Ingenieure in Gewissensnöten
Ihre Berufe leiden unter einem gewissen Pfui-Faktor, dabei sind sie eigentlich hui: Auf Atom-, Wehr- oder Gentechnik spezialisierte Ingenieure sind international begehrt, genießen aber wegen dieser Branchen hierzulande oft keinen allzu guten Ruf in der Gesellschaft. Doch es lohnt, sich nicht von Vorurteilen verunsichern zu lassen
Was die Bloggerin da zum Besten gibt, meint sie ernst: „Ein Kraftwerksingenieur, der in einem Atomkraftwerk arbeitet, muss ja per se korrupt sein.“ Nicht jeder mag ein derart klar strukturiertes Weltbild haben, doch in vielen Köpfen haben Jobs in der Atomwirtschaft wie auch in der Gentechnik und der Rüstungsindustrie ein miserables Image. Auch bei angehenden Ingenieuren, die lieber einen Bogen um diese Branchen machen.
„Das eigentliche Problem beginnt mit der Studienplatzwahl, bei der sich viele eher emotional von gesellschaftlichen Stimmungen leiten lassen“, sagt Falk Runge, Mitglied der Geschäftsleitung bei Kienbaum Executive Consultants. Was er damit meint, demonstriert ein Blick zur TU München (TUM): Für den dortigen Bachelor- und Master-Studiengang Nukleartechnik sind gerade mal eine Handvoll Studenten immatrikuliert. Zwar sind die Veranstaltungen gut besucht, meist von Maschinenbauern, doch sich auf das Thema Atomenergie zu spezialisieren, wagen nur wenige. „Erschreckend wenige“, präzisiert TUM-Sprecher Andreas Battenberg, „dabei locken geradezu geniale Berufsaussichten. Die Absolventen können sich ihre Arbeitgeber weltweit aussuchen und das Gehalt frei aushandeln.“ Nur: „Vielen ist das nicht klar.“ Ebenso wenig wie vielen nicht klar ist, dass der berufliche Weg nicht schnurstracks in einen Atommeiler führen muss, sondern beispielsweise auch in die Nuklearmedizin.
Doch gesellschaftlich gehört die Angst vorm Atom zum guten Ton. Ähnlich verhält es sich mit der Gentechnik oder der Rüstungsindustrie, die pauschal unter einem schlechten Image zu leiden haben. Die Rekrutierer in diesen Branchen bekommen das zu spüren. „Der allgemeine Mangel an Ingenieuren zeigt sich hier besonders“, sagt David Vasak, studierter Physiker und Seniorberater der Technologieberatung PA Consulting Group. „Dabei sind in diesen Branchen die Ein- und Aufstiegschancen exzellent“, betont er. Auf einem leer gefegten Markt gelte die Devise „Je schlechter das Image, desto besser die Chancen“, zumal Quereinsteiger in den Hochtechnologiebranchen kaum zum Zuge kämen.
Was mithin jeden Ingenieur kitzeln müsste, sind die Entwicklungsaufgaben, die Arbeit an den Technologien von morgen. „In der Wehr- und Sicherheitstechnik wird an der Grenze des Machbaren gearbeitet. Eine Herausforderung für jeden Ingenieur“, sagt Dieter Monka, Personalchef von Diehl Defence. Letztlich gehe es um Spitzentechnologie, die oft genug auch von zivilem Nutzen ist. Doch bei Rekrutierungsveranstaltungen trifft Monka immer wieder auf Ingenieur-Anwärter, die mit Rüstung, Bundeswehr & Co. nichts am Hut haben möchten. Allerdings gelingt es Diehl Defence mit viel Einsatz in der Regel, genügend geeignete Kandidaten zu finden. „Wer wertfrei mit der Materie umgeht, für den bietet sich ein attraktives Umfeld“, wirbt der Personalchef.
Auch, weil die Entwicklungszyklen in der Wehrtechnik lang seien, ein Ingenieur von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt sechs bis 15 Jahre kontinuierlich und umfassend an einer Technologie arbeitet. „Hier entwickelt der Einzelne nicht nur das Türschloss hinten links wie in der Autoindustrie, sondern arbeitet an einem ganzen System“, sagt Monka.
Jost Kamenik, Seniorberater in der Industriesparte von PA Consulting, beobachtet, wie scharf zwischen den Arbeitgebern in dieser Branche unterschieden wird: „Es gibt ein paar wenige Buhmänner, die klar Waffensysteme entwickeln und gemieden werden, und eine Reihe von Luft- und Raumfahrtunternehmen mit tadellosem Image, die als Arbeitgeber begehrt sind.“ Dabei sind die Entwicklungen der vermeintlichen Good Guys ebenso rüstungsrelevant.
Ein Bogen wird mitunter auch um die Gentechnik gemacht. Auch hier wird klar differenziert, ist die Erfahrung des TUM-Sprechers Andreas Battenberg. Der gerade neu gestartete Studienzweig der „Bioverfahrenstechnik“ erfreue sich nämlich großer Beliebtheit.
In der so genannten weißen Biotechnologie, die sich auch gentechnischer Verfahren bedient, werden unter anderem umweltverträgliche Wege zur synthetischen Herstellung von Bioethanol entwickelt, was per se positiv bewertet wird. „Es geht nicht um Gentechnik auf dem freien Feld, sondern im Reaktor. Das ist für viele der entscheidende Unterschied“, erklärt Battenberg.
Kienbaum-Berater Falk Runge respektiert etwaige Vorbehalte von Ingenieuren und würde diese niemals in einen Job locken, der ihnen Bauchschmerzen bereitet. „Um Stellen richtig zu besetzen, muss sich ein Rekrutierer auch immer fragen, wie ein Kandidat tickt, welche Werteorientierung er hat.“ Dazu gehöre, der Moral Raum zu geben, zu erkennen, was einem Ingenieur wichtig ist, wovon er sich leiten lässt.
Abgesehen davon ist es so, dass beispielsweise Nukleartechniker eben nicht glühende Verfechter der Atomkraft sein müssen. Allein, die Sicherheit der Meiler zu gewährleisten, ist eine wichtige Aufgabe, die ohne entsprechende Expertise künftig nicht zu schaffen ist. Und im Hinblick auf einen etwaigen Atomausstieg arbeiten Ingenieure als federführende Fachleute an einer sicheren Stilllegung der Meiler sowie der Entsorgung und Lagerung des strahlenden Mülls mit. Fragt sich, was an derart verantwortungsvollen Aufgaben „korrupt“ sein soll. CHRIS LÖWER
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