Arbeitsmarkt 25.03.2011, 19:52 Uhr

Ingenieure in diplomatischer Mission

Für eine Karriere in Europäischen Organisationen oder den Vereinten Nationen muss man kein Jurist oder Wirtschaftswissenschaftler sein. Auch Ingenieure sind willkommen. Auf dem diplomatischen Parkett zählt vor allem Persönlichkeit.

Wenige Menschen verwirklichen ihre Kindheitsträume – wie beispielsweise Astronaut zu werden oder Astronom. Dabei gibt es für Sternenforscher (spezialisiert in Elektrotechnik, Luftfahrt, Maschinenbau oder Optomechanik) gute Stellen, etwa in der chilenischen Atacama-Wüste. Dort betreibt die ESO (Europäische Südsternwarte) Spitzenforschung. Bis 2020 wird dort E-ELT, das neue „European Extremely Large Telescope“ installiert.

Die Großteleskop-Anlage mit den Ausmaßen eines Fußballstadions soll helfen, bis zu 500 Lichtjahre entfernte Sonnensysteme zu erforschen. „In den kommenden Jahren entstehen bei uns auch mehr Jobs“, so Sprecher Lars Christensen in der Münchner Zentrale. Bislang wurde die ESO von 15 meist europäischen Mitgliedern betrieben. „Seit 2010 ist Brasilien dabei drei weitere Länder sind im Gespräch. Es gibt also auch mehr Forschungsgelder.“

Auch Raumfahrt-Experten in spe werden in europäischen Organisationen fündig. Jährlich bietet die „European Space Agency“ (ESA) mit Sitz in Paris ein einjähriges Trainee-Programm für Uni-Absolventen.

Als Gabriele Voigt sich nach dem Abi für den Studiengang Biologie mit Schwerpunkt Genetik und Mikrobiologie in München entschied, hätte sie sich nicht träumen lassen, einmal als Safeguard-Expertin das Labor der UN-Atomenergie-Organisation IEAE (International Atomic Energy Agency) in Wien mit 180 Mitarbeitern zu leiten. Die IAEA kümmert sich um die (friedliche) Anwendung radioaktiver Stoffe und darum, eine militärische Nutzung verhindern zu helfen. Voigt sucht oft Naturwissenschaftler und Ingenieure, die als Inspektoren weltweit Umweltproben nehmen oder Analysen und Auswertungen im Labor vornehmen. „Wer bei uns anfängt, muss nicht in Harvard studiert haben“, sagt die 59-jährige Professorin mit einer Mischung aus Pragmatismus und Understatement.

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Unflexibel seien eher die Bewerbungsverfahren, die bis zu einem Jahr dauern. Doch: In den nächsten drei Jahren steht in der IAEA ein Generationenwechsel an.

Die Freude, sich in neue Themen einzuarbeiten, Interesse an anderen Kulturen, Kommunikationsgeschick und politisches Fingerspitzengefühl sind für die Arbeit bei der IAEA oder auch bei der „Organisation für das Verbot chemischer Waffen“ (OPCW) in Den Haag das A und O. Eigenbrötlerische Genies haben keine Chance. Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei, früherer Chef der IAEA, schaffte akademische Titel in der IAEA komplett ab.

„Ich finde es faszinierend, mit Menschen aus über 100 Nationen zusammenzuarbeiten“, sagt Martin Adolph. Der 29-Jährige ist Funktionär bei der ITU (Internationale Fernmeldeunion) in Genf, wo er im Bereich Standardisierung für Informations- und Kommunikationstechnologien recherchiert, berichtet und bewertet. Mit einem Studium an der TU Dresden (Informatik) und der Ingenieurschmiede École Centrale in Paris (Doppeldiplom) wäre eine Karriere in der Industrie bei Bosch oder SAP naheliegend gewesen. Doch Adolph hatte bereits zwei Praktika in der Entwicklungszusammenarbeit in Ghana und Madagaskar absolviert, die ihn neugierig gemacht hatten. Den Weg zur UN-Sonderorganisation ITU fand er dennoch rein zufällig. „Mein Professor machte mich auf das Carlo-Schmid-Programm des DAAD aufmerksam. Viele wissen nicht, dass es auch Möglichkeiten für Ingenieure bietet.“ Adolph hatte Glück: Sein CSP-Praktikum erfolgte bei der ITU in Genf. Mit einem darauf folgenden Berater- und nun zweijährigen Anschlussvertrag legte er den Grundstein für seine Karriere.

In der Regel ist das Aufspüren von „Vacancies“ in internationalen Organisationen oft Sisyphus-Arbeit. Wer in diesen Kosmos eintritt, begegnet sonderbaren Abkürzungen, Formularen, Profilen sowie Organisationen, die jeweils auf ihrer eigenen Website die Jobs posten.

Um den Einstieg zu erleichtern, bieten zentrale Arbeitsvermittlung BFIO (Büro Führungskräfte zu Internationalen Organisationen) und Auswärtiges Amt einen Service: Täglich durchforstet ein Mitarbeiter mit Meta-Crawlern alle relevanten Webseiten weltweit. Das Resultat findet sich komprimiert unter www.jobs-io.de. Die Suchmaschine hat es in sich. „Wir unterstützen Kandidaten bei ihrer Bewerbung“, sagt Julie Tumler von der BFIO. Arbeitsvermittlung und Auswärtiges Amt helfen zu checken, ob und wo es Chancen gibt, wie die richtige Botschaft im Anschreiben und im Lebenslauf sein muss.

Das eigentliche Ziel ist: Lobbying. Das Auswärtige Amt will, wie andere Länder auch, möglichst viele Bewerber deutscher Staatsangehörigkeit ins Rennen schicken. Beispiel Cern: Die Europäische Organisation für Kernforschung in Genf, die physikalische Grundlagenforschung betreibt, wird von 20 Ländern finanziert. Mit 144 Mio. € bestreitet die Bundesrepublik 20 % des jährlichen Etats. „Das entspricht 450 Stellen, aber momentan haben wir nur 180 Mitarbeiter mit deutscher Staatsangehörigkeit“, sagt Rüdiger Voss, „und große Probleme, qualifizierte Ingenieure aus Deutschland anzuwerben.“ Dennoch, so Voss, würden die Stellen besetzt, „etwa mit Ingenieuren aus südeuropäischen Ländern“. Und vor allem gelte die Regel: „Qualifikation kommt immer vor Quote“.

Weltweit arbeiten in Europäischen Organisationen und Vereinten Nationen 5676 Deutsche. Davon ist nur knapp jeder sechste offiziell von der Bundesrepublik entsandt, hat also eine Jobgarantie mit Rückflugticket. Alle anderen reisen auf eigenes Risiko, müssen sich mit Projekt- und Kurzzeitverträgen und der Arithmetik von Rotationen auseinandersetzen. Die meisten Stellen sind auf zwei oder maximal fünf Jahre befristet. Auch die Vergütung lässt sich meist nicht mit den Gehältern in der Industrie vergleichen. Trotzdem finden viele Hochschulabsolventen und Mid-Careers den multi-kulturellen Flair, die hochkarätigen Forschungsprojekte, das besondere Arbeitsumfeld und Prestige verlockend. Und viele wünschen sich nichts sehnlicher, als mit ihrer Bewerbung direkt auf der Shortlist zu landen – in einem Ordner mit dem Akronym „VQ“ für: „Very Qualified“. BIRGIT HEITFELD

Ein Beitrag von:

  • Birgit Heitfeld

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