Ingenieure werden vom Produkt- zum Lösungsanbieter
Die Verschmelzung von Sach- und Dienstleistungen wird sich extrem auf das Berufsbild des Ingenieurs und auf dessen Anforderungen auswirken, ist Uta Wilkens, Arbeitswissenschaftlerin an der Universität Bochum, überzeugt: „Es muss die Bereitschaft bestehen, bekannte Pfade zu verlassen, sich auf neue Verfahren einzulassen und auch latente Konflikte in Kauf zu nehmen.“
VDI nachrichten: Sie behaupten, deutsche Unternehmen müssten ihre Geschäftsprozesse überdenken. Warum?
Wilkens: In den rein produktbezogenen Bereichen laufen deutsche Unternehmen gegenüber der asiatischen Konkurrenz Gefahr, ihre gute Wettbewerbsposition einzubüßen. Mit neuen Geschäftskonzepten als hybrider Leistungsanbieter können hier ansässige Unternehmen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken.
Wie hat man sich das vorzustellen?
Wir sprechen von „hybriden Leistungsbündeln“, wenn Sach- und Dienstleistungen eng miteinander verschmelzen. Unternehmen werden zu Lösungsanbietern. Ein Beispiel aus der Fahrzeugindustrie: Ein Hersteller stellt nicht das Fahrzeug ins Zentrum, sondern die Problemlösung, um die es dem Kunden eigentlich geht, also Mobilität oder Transport. Er wird vom Produktanbieter zum Lösungsanbieter.
Was bedeutet das für den Ingenieur?
Schon in der Konstruktion muss der Ingenieur die Servicekomponenten im Blick haben. Er muss den Vertriebsprozess, den Kunden in seinem Nutzungsverhalten sowie die Dynamik des Marktes ständig gedanklich miteinbeziehen. Dazu muss die Bereitschaft bestehen, bekannte Pfade zu verlassen, sich auf neue Verfahren einzulassen und auch latente Konflikte in Kauf zu nehmen. Dabei spielen soziale Kompetenzen eine Rolle, vor allem aber die kognitive Fähigkeit, sich in andere Denk- und Arbeitsweisen zu versetzen, um das Ganze letztlich in einem gebündelten Gesamtsystem zu optimieren.
Wie erleben Sie die Unternehmensrealität?
Wir erleben eine extrem hohe Professionalität, Probleme auf eine bestimmte und bislang bewährte Art und Weise zu lösen, aber auch eine große Zurückhaltung beim Einlassen auf neue Methoden und Verfahren, weil der Koordinationsaufwand gescheut wird. Es gibt eine ausgeprägte Neigung, Probleme über Standardisierung und Automatisierung zu lösen. Dass ein Interaktionsprozess nicht vollständig zu standardisieren ist, wird oft nicht berücksichtigt. Es gilt, das Bewusstsein zu schaffen, im Arbeitsprozess neue Entwicklungsoptionen erschließen zu können.
Da ist beim Umdenken also nicht nur der einzelne Ingenieur gefragt, sondern das ganze Unternehmen.
Ja, Voraussetzung für den Erfolg ist, dass Führungskräfte Visionen neuer Dienstleistungs- und Sachleistungskomponenten im Unternehmen verbreiten, und hier als Vorbild agieren. Ebenso müssen alle Arbeitsbereiche mit der steigenden Komplexität auch umgehen können.
Lässt sich so etwas am besten über Seminare schulen?
Seminare können eine Rolle spielen, aber letztlich fehlt es Projektarbeitskräften nicht an fachlichen Kompetenzen. Es geht um das funktionierende Interaktionssystem, ums Teamlernen. Kompetenzen entwickeln sich vor allem im Prozess der Arbeit. Reflexionsschleifen und Feedbackgespräche sollten zur Routine werden, insbesondere auf Teamebene.
Welche strukturellen Veränderungen wird das zur Folge haben?
Es könnten neue Berufsbilder für Ingenieure entstehen. Die Entwicklung könnte sich auch in neuen Studiengängen widerspiegeln, in der Verzahnung von ingenieur-, wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Ausbildung. Masterprogramme werden sich in diese Richtung entwickeln. Allerdings kann die Ingenieurausbildung auf diese Prozesse, weg von klassischen Standardisierungen, nur bedingt vorbereiten. Bei einem Studium mit großem interdisziplinären Schwerpunkt würde vermutlich der Vorwurf laut, es handele sich um keine „richtige“ Ingenieurausbildung.
Ein Beitrag von: