Markttrends 04.04.2013, 09:03 Uhr

Exklusiv: Anheuern beim Start-up?

Gute Ingenieure werden gesucht – auch von Jungunternehmen. Wer Risikobereitschaft, Eigenverantwortung, Unternehmungslust und Fleiß mitbringt, findet in frisch gegründeten Firmen viel Raum zum Gestalten und Entfalten. In einschlägigen Börsen wimmelt es von Start-up-Jobs für Berufserfahrene und Einsteiger.

„Das Einstellen der ersten Mitarbeiter war psychologisch ein großer Schritt“, berichtet Frank Pawlitschek, Mitgründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups Ubitricity. Die ersten 15 Monate nach der Gründung im Jahr 2008 hatte er mit Partner Knut Hechtfischer allein geplant und entwickelt. Nun hat das Unternehmen 20 Mitarbeiter.

Ubitricity will Elektromobilität einfacher machen. Statt bis zu 10.000 Euro teure Ladesäulen in Städte zu stellen, wollen die Gründer spezielle Ladesteckdosen in Straßenlaternen integrieren und an Wände schrauben. Die Kosten sinken so auf etwa 300 Euro pro Ladepunkt. Die Hardware soll 2014 marktreif sein. Neben den Laternen- und Wandsteckdosen zählen mobile Stromzähler dazu, die wahlweise ins Ladekabel oder Fahrzeug integriert sind. Über sie laufen die Authentifikation und die Abrechnung des Stroms.

„Aus Kommunen und Stadtwerken gibt es große Nachfrage und auch mit Autoherstellern laufen intensive Gespräche“, freut sich Pawlitschek. Die Aufgaben sind für das Gründerduo nicht mehr allein zu bewältigen. Finanziert durch die VC-Gesellschaft Earlybird und Business Angels wächst ihr Unternehmen. Mehrere Stellen sind offen.

Dass Pawlitschek sich noch so lebhaft an den Bammel vor den ersten Einstellungen erinnert, verrät viel über Start-ups. Auch Chefs betreten hier ständig Neuland. Wie ihre Mitarbeiter, müssen sie sich bei vielen Aufgaben überwinden – und daran wachsen.

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„Bei uns bekommt jeder Mitarbeiter, ob berufserfahren oder Werksstudent, ein Aufgabenfeld, das er eigenverantwortlich bearbeitet“, sagt Pawlitschek. Mitarbeiter entwickeln Themen selbstständig weiter, suchen im Austausch mit Kollegen Antworten auf offene Fragen. Ubitricity geht in einem Markt, der erst entstehen soll, innovative Wege. Es gibt keine ausgetrampelten Pfade, nur die eigenen Ideen, Ziele und strategischen Überlegungen. Ob sie zum Ziel führen, ist ungewiss.

Diese Ungewissheit hat Linda Kahlbaum nicht abgeschreckt. Letztes Jahr ist sie als Projektmanagerin bei Ubitricity eingestiegen. „Natürlich ist mir das Risiko bewusst“, sagt sie, „doch die Vision und die Inhalte, für die das Unternehmen steht, sind mir wichtiger. Nach zwei Jahren USA ist man auch nicht mehr so risiko‧avers wie andere Deutsche.“ Hintergrund: Vor ihrem Einstieg hat die 32-Jährige bei einem Solar-Unternehmen in den USA gearbeitet.

Am Job im Start-up reizten sie Arbeitsklima und Entwicklungsmöglichkeiten. „Wir sitzen alle in einem Raum, bekommen viel voneinander mit und lernen dabei schnell“, berichtet sie.

Die Schattenseite der krustenfreien Strukturen: lange Arbeitstage. „Vor 18 Uhr geht bei uns keiner nach Hause“, räumt Pawlitschek ein. Tage und Wochen vergingen wie im Flug. Wer eigene Ziele verfolgt und selbstverantwortlich arbeitet, schaut nicht zur Stechuhr. Zumal die Aufgaben nicht so eingegrenzt sind, wie in Großbetrieben. Kahlbaum betreut Pilotprojekte, kümmert sich ums technische Marketing und steht zuweilen am Ubitricity-Stand auf Messen.

Abwechslung und Entfaltungsmöglichkeiten sind ein Pfund, mit dem Start-ups im War for Talents wuchern können. „Wir suchen vor allem Elektrotechniker und IT-Experten, also genau die Disziplinen, die alle suchen“, berichtet Pawlitschek. Wettbewerber sind Konzerne mit großen Namen und etablierte Mittelständler. Doch so mancher zieht die lebendige Klein‧struktur vor.

Gerade erst ist mit Rupert Stützle ein erfahrener Bosch-Mann als technischer Geschäftsführer zu den Berlinern gestoßen, der zuletzt die Entwicklung von Leistungselektronik-Komponenten des Zulieferers geleitet hatte. Und immer wieder trudeln Bewerbungen von Young Professionals ein, die es aus Konzernen wegzieht, weil sie auf mehr Gestaltungsspielraum drängen, mehr Verantwortung und berufliche Vielfalt.

Doch das Rekrutieren von Ingenieuren ist kein Selbstläufer. „Wir nutzen unsere Nähe zu den Berliner Hochschulen, indem wir Werkstudenten und Diplomanden an unser Unternehmen heranführen“, so Pawlitschek. Doch braucht es auch erfahrene Kräfte für die Serienentwicklung, die Teams und Projekte leiten können, technisch über den Tellerrand blicken und die das Standing haben, bei Partnern auch mal eine klare Ansage zu machen. „Solche Leute sind schwer zu finden“, sagt er.

Wie Ubitricity suchen viele Start-ups Mitstreiter. In einschlägigen Jobbörsen sind Informatiker und Software-Ingenieure gefragt, aber auch Gründungspartner und Strategen, oder Experten für Vertrieb, Marketing und Design. Ein bunter Arbeitsmarkt mit legerem Ton, in dem Zeugnisse weniger zählen als an Talent, Kreativität und Enthusiasmus.

Was sind das für Leute, die in Start-ups anheuern? „Ganz unterschiedliche“, antwortet Ijad Madisch, Gründer des sozialen Wissenschaftler-Netzwerks ResearchGate, dem sich über 2,6 Mio. Forscher weltweit angeschlossen haben. Die Hälfte seiner mittlerweile 100 Mitarbeiter komme aus dem Ausland. „Bei uns arbeiten Leute aus Argentinien bis Zypern sowie Christen, Juden und Moslems zusammen. Nur mit dieser Mischung an Hintergründen und Erfahrungen können wir ein Netzwerk bauen, das allen Forschern weltweit gerecht wird“, erklärt er. Viele Mitarbeiter kämen selbst aus der Forschung und widmeten sich nun der Herausforderung, die Wissenschaft ins digitale Zeitalter zu führen.

Wenn Madisch redet, klingt Begeisterung für seine Sache mit. Die wünscht er sich auch von Bewerbern, ebenso wie Teamfähigkeit und Toleranz. Im Gegenzug biete ResearchGate eine Kultur, die ihresgleichen suche. So suchen sich Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten selbst aus. „Wir haben einen russischen Top-Entwickler, der gern nachts arbeitet, aber erst zum Mittagessen im Büro auftaucht. Andere halten gern Siesta, wofür wir extra einen Ruheraum eingerichtet haben“, erzählt er.

Damit sich neue Mitarbeiter in Berlin zurechtfinden und das Team auch bei Freizeitaktivitäten zusammenfindet, beschäftigt das Start-up eigens eine Feelgood-Managerin. Ein ganzes Stockwerk ist für Billard, Tischtennis, Kicker & Co. reserviert.

Die Mitarbeiter zahlen diese Investitionen durch hohe Identifikation mit dem Unternehmen zurück. Denn bei allem Wohlfühlklima wird hart gearbeitet – und das nicht nur von neun bis fünf. Selbstverantwortung wird groß geschrieben. „Meist ist es so, dass die Ideen für neue Funktionen von den Entwicklern selbst kommen“, so Madisch. Es liege dann an ihnen, diese Ideen umzusetzen und sich die nötige Unterstützung im Team zu organisieren. „Es spornt die Leute stark an, sich selbst verwirklichen zu können statt etwas nachzubauen, was anderswo schon funktioniert“, sagt er.

ResearchGate ist binnen drei Jahren von einer Handvoll Mitarbeiter auf mehr als 100 Köpfe gewachsen. Und der Personalaufbau geht weiter: „Wir suchen insbesondere Entwickler mit Kenntnissen in Java/Hadup/Solr, aber auch Copywriter und Designer“, wirbt Madisch und lädt Interessenten gleich auf seine Webseiten ein: „Da haben wir alle Stellen ausgeschrieben.“ (pt)

 

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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