Informatiker machen Autos zu rollenden Computern
Informatik fand bislang im Auto nicht wirklich statt. Das ändert sich nun mit neuen Fahrerassistenzsystemen, der Trennung von Hard- und Software sowie der Vernetzung des Fahrzeugs mit der Umwelt. Diese Entwicklungen schaffen Jobs für Informatiker im Automobilbau. Spezielle Autokenntnisse brauchen sie nicht, denn die Automobilbranche setzt auf Standards.
BMW bringt die sechste Generation der 3er-Baureihe auf den Markt. Das Fahrzeug ist ein digitaler Riesensprung, denn das Auto ist ein fahrender Computer. Alle Informationen zeigt ein Head-up-Display an. Es ist Teil von Connected-Drive, einem Portfolio innovativer Kombinationen von Fahrerassistenzsystemen und Mobilitätsdiensten.
Michael Würtenberger ist Leiter der Entwicklung von Connected-Drive für alle Modellreihen bei BMW in München. „Etwa 80 % bis 90 % der Software in unseren Autos entfallen auf Connected-Drive. Dabei setzen wir auf Open-Source in Form linuxbasierter Systeme.“
Informatiker brauchen kein Spezialwissen über Autos
Entwickelt und umgesetzt werden die Anwendungen bei BMW selbst. Das bedeutet: BMW beschäftigt immer mehr Informatiker. Würtenberger hat 270 Mitarbeiter im Team, von denen etwa die Hälfte Informatiker oder Ingenieure und Naturwissenschaftler mit informationstechnischem Hintergrund sind. Die einen beschäftigen sich mit der Umfeldmodellierung, andere sind spezialisiert auf Bildbearbeitung oder Audio- und Video-Streaming.
Das alles sind Tätigkeiten, die angehende Informatiker im Studium lernen. „Die Informatik im Auto profitiert von anderen Informatik-Anwendungsgebieten und Technologien.“ Deshalb meint er, dass die meisten Informatik-Absolventen auch Anwendungen fürs Auto entwickeln können. Automobiles Spezialwissen sei nicht notwendig.
Neue IT-Systeme im Auto sollen Verkehrssituationen erfassen, vor Gefahren warnen und notfalls eigenständig reagieren. Es geht darum, die Hände am Lenkrad und die Augen auf der Straße zu behalten, Head-up-Displays sei Dank. „Unsere Unternehmen setzen aus drei Gründen auf Informatik und Elektronik: Sie können die Sicherheit der Fahrzeuge erhöhen, den Kraftstoffverbrauch weiter senken und zusätzlichen Komfort im Auto bieten“, sagt Ulrich Eichhorn, technischer Geschäftsführer im Verband der Automobilindustrie, Berlin.
Informatiker sind in der Automobilbranche immer mehr gefragt
Großes Potenzial für die Informatik sieht er auch in der Vernetzung des Autos mit seiner Umwelt. Mit dem Projekt „Sichere Intelligente Mobilität, Testfeld Deutschland“, kurz simTD, habe die deutsche Automobilindustrie eine erste Testphase gestartet. „Immer mehr Informatik im Auto bedingt, dass immer mehr Informatiker in der Automobilbranche gebraucht werden.“
Der Automobilzulieferer Continental beschäftigt weltweit über 10 000 Informatiker. Tendenz steigend, „weil der Integrationsaufwand der Software-Komponenten eine Herausforderung ist, die man professionell angehen muss“, teilt das Unternehmen auf Nachfrage mit.
Michael Nimser arbeitet bei Continental. Der 38-Jährige hat in Kiel Ingenieurinformatik studiert. „Das ist Informatik mit technischem Einschlag in Richtung Hardware.“ Gleich nach seinem Abschluss ging er 2004 als Entwickler zu Continental, heute arbeitet er in Berlin im Bereich Entwicklung Hybrid & Electric Vehicles. In dieser Geschäftseinheit werden Steuergeräte und Elektromotoren für Hybrid- und Elektroautos entwickelt, inklusive der Software für die Batteriesteuergeräte. Kunden sind BMW und Daimler. „Wir betreiben sehr hardwarenahe Programmierung von Embedded Systems, die von kleinen Prozessoren gesteuert werden und deren Anwendungen in der Programmiersprache C geschrieben sind.“
Speicherplatz dürfe aufgrund der geringen Controller-Größe nicht vergeudet werden, es sei auf Effizienz zu achten. Unter solchen Kompromissen zu arbeiten, unterscheide seinen Job von dem eines Entwicklers im Serverbereich, wo über ein Gigabyte nicht diskutiert werde.
Michael Ehrmann, ebenfalls 38, hat in Karlsruhe Informatik studiert und mit der Anwendung am Auto im Studium nur am Rande zu tun, nämlich in Vorlesungen über die bereits erwähnte hardwarenahe Programmierung. Nach dem Studium hatte er seinen ersten Job bei BMW Car IT, einer hundertprozentigen Tochter des Münchner Automobilbauers, die sich mit Vorentwicklung, Serienunterstützung und neuen IT-Konzepten im Auto beschäftigt.
Seit 2005 arbeitet er bei BMW in der Serienentwicklung im Bereich Mensch-Maschine-Schnittstelle im Team von Würtenberger. Ehrmann hat an der Software für das Bediensystem im neuen 3-er mitgearbeitet.
Er war für die Basis-Frame-Work-Entwicklung von Telefon, Navigationssystem, Multi-Media und anderen Anwendungen zuständig. Ehrmann schuf die Möglichkeiten, dass die Anwendungen grafisch dargestellt werden.
Sehen und gesehen werden – das unterscheidet seinen Job von dem eines Informatikers in dessen typischem Arbeitsbereich, etwa der Entwicklung von Datenbanken, Online-Diensten oder Server-Architekturen. „Was wir schaffen, sieht man auf der Straße.“ Ein weiterer Unterschied: An der Entwicklung eines Autos arbeiten mehrere tausend Leute Hand in Hand. „Daher sind wir Teil eines aufeinander aufbauenden und verzahnten Projekts, das absolute Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erfordert.“
Automobil-Informatik: Software trennt sich von Hardware
„Künftig wird in allen Autos die Software von der Hardware getrennt sein“, sagt Dieter Nazareth, Leiter des Studiengangs Automobilinformatik an der Hochschule Landshut. Zu diesem Zweck wurde 2003 die Entwicklungspartnerschaft Autosar (Offene Systemarchitektur im Fahrzeug) gegründet, daran nehmen Automobil-, Steuergeräte-, Controller- und Softwarehersteller teil.
Deren Ziel ist es, den Austausch von Software auf unterschiedlichen Steuergeräten zu erleichtern, erreicht werden soll dies durch eine einheitliche Softwarearchitektur für Embedded Software im Automobil.
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