Ingenieure und Informatiker: Rekordbeschäftigung trotz abkühlender Wirtschaft
Noch nie wollten so viele junge Menschen Ingenieur werden wie zurzeit. Und ihre Berufs- und Karrierechancen sehen gut aus – trotz der sich abkühlenden Weltwirtschaft.
Knapp 130.000 Ingenieurstudierende verlassen derzeit jährlich nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit die Fachhochschulen und Universitäten als frisch gebackene Bachelor oder Master. Gleichzeitig gibt es laut „Ingenieurmonitor“ des VDI und des Instituts der deutschen Wirtschaft rund 126.000 offene Stellen bei nur etwa 29.500 arbeitslosen Ingenieuren in Deutschland. Insgesamt zählt der Ingenieurmonitor 1,2 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Ingenieurbereich und tatsächlich gibt es noch viel mehr Ingenieure in der Wirtschaft, beispielsweise in Managementpositionen oder auf Arbeitsplätzen ohne direkten Bezug zum Ingenieurwesen. Doch eine der längsten Boomphasen der deutschen Wirtschaft seit den Wirtschaftswunderjahren und der Wiedervereinigung scheint ins Stocken zu geraten.
Was die Nachfrage nach Ingenieuren am Leben hält
Der hohe Beschäftigungsgrad – immerhin wuchs die Zahl der Stellen seit 2013 um 25 % – ist u.a. auf die rasante Digitalisierung zurückzuführen, die in nahezu allen Lebensbereichen zu gravierenden neuen Entwicklungen und damit nahezu automatisch zu neuen Aufgaben für Ingenieure führt. In immer schnelleren Rhythmen entstehen neue Produkte und Dienstleistungen, die untrennbar mit technischen Entwicklungen verbunden sind. Dazu zählen beispielsweise Technologien für das Smart Home oder neue Formen der Mobilität, es gehören aber auch verstärkte Maßnahmen zur IT-Sicherheit dazu. Ohnehin rücken klassische Hardwareentwicklung und Software-Lösungen immer enger zusammen. Seit einigen Jahren zählen Ingenieure und Informatiker deshalb zur selben Berufsgruppe. Unter den 126.000 offenen Stellen wird etwa ein Drittel der Informatik zugerechnet.
Die anhaltend hohe Nachfrage nach Ingenieuren hat ihre Ursache aber nicht nur in digitalen, sondern auch realen Entwicklungen. Neue Produktionsprozesse und Anlagen erfordern zum Beispiel neue Maschinen sowie eine stärkere Vernetzung zwischen Produktionsstandorten. Das hat unmittelbar Auswirkungen auf den Bedarf an Ingenieuren, insbesondere aus dem Schnittstellenbereich zwischen Hard- und Software. Gefragt sind sowohl Informatiker – mit knapp 43.000 offenen Stellen – als auch Ingenieure der Fachrichtungen Energie- und Elektrotechnik. Alle Indizien deuten darauf hin, dass dieser Bedarf von dauerhafter Natur ist. Elektrotechniker und ähnlich qualifizierte Ingenieure sind auch in der Fahrzeug- und Energiebranche gefragt. Treiber sind aktuelle Themen wie Elektromobilität genauso wie die anhaltende Nachfrage nach erneuerbaren Energien und den dazugehörigen Anlagen.
Neben der guten Konjunktur und der Digitalisierung zeichnet sich der Generationswechsel als weiterer Treiber für den Ingenieurarbeitsmarkt ab: Fast jede dritte Fachkraft ist über 50 Jahre alt und wird in den nächsten 15 Jahren den Schreibtisch an jüngere Arbeitnehmer abgeben.
Öffentlicher Dienst immer häufiger befristet
Ähnlich hoch und stabil ist der Bedarf im Baubereich. Als Konsequenz der anhaltend guten ökonomischen Situation, aber auch durch die niedrigen Zinsen und einen wachsen den Mangel an Wohnraum bedingt boomt die Bauwirtschaft. Entsprechend gesucht sind Ingenieure praktisch aller am Bauen beteiligten Fachrichtungen vom klassischen Bauingenieur bis zum Vermessungsingenieur. Fast 33.000 Stellen sind in diesem Bereich vakant. Zu den Motoren zählt auch der wachsende Druck, in die jahrelang vernachlässigte öffentliche Infrastruktur zu investieren. Entsprechend hoch ist der Ingenieurbedarf in den öffentlichen Verwaltungen aller Ebenen. Allerdings haben Rathäuser, Landes- und Bundesbehörden weiterhin mit einem starken Handikap zu kämpfen: Der öffentliche Dienst zahlt häufig deutlich schlechter als die private Wirtschaft. Und selbst das einst beste Argument der Verwaltungen, die langfristige Sicherheit der Arbeitsplätze, zählt nicht mehr: In vielen Fällen sind die ausgeschriebenen Stellen zeitlich befristet.
Es gibt keine Jobgarantie für Ingenieure
Die voraussichtlich noch lange anhaltende hohe Nachfrage nach Ingenieuren bedeutet allerdings keine Jobgarantie. Durchschnittlich sind derzeit etwa 29.500 Ingenieure bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitslos gemeldet. Ähnlich wie bei den offenen Stellen kommen zwei Drittel der Arbeitslosen aus den klassischen Ingenieurfächern und ein Drittel aus der Informatik. Wie lange ein einzelner Betroffener in der Arbeitslosigkeit bleibt, ist nicht registriert. Dass jemand trotz des guten Angebotes an offenen Stellen Schwierigkeiten hat, eine neue Beschäftigung zu finden, kann dabei eine ganze Reihe von Ursachen haben. Dazu zählt mangelnde Mobilität – die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften ist von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich. Insbesondere in Bayern und Baden-Württemberg werden mit 24.700 beziehungsweise 22.400 offenen Stellen die meisten Ingenieure gesucht; in den östlichen Bundesländern gibt es als Folge der dortigen häufig immer noch schwachen Wirtschaftsstruktur deutlich weniger offene Stellen.
Allerdings holen einige Regionen stark auf: In Berlin und Brandenburg stieg die Nachfrage binnen weniger Monate um 33 % an. Eine über Jahrzehnte entwickelte starke Industrielandschaft ist zudem nicht automatisch der Garant für einen großen Bedarf an Ingenieuren – in Nordrhein-Westfalen ist die Nachfrage mit 21.200 offenen Stellen vergleichsweise gering und ging in den vergangenen Monaten sogar noch leicht zurück. Zudem hat NRW den höchsten Anteil an der Arbeitslosigkeit von Ingenieuren – ein Fünftel der Beschäftigungslosen wohnt im Land zwischen Rhein und Weser.
Recruiting von Ingenieuren hat sich entspannt
Anders als noch Ende der 1990er Jahre ist vom Ingenieurmangel in Deutschland trotz der hohen Nachfrage nicht mehr die Rede. Die Zahlen der Studienanfänger und Absolventen deuten darauf hin, dass der Bedarf prinzipiell zu decken ist. Es dauert bei der Suche nach einem Ingenieur nur etwas länger, bis die freie Stelle wieder besetzt ist. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit braucht es im Schnitt aller Berufsgruppen 103 Tage, um eine Stelle zu besetzen. Die Suche nach einem geeigneten Ingenieur dauert dagegen durchschnittlich 126 Tage. Auch bei dieser Zahl zeigt sich, dass sich der Markt entspannt hat: Im Jahr 2012 blieben freie Ingenieurstellen im Schnitt 152 Tage unbesetzt. Aus der Arbeitsmarktstatistik geht allerdings nicht hervor, wie lange ein arbeitslos gemeldeter Ingenieur bis zur Neuanstellung benötigt.
Unter allen Ingenieurberufen und Regionen sind Informatiker in Baden-Württemberg am häufigsten gefragt: dort gibt es für sie 643 offene Stellen pro 100 Arbeitslose. Diese Relationen sind aber kein Freifahrschein in die berufliche Zukunft. Neben der fachlichen Qualifikation schauen die meisten Arbeitgeber sehr genau, ob die Bewerber wirklich für den Job geeignet sind. Auch wenn sie Fachkräfte suchen, lassen sich viele Unternehmen immer noch Zeit für einen sorgfältigen Entscheidungsweg.
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Dieser Artikel erschien in Teilen auch im VDI-Karriereführer 2019.
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