„In den USA haben sich über Jahrzehnte enorme Probleme aufgetürmt“
Nach seiner Wiederwahl warten auf US-Präsident Barack Obama große Herausforderungen. Nach Einschätzung von Josef Braml, USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, kommt es vor allem darauf an, die Staatsschulden zu senken und die Industrie zu revitalisieren.
VDI nachrichten: Der 45. Präsident der USA heißt Barack Obama. Im Repräsentantenhaus haben aber weiterhin die Republikaner die Mehrheit. Müssen wir uns auf vier Jahre Stillstand einstellen?
Braml: Wir sollten uns darauf einstellen, dass zumindest bis zu den nächsten Zwischenwahlen 2014, bei denen das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats zur Wahl stehen werden, Obama vom Kongress massiv in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt sein wird. Danach wird er das Schicksal jedes Präsidenten gegen Ende der zweiten Amtszeit erleiden, nämlich als „lame duck“ zu gelten, der bei Verhandlungen mit der Legislative nicht mehr über genügend „politisches Kapital“ verfügt.
Immerhin scheint es Obama in den vergangenen Monaten gelungen zu sein, neue Arbeitsplätze zu schaffen, das Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Geht es mit der amerikanischen Konjunktur wieder aufwärts?
Ich teile nicht die Ansicht, dass es mit der amerikanischen Wirtschaft wirklich besser geworden ist. Weder am Arbeitsmarkt noch im Immobilienmarkt noch beim Wirtschaftswachstum zeichnen sich nachhaltig bessere Entwicklungen ab. Diese Zeitungsenten – und als solche muss man die frohen Botschaften, die uns derzeit erreichen, bezeichnen – wollen uns nur suggerieren, dass man so weitermachen könne wie bisher. Dass dies eine Illusion ist, hat Präsident Obama in seiner Rede zur Lage der Nation selbst klar zum Ausdruck gebracht.
Wie stellt sich die Situation aus Ihrer Sicht dar?
Die Lage der US-Wirtschaft ist nach wie vor sehr prekär. Wenn sich die Arbeitsmarktstatistik leicht verbessert, dürfte das eher daran liegen, dass viele Langzeitarbeitslose aus der Statistik herausgefallen sind, weil sie sich nicht mehr arbeitslos melden, da sie keine Unterstützung mehr erhalten.
Und was tut sich auf dem Immobilienmarkt?
Er erholt sich nur sehr langsam. Wie schwierig die Lage dort immer noch ist, zeigen die Aktivitäten der US-Notenbank Fed. Sie kauft nicht nur die eigenen Staatsanleihen. Sie bemüht sich auch, den Immobilienmarkt weiterhin zu stützen und die im Immobilienmorast steckenden Banken über Wasser zu halten.
Die Fed nimmt hypothekenbesicherte Anleihen sowie andere Papiere in ihre Bücher und führt den gebeutelten Banken damit Liquidität zu. So soll eine weitere Kernschmelze verhindert werden.
Viele Ökonomen denken mit Sorge an das Jahresende. Dann droht den USA das sogenannte fiscal cliff. Was hat es damit auf sich?
Zum Jahresende laufen die von der Regierung Bush beschlossenen und von Obama verlängerten Steuererleichterungen aus. Die Folge: Ein Kaufkraftentzug für die Konsumenten. Zudem werden dann ab Januar 2013 die Ausgaben fast aller Haushaltstitel nach dem Rasenmäherprinzip gekürzt. Auch dies wird der Wirtschaft sehr viel Kraft nehmen.
Ferner büßen die bislang aufgelegten Programme zur Konjunkturförderung an Wirkung ein. Und schließlich muss Anfang nächsten Jahres die Gesamtschuldenobergrenze wieder angehoben werden – eine weitere Auseinandersetzung zwischen Präsident und Kongress ist vorprogrammiert. Das fiscal cliff ist also in der Tat eine große Bedrohung – sollte es nicht doch noch vor Jahresende zu einer Einigung zwischen Präsident und Kongress kommen.
Also keine rosigen Aussichten für den neuen Präsidenten?
Nein, vor allem, wenn Sie bedenken, dass sich die Analysten und Medien dann – weg von Europa – auf die „Neue Welt“ und deren wirtschaftliche Probleme konzentrieren werden. Aber auch die Rating-Agenturen dürften die wirtschaftliche Lage in den USA stärker in den Blick nehmen. Sie werden vor allem die soeben dargestellte politische Blockade neu bewerten. Die Agenturen haben ja die USA aufgrund der Funktionsunfähigkeit der Politik bereits im Sommer 2011 herabgestuft. Sie werden dies weiter tun müssen.
Was heißt das für den Präsidenten?
Die Amerikaner müssen ihre Schulden in den Griff bekommen, indem sie entweder die Steuern erhöhen oder die Ausgaben kürzen. Die Aufmerksamkeit der Rating-Agenturen wird auch dazu führen, dass das Risiko eingepreist wird, das bisher von den Märkten ignoriert worden ist. Das kann sehr schnell gehen.
Mit der Folge höherer Kreditzinsen…
Genau, und das dürfte dann die Bürde der hohen Verschuldung weiter erhöhen.
Noch hilft die Notenbank dem Staat, indem sie dessen Anleihen kauft und ihm so Luft verschafft.
Wenn es der Regierung nicht gelingt, massive Einsparungen vorzunehmen oder/und die Steuern zu erhöhen, wird die Notenbank gefordert bleiben. Sie wird Staatsanleihen ankaufen, die sie über den Einsatz der Notenpresse bezahlt.
Setzt man insgeheim auf Inflation, um die Schuldenlast loszuwerden?
Ich glaube, sie werden mit dem Gelddrucken nicht nur Druck auf den Dollar ausüben, sondern auch Inflation billigend in Kauf nehmen, um die Schulden loszuwerden.
Wird der Präsident die grundlegenden wirtschaftlichen Probleme des Landes jetzt angehen?
Man wird sicherlich keine schnellen Wunder erwarten können – egal, was im Wahlkampf versprochen wurde. Schuldenproblematik, chronisches Handelsbilanzdefizit, die Lage am Immobilienmarkt, die prekäre Arbeitsmarktsituation, die miserable Bildungssituation, die marode Infrastruktur – das alles sind enorme Probleme, die sich über Jahrzehnte aufgetürmt haben.
Verkannt werden darf dabei auch nicht, dass aufgrund dieser riesigen Probleme auch das politische System nicht mehr richtig funktioniert. Die politische Handlungsfähigkeit ist eingeschränkt. Das wird den neuen Präsidenten belasten.
Der Häusermarkt ist für die amerikanische Wirtschaft enorm wichtig. Hypotheken haben bis zur Krise weite Teile des privaten Konsums finanziert. Kommen diese Zeiten zurück?
Dem Markt lag vor der Krise ein bestimmtes Konsummodell zugrunde. Es fußte wesentlich darauf, dass vom Immobilienkredit nicht nur das Haus, sondern gleichzeitig noch Konsumgüter wie Autos und auch die Ausbildung der Kinder finanziert wurden.
Auguren gehen davon aus, dass die US-Wirtschaft im letzten Zyklus vor der Krise bis zu drei Vierteln von der Immobilienblase gelebt hat. Zu diesem Modell wird man nicht mehr zurückkehren. Das Ausland ist nicht bereit, eine solche Blase nochmals zu finanzieren.
Was treibt das Ausland überhaupt dazu, soviel Geld in den USA anzulegen?
Die außergewöhnliche Stellung des US-Dollars als Weltleit- und -Reservewährung. Dieses Privileg des Dollars hat es den USA jahrzehntelang erlaubt, über ihre Verhältnisse zu leben. Und es erlaubte ihnen auch, die unheilvolle Immobilienblase zu nähren, die die US-Wirtschaft kräftig angetrieben hat.
Diese Zeiten sind nun vorbei: Chinesen und Japaner sind bereits dabei, sich aus der Dollarfalle zu lösen. Sie legen ihre Währungsreserven zunehmend im asiatischen Währungsraum, aber auch im Euro an. Der Glanz des Dollars schwindet.
Der Dollar verliert sein Privileg?
Ja, ich gehe davon aus, dass der Euro und der chinesische Renminbi die Dollardominanz aufheben. In absehbarer Zeit wird es neben dem Dollar zwei weitere Weltwährungen geben. Wir werden eine multipolare Währungsordnung haben. Das ist gut für die Weltwirtschaft, das ist aber auch gut für Amerika, denn nur so gibt es eine Chance, die globalen Ungleichgewichte langsam abzubauen. Derzeit droht die Schieflage zwischen Asien und Amerika sich wieder zuzuspitzen.
Hat die US-Wirtschaft nicht auch ein Strukturproblem, das der Korrektur bedarf? Wo bleibt das produzierende Gewerbe?
Man hat lange geglaubt, verstärkt auf Dienstleistungen – vor allem auf Finanzdienstleistungen – setzen zu müssen, um so eine höhere Wirtschaftsstufe zu erklimmen. Mittlerweile hat man erkannt, dass es ohne starken Industriesektor nicht geht.
Es hapert in den USA an der Produktion von Gütern, die international gefragt sind. Die Probleme am Arbeitsmarkt, die Schieflage in der Handelsbilanz und anderen Bereichen verlangen nach einer stärkeren und nachfrageorientierten Industrie.
Vor allem aber muss sich die Politik um Bildung und Ausbildung kümmern: Auch in den USA fehlen ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte. Gleichzeitig wären das ja auch anspruchsvolle Konsumenten.
… zumal der private Konsum in den USA immerhin zwei Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung ausmacht. Ist dieser Anteil nicht zu hoch?
Ich glaube, es ist nicht problematisch, dass zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts durch den Konsum erzielt werden. Problematisch ist vielmehr, dass der Konsum hauptsächlich von einer Blase genährt wurde, indem Häuser gebaut und eingerichtet wurden. Und indem Häuser gleich mehrfach beliehen wurden, um auch anderen Konsum zu finanzieren. Ein weiteres Problem sind die hohen Ölpreise, die der US-Wirtschaft zunehmend Kaufkraft entziehen.
Den Ölpreis können die Amerikaner aber nicht selbst bestimmen.
Das ist richtig, selbst wenn sie jetzt wegen der hohen Ölpreise und dank neuer Technologien mehr eigenes Öl fördern. Der Ölpreis wird international bestimmt – nämlich im wesentlichen vom OPEC-Kartell, das über 70 % der heute bekannten Erdölreserven kontrolliert.
Was den Westen und auch Asien bisher vor noch wesentlich höheren Ölpreisen bewahrt hat, ist die Sonderbeziehung der USA vor allem zu Saudi-Arabien. Die Ölmonarchie ist der einzige Swing Producer, der genügend Kapazitäten hat, Engpässe auszugleichen.
Die Amerikaner stützen deshalb das nicht gerade demokratische Saudi-Arabien und bekommen dafür einigermaßen niedrige Energiepreise, die die eigene Wirtschaft nicht allzu sehr schwächen. Außenpolitisch und wirtschaftlich gesehen, zahlen die Amerikaner aber einen hohen Preis.
Der Ölpreis steht nämlich in engem Zusammenhang mit dem Konjunkturverlauf: Zehn von elf amerikanischen Rezessionen nach dem Zweiten Weltkrieg gingen signifikante Ölpreiserhöhungen voraus. Aus diesem Teufelskreis können sich die USA nur befreien, indem sie von fossilen Kraftstoffen unabhängiger werden.
Werden die Amerikaner das schaffen?
Durchaus, wenn sie ihren Verbrauch drosseln und forciert auf alternative Kraftstoffe umsteigen. Ob dabei Biokraftstoffe der uns bekannten Generation schon die Spitze der Entwicklung sind, wage ich zu bezweifeln.
Ich setze auf Forschung und Entwicklung – auf das, was Amerika groß gemacht hat. Auf die enormen Forschungsleistungen dieser Nation ist Verlass. Wichtig ist zudem die Nutzung neuer Umwelttechnologien, in denen meiner Meinung nach auch ein erhebliches Wirtschaftspotenzial steckt.
Das erfordert einen hohen finanziellen Einsatz?
Ja, aber Präsident und Kongress sollten – nicht zuletzt auch aus haushaltspolitischen Gründen – endlich die Subventionen für die eigene Ölindustrie streichen. Zumal es ihr ohnehin blendend geht. Mit der unnötigen Subventionierung werden Alternativen benachteiligt. Damit gefährden die USA letztlich, was dem Land künftig weiterhelfen kann. Der Präsident sollte darauf drängen, dass neue Anreize zukunftsorientiert gesetzt werden.
Sowohl Obama als auch Romney haben im Wahlkampf versprochen, die USA binnen zehn weitgehend unabhängig von Energieimporten zu machen. Ein realistisches Ziel?
Das mag mit Blick auf Erdgas gelingen. Hier kann Amerika durchaus zu einer Exportnation werden. Nur, Gas war bisher kein Problem für die USA und wird es auch künftig nicht sein.
Die Achillesferse der amerikanischen Wirtschaft, vor allem des Transportsektors, ist die Abhängigkeit vom Öl. Es muss immer noch zur Hälfte aus dem Ausland importiert werden – vor allem aus politisch instabilen Regionen.
Aber es gibt doch neben großen Gasvorkommen auch Ölschiefer in den USA.
Ja, aber problematisch ist der hohe Preis, zu dem das Öl gefördert werden kann. Hinzu kommt, dass die neuen Techniken, die zum Abbau des Ölschiefers genutzt werden, in höchstem Maße umweltgefährdend sind.
Abgesehen davon lässt sich der ständig steigende Ölbedarf auch nicht annähernd durch inländische Produktion decken, selbst wenn es gelänge, diese massiv auszuweiten. Denken Sie bitte auch daran, dass China und Indien einen enormen Energiehunger haben, den sie stillen wollen.
Die USA sind immer noch Weltmacht Nr. 1. Sie haben ihre Truppen weltweit stationiert und sind auch immer wieder in teure Kriege verwickelt. Ist das angesichts der prekären Haushaltslage des Landes noch verantwortbar?
Es ist richtig, dass die USA große Schwierigkeiten haben, ihre weltweite Militärpräsenz zu finanzieren. Zudem schwindet in der Bevölkerung das Verständnis für das weltweite Engagement amerikanischer Truppen. Der militärische Fußabdruck Amerikas in der Welt verkleinert sich: Ein nicht unwesentlicher Teil der Truppen wird bereits nach Hause beordert.
Aber in den geostrategisch wichtigen Regionen, wie vor allem in Asien, dem Nahen- und Mittleren Osten sowie Gebieten Afrikas, in denen auch große Ölvorkommen liegen und die von wichtigen Transportwegen durchzogen sind, bleiben die USA präsent.
Mit eigenen Truppen?
Diese Regionen werden jetzt vermehrt durch neue Waffensysteme kontrolliert. Ich verweise auf den zunehmenden Einsatz von Drohnengeschwadern. Die ursprünglich als Vorhut im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus eingesetzten unbemannten Aufklärungs- und Kampfflugzeuge können zudem auch gegen eine andere – am Horizont aufziehende – Gefahr in Stellung gebracht werden: China.
Die aufstrebende Wirtschaftsmacht benötigt für ihr weiteres Wachstum immense Energieressourcen, die sie zunehmend auch militärisch sichert. Dadurch gerät China in Konflikt mit den Interessen der USA – nicht nur im Nahen- und Mittleren Osten, sondern auch in entwicklungsfähigen Regionen wie Westafrika und Zentralasien. Selbst im Hinterhof der USA – in Venezuela und Brasilien – machen chinesische Staatsunternehmen amerikanischen Ölfirmen ihre dominante Stellung streitig.
Interessant ist aber auch, dass die Geheimdienste zunehmend eingeschaltet werden. Die Grenzen zwischen Geheimdienst und Militär werden fließend. Es ist kein Zufall, dass der frühere Geheimdienstchef jüngst zum Militärchef ernannt wurde. Und umgekehrt der CIA von einem ehemaligen General geführt wird.
Um zu sparen, werden militärische Lasten wohl auch vermehrt auf die Alliierten verteilt.
Ja, auch aufgrund des steigenden innenpolitischen Drucks versucht Washington die Lasten der weltweiten Verantwortung auf ihre Verbündeten abzuwälzen. Dabei bedient es sich unter anderem auch multilateraler Instrumente, wie der Nato und neuer regionaler Zusammenschlüsse in Asien, die sich mit Blick auf China neu formieren. Auch die Europäer dürften künftig stärker gedrängt werden, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. DIETER W. HEUMANN
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