Hire and fire bringt weniger Wachstum
Mehr Wachstum, höhere Produktivität und höhere Löhne: Die kontinentaleuropäischen Länder haben in den vergangenen 50 Jahren besser abgeschnitten als die angelsächsischen Ökonomien. Diese konnten bei Beschäftigung punkten, wie eine Untersuchung von niederländischen Innovationsforschern zeigt.
Arbeitsmärkte mit wenig Regulierung gelten unter liberalen Ökonomen als beschäftigungs- und innovationsfördernd. Vorbild dafür sind angelsächsische Länder, vor allem die USA und Großbritannien.
Seit der Finanzkrise wurde dieser Glaube erschüttert. Aber er war auch schon vorher nicht richtig, wie eine Forschungsgruppe um den Innovationsökonomen Alfred Kleinknecht von der TU Delft in den Niederlanden jetzt in einer Untersuchung gezeigt hat.
Starke Gewerkschaften und höhere Produktivität
Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass in Ländern mit hoher Regulierung der Arbeitsmärkte, also dort, wo Gewerkschaften starken Einfluss auf die Löhne ausüben und ein wirksamer Kündigungsschutz besteht, die Produktivität höher ist als in Ländern mit schwach regulierten Arbeitsmärkten.
Kleinknecht hat für seine Untersuchung Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung von angelsächsischen Ländern mit flexiblen Arbeitsmärkten (Großbritannien, USA, Kanada und Australien) mit denen von stärker regulierten kontinentaleuropäischen Ländern seit 1960 verglichen. Die Ergebnisse sind jetzt in den WSI-Mitteilungen des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in Düsseldorf erschienen,
Das Wirtschaftswachstum, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, entwickelte sich in den angelsächsischen wie den kontinentaleuropäischen Ländern nahezu gleich – obwohl es in den schwach regulierten Ländern einen Zustrom von gering Qualifizierten auf die Arbeitsmärkte gab. Löhne und Arbeitsproduktivität hingegen sind in Kontinentaleuropa höher. Die Zahl der Arbeitsstunden ist dagegen in den Ländern mit flexiblen Arbeitsmärkten größer (Grafik).
Mit anderen Worten: Die Angelsachsen müssen für dasselbe Wirtschaftswachstum mehr Stunden arbeiten. Hinzu kommt, dass die durchschnittliche Arbeitslosigkeit zwischen 1970 und 2010 in den angelsächsischen Ländern laut Erhebung des US-Department of Labour sogar etwas größer war als in Kontinentaleuropa.
Längere Beschäftigungsdauer im Betrieb
Kleinknecht sieht in einer stärkeren Regulierung von Arbeitsmärkten Vorteile für Innovationsprozesse: Die Beschäftigungsdauer im Betrieb ist länger. Damit würden Lernprozesse gestützt, die eine Voraussetzung für Innovationen sind, was letztlich auch der Produktivität zugute komme. Müssten Arbeitnehmer befürchten, schnell entlassen zu werden, wäre die Bereitschaft zur Kooperation und zur Weitergabe von Wissen geringer. Zudem hätten sie dann kein Interesse daran, ihre Arbeit effizienter zu organisieren.
Die Vorteile dieses auf Kontinuität beruhenden Innovationsmodells kommen nach Ansicht von Kleinknecht vor allem in solchen Unternehmen zur Geltung, wo Neuerungen bei Produkten und Prozessen von betriebsspezifischem und personengebundenem Erfahrungswissen abhängen. Der Ökonom sieht darin auch eine Erklärung dafür, dass große Teile der US-Industrie „so schlecht gegen deutsche und japanische Anbieter konkurrieren können“.
Oliver Stettes, Arbeitsmarktexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, sieht im Unterschied zu Kleinknecht jedoch keinen direkten Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktverfassung und Innovationen. „Ein flexibilisierter Arbeitsmarkt ist nicht grundsätzlich gut oder schlecht für Innovationen.“ Allerdings geht Stettes davon aus, dass „rigidere Regulierungen solche Innovationen begünstigen, die den bisherigen Stand der Technik und Organisation nur schrittweise verbessern“.
Stettes: „In beiden Arbeitsmärkten Anreize“
Dagegen sind umwälzende Innovationen nach Ansicht von Stettes eher in flexiblen Arbeitsmärkten zu erwarten, weil dort weniger Besitzstände existierten, die durch Regelungen hervorgerufen und abgesichert werden. „Die Akteure haben in beiden Arbeitsmärkten Anreize, in unterschiedlicher Weise innovativ aktiv zu werden.“ So seien im liberalisierten Arbeitsmarkt der USA Spitzentechniken stark vertreten.
Auch Kleinknecht räumt ein, dass die USA bei diesem „unternehmerischen Innovationsmodell“, das sich vor allem in der Informationstechnik findet, relativ stark sind. „Dieses Modell braucht spontan mobilisierbare, allgemeine Kenntnisse und hat weniger Probleme mit flüchtigen und flexiblen Arbeitsverhältnissen.“
Es sei aber nicht auszuschließen, so Kleinknechts Einwand, dass erfolgreiche IT-Unternehmen, wenn sie dem Stadium des Garagen-Unternehmens entwachsen sind, Züge eines auf Erfahrungswissen basierenden Innovationsmodells annehmen. Dann könnte sich der hire-and-fire-Arbeitsmarkt nachteilig auswirken. Denn die Kontinuität der technischen Entwicklung werde auch durch langfristige Bindung an Unternehmen und Vertrauen gewährleistet.
IW-Ökonom Stettes sieht dagegen deregulierte Arbeitsmärkte als vorteilhaft für Innovationen. „Hier schafft ein liberalisierter Arbeitsmarkt Spielräume für neue, befristete Beschäftigungsverhältnisse.“ Das unternehmerische Risiko werde auf diese Weise gemindert.
Dagegen könnte ein hohes Maß an Regulierungen auf Arbeitsmärkten zu gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsverlusten führen, meint der IW-Ökonom. So verursachen überproportionale Lohnsteigerungen für einfache Tätigkeiten Druck, um durch Innovationen Arbeit zu sparen. Den Beschäftigten, die dann ihren Job verlieren, helfe auch der Kündigungsschutz nicht mehr.
Kleinknecht: Flexibilisierung ist keine Lösung
In einer Flexibilisierung der Löhne sieht Kleinknecht keinen Ausweg. Sie erhöhe die Wahrscheinlichkeit, „dass die weniger talentierten Unternehmen überleben“. Deren Überleben sei nur kurzfristig günstig für die Beschäftigung, langfristig aber gehe innovative Dynamik verloren.
Auch in Deutschland wurden die Arbeitsmärkte flexibilisiert – durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors, durch Leiharbeit, Teilzeit und Befristung. In vielen Fällen gehe das mit einem geringen Einkommen und wachsender Armut einher. Nach der neoliberalen Logik, sagt Kleinknecht, sei es nicht nur unvermeidlich, sondern sogar gewünscht, dass eine größere Gruppe von „arbeitenden Armen“ entstehe.
Kleinknecht sieht eine Ursache des Beschäftigungsproblems darin, dass die Produktivität stärker steigt als die Wirtschaftsleistung. Obwohl die Wirtschaft wächst, stagniere in Deutschland seit den 60er-Jahren das Arbeitsvolumen. „Das Wachstum ist auch heute nicht in der Lage, die Arbeitslosigkeit in Europa zu beseitigen.“ Er sieht darin „ein strukturelles Problem, das man mit Arbeitszeitverkürzung anpacken muss“.
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