„Haftstrafen für Kartellsünder“
Bundeskartellamt und EU haben jüngst etliche Fälle aufgedeckt, in denen Unternehmen den Wettbewerb durch Absprachen unterlaufen haben. Kartelle dürften nicht mehr als Ordnungswidrigkeit eingestuft werden, sie müssten als Straftat gelten, fordert der Ökonom Heinz-J. Bontrup von der FH Gelsenkirchen und Autor des folgenden Artikels.
Adam Smith, der Begründer der klassischen Nationalökonomie, prägte dafür das Bild von der „unsichtbaren Hand“: In marktwirtschaftlichen Ordnungen wird der Egoismus der Unternehmer an maximalen Profiten durch das Wettbewerbsprinzip in Form von niedrigen Preisen bei bester quantitativer und qualitativer Marktversorgung in Schranken verwiesen.
So weit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Wettbewerb garantiert keine hinreichende Internalisierung der Umweltbelastungen in die unternehmerischen Kalkulationen, und Wettbewerb – wird er nicht staatlich kontrolliert – zerstört sich durch Konzentrationsprozesse selbst. Schon Smith warnte vor einer Ausschaltung des Wettbewerbs durch marktbeherrschende Unternehmen und Kartelle. 1776 schrieb er: „Geschäftsleute des gleichen Gewerbes kommen selten, selbst zu Festen und zur Zerstreuung zusammen, ohne dass das Gespräch in einer Verschwörung gegen die Öffentlichkeit endet oder irgendein Plan ausgeheckt wird, wie man die Preise erhöhen kann.“
Wie recht Smith schon damals hatte, zeigen nicht erst in letzter Zeit einige besonders spektakuläre Kartellfälle. So verhängte das Bundeskartellamt gegen sechs Zementhersteller ein Rekordbußgeld über 661 Mio. € (die Strafe wurde aber später durch ein Gericht halbiert). Fünf der Preisabsprache beschuldigte Brillenglashersteller, darunter die Firmen Rodenstock und Carl Zeiss, sollen 115 Mio. € zahlen und auch gegen drei führende Kaffee-Konzerne (Tchibo, Melitta und Dallmayr) läuft ein Kartellverfahren. Gegen diese Unternehmen wurde ein Bußgeld von knapp 160 Mio. € verhängt. In einem anderen Verfahren gegen acht Kaffeeröster verlangt das Bundeskartellamt weitere Geldbußen: 30 Mio. € wegen Preisabsprachen.
Auf europäischer Ebene haben 17 Anbieter der Sanitärbranche, darunter Grohe, Villeroy&Boch und Ideal Standard, nach Ermittlungen der EU zwischen 1992 und 2004 die Preise abgesprochen. Dafür sollen sie Geldbußen von 622 Mio. € zahlen. Ins Visier der EU-Kommission sind auch Hersteller von Fensterbeschlägen geraten. Der Verdacht auch hier: verbotene Preisabsprachen.
Im Jahr 2006 haben die EU-Beamten ein besonders dreistes Kartell in den Niederlanden ausgehoben. Hier hatten Firmen über Jahre die Preise mit einem generalstabsmäßig ausgeklügelten System für diverse Baumaterialien, insbesondere für Bitumen zur Asphaltherstellung, abgesprochen und so nicht nur private, sondern auch die öffentlichen Nachfrager massiv geschädigt.
Auch der ThyssenKrupp-Konzern musste 2007 wegen seiner Beteiligung an einem Kartell für Fahrstühle und Rolltreppen allein ein Bußgeld in Höhe von 480 Mio. € zahlen. Die EU-Kommission verhängte hier insgesamt für vier marktführende Konzerne (neben ThyssenKrupp waren der US-Branchengigant Otis, die Schweizer Firma Schindler und das finnische Unternehmen Kone am Kartell beteiligt) das bisher höchste Bußgeld von insgesamt gut 993 Mio. €, das von der EU-Kommission festgelegt wurde. Die Unternehmen hatten sich zwischen 1995 und 2004 den Markt für Fahrstühle und Rolltreppen in Deutschland, Belgien, Luxemburg und den Niederlanden aufgeteilt und vereinbart, wer jeweils einen Auftrag bekommen sollte. Dass ThyssenKrupp allein so ein hohes Bußgeld zahlen musste, lag daran, dass eine Wiederholungstäterschaft vorlag. Das Unternehmen war 1998 bereits wegen Kartellabsprachen im Edelstahlsektor bestraft worden.
Trotz dieser Aufdeckungserfolge kann man nicht zufrieden sein. Die Kartelldunkelziffer dürfte so groß sein, dass der Volkswirtschaft jedes Jahr ein Schaden in hoher zweistelliger Milliardenhöhe entsteht.
Kartellmitglieder, die Preise, Produktionsmengen, Produktqualitäten und Absatzgebiete absprechen, tun dies jeweils zur Erzielung hoher Profitraten zu Lasten der Allgemeinheit. Es ist eben schlicht und ergreifend für jeden Unternehmer verlockend, ohne Leistungserbringung Profite zu erzielen. So träumt er jede Nacht davon, einmal Monopolist zu sein. Besonders anfällig für Ausbeutungen anderer Marktteilnehmer sind dabei Hersteller homogener Massenproduktionen, die sich durch ihre Produkte von anderen Unternehmen im Wettbewerb nicht abheben können. Und auch in der Wirtschaftskrise, bei insgesamt rückläufiger Nachfrage mit einer deflatorischen Tendenz, steigt der Hang, die Preise durch illegale Absprachen zu stabilisieren oder sogar zu erhöhen.
Deshalb ist es geradezu naiv zu glauben, mit Bußgeldbescheiden, auch nach Einführung einer Kronzeugen-Regelung, hinreichend potenziellen Kartellen den Garaus machen zu können. Im Gegenteil: Die Kartellmitglieder planen im Rahmen eines „return pricing systems“ die möglichen Bußgelder – sollte das Kartell auffliegen – schon vorab in die Preise ein, sodass am Ende der Nachfrager durch die völlig überhöhten Preise das Bußgeld schon längst mit bezahlt hat. Das Kartell hat damit nicht den geringsten Schaden zu fürchten, es ist ausschließlich Gewinner durch die Erzielung von Extraprofiten, die ohne jeden Leistungs- oder gar Innovationsbezug sind.
Trotz Liberalisierung und Deregulierung der Märkte, wie sie seit fast drei Jahrzehnten praktiziert wird, vertrauen anscheinend viele Unternehmen gerade nicht auf den Wettbewerb und die so oft propagierten Selbstheilungskräfte des Marktes.
Wie lassen sich Kartellabsprachen verhindern? Bußgelder auf die verantwortlichen Manager zu verlagern, ist keine Alternative: In der Regel werden sie von den Unternehmen übernommen. Bußgelder schrecken nicht ab, wie die Erfahrung zeigt.
Heute sieht der Gesetzgeber Verstöße gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) lediglich als eine Ordnungswidrigkeit an. Nur eine Kartellabsprache, die sich gegen den Güter und Leistungen nachfragenden Staat bei Ausschreibungen richtet, wird gemäß § 298 Strafgesetzbuch als kriminelle Handlung geahndet. Ansonsten wird bei Verstößen gegen das Kartellverbot nur ein Bußgeld in Höhe von bis zu 500 000 € erhoben. Dieses Bußgeld kann aber bis zur dreifachen Höhe des durch das Kartell erzielten Mehrerlöses ausfallen. Daraus erklären sich die oben angeführten hohen Bußgelder der aufgedeckten Kartelle.
Fallen solche Zahlungen sehr hoch aus und konnten sie vorab vielleicht nicht in die Preise einkalkuliert werden, gefährden sie womöglich die Existenz des Unternehmens und damit auch Arbeitsplätze.
Dies gilt vor allem dann, wenn die erzielten Extraprofite an die Kapitaleigner ausgeschüttet wurden. Kommen dann noch finanzielle Belastungen der Unternehmen hinzu, z. B. durch Schadensersatzklagen von Nachfragern gegen einzelne Kartellmitglieder, wie sie derzeit diskutiert werden, so könnten die ertappten Unternehmen in beträchtliche Schwierigkeiten kommen. Dann würden nicht nur die Kapitaleigner bestraft, sondern auch die nicht verantwortlichen Beschäftigten mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes.
Daher ist es insgesamt endlich geboten, Kartellabsprachen, nicht wie heute als Ordnungswidrigkeitsverfahren mit Bußgeld für Unternehmen oder Manager zu ahnden, sondern als eine Straftat. Dies sollte auch für die EU gelten. In den USA ist das übrigens schon lange der Fall.
Dann müssten Kartell- und Marktmachtmissbrauch, wie es noch der „Josten-Entwurf“ zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen von 1949 vorsah, grundsätzlich für die handelnden Personen mit Freiheitsentzug bestraft werden, in besonders schweren Fällen auch mit langjährigen Haftstrafen. Dann würden sich Kapitaleigner und Geschäftsführer oder auch andere beteiligte Personen mit Sicherheit überlegen, ob es sich noch „lohnt“, den Wettbewerb, das systemkonstitutive Element einer marktwirtschaftlichen Ordnung, widerrechtlich auszuschalten, um sich so auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern.
Aber nicht nur Kartelle richten hohe Schäden an. Auch der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung führt sowohl über Angebots- als auch über Nachfragemacht von Unternehmen zu Ausbeutungsprozessen. So rügte der ehemalige Kartellamtschef Ulf Böge deutsche Spitzenmanager bezüglich ihrer zunehmenden Rücksichtslosigkeit im Kampf um Marktanteile. Die „Gier nach schnellem Geld“ habe in den Management-Etagen offenbar dem „Handeln mit Augenmaß“ den Rang abgelaufen. Nur so lasse sich die Vielzahl der Verfahren der Wettbewerbshüter aus Bonn wegen Missbrauchs der Marktposition erklären. HEINZ-J. BONTRUP
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