der Vereinigten Staaten soll in Europa nach dem Vorbild der „Defense Advanced Research Projects Agency“ in den USA, kurz Darpa genannt, auch in der EU eine Agentur entstehen. Sie soll nach dem Vorbild der Darpa arbeiten, die in den USA vor allem Forschungsprojekte im Bereich der US-Verteidigungsindustrie unterstützt. Die Innovationsschwerpunkte der Darpa strahlen in den USA aber auf den gesamten Innovationskomplex und die universitäre Forschung aus.
Die Leitlinien in dem 21-seitigen Dokument lesen sich wie von der stärksten im Europäischen Parlament (EP) vertretenen Parteiengruppe der Europäischen Volksparteien, zu denen auch CDU/CSU zählen, formuliert. Entsprechend groß ist im Vorfeld das Lob der Europaabgeordneten dieser beiden Parteien. Diese hatten im Vorfeld gegenüber der Kommissionspräsidentin eine spürbare Entlastung für die Wirtschaft sowie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) gefordert. Dem Wunsch der konservativen Politikern wird mit dem „Kompass Wettbewerbsfähigkeit“ nun weitgehend entsprochen.
Europas Unionsabgeordnete voll des Lobes für von der Leyens Initiative
So lobte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber schon tags zuvor das Papier von der Leyens: „Endlich hat die Kommission die Zeichen der Zeit erkannt“, so Ferber. Gleichwohl lasse sich Wettbewerbsfähigkeit „nicht verordnen“, die Politik könne nur die Rahmenbedingungen setzen. Es sei wichtig, dass „die vielen wohlklingenden Maßnahmen“ am Ende „wirklich einen Mehrwert in der Praxis liefern“. Ferber kritisierte zudem, viele der Probleme seien „hausgemacht“. Seit Jahren prangerten Europas Christdemokraten und Repräsentanten der deutschen Wirtschaftsvertretungen das Übermaß von Regulierungen des Green Deal an, der unter der Ägide von der Leyens mit insgesamt 70 Gesetzen die europäische Wirtschaft überfordert habe.
Der umweltpolitische Sprecher der CDU/CSU-Europafraktion, Peter Liese aus Nordrhein-Westfalen, sieht den eingeschlagenen Richtungswechsel positiv: „ Aus meiner Sicht ist diese Neuausrichtung auf gar keinen Fall ein Widerspruch zu den Klimazielen. Ich sehe darin sogar die letzte Chance, dass wir mit unserer Klimapolitik am Ende erfolgreich sind. Durch die vielen Detailregeln und die extrem langen Genehmigungsverfahren schwindet innerhalb der Europäischen Union die Akzeptanz für unsere Klimaziele“, so Liese. Die EVP halte daran fest, die Pariser Klimaziele und die Dekarbonisierung Europas bis 2050 erreichen zu wollen. „Aber wir wollen sie mit weniger Bürokratie, technologieoffen und bei gleichzeitiger Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit erreichen“, so Liese.
Von der Leyen beruft sich auf Draghi-Bericht zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit
Kommissionschefin Ursula von der Leyen sieht sich weniger als Erfüllungsgehilfen parteipolitischer Vorgaben von EVP-Politikern im EU-Parlament, sondern verweist auf den im Herbst 2024 vom italienischen Ex-Ministerpräsidenten und vormaligen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, in Auftrag gegebenen EU-Wettbewerbsbericht.
Darin führte der Ex-Regierungschef Italiens die Probleme der Europäer aus und empfahl radikale Lösungen zur Rettung der europäischen Wirtschaft. Von der Leyen geht noch einen Schritt weiter und regt an, die Industriepolitik stärker zentral von Brüssel aus zu koordinieren. Dies fällt im Élysée-Palast in Paris, dem Amtssitz der französischen Staatspräsidenten, sicher auf großes Gefallen. In Berlin stößt hingegen dieses Ansinnen einer Übertragung wirtschaftspolitischer Kompetenzen auf die Zentrale in Brüssel nach deutschem Verständnis auf große Skepsis. Dies dürfte auch unter einer neuen Bundesregierung in Berlin kaum 1:1 umzusetzen sein.
Von der Leyens Papier erinnert an Barrosos Innovationsstrategie aus dem Jahr 2000
Das Papier zum „Kompass Europa“ von der Leyens erinnert fatal an die just vor 25 Jahren vom damaligen EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon beim Treffen der damals 15 EU-Staats- und Regierungschefs ausgerufene Agenda. Sie sollte die EU innerhalb von zehn Jahren zur „innovationsstärksten wissensbasierten Region der Welt“ aufsteigen zu lassen.
Damals ging das Schreckgespenst von der technologischen „Eurosklerose“ um. Bleibt abzuwarten, ob diesmal unter der ehrgeizigen deutschen Unionspolitikerin am Steuerrad der EU-Kommission in Brüssel der Tanker Europa tatsächlich Fahrt aufnimmt und sich auf den Weltmeeren in Sachen Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Dickschiffen von den USA, China und der Schattenflotte Russlands behaupten kann.
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