Karrieren in der Provinz
Was den einen anzieht, schreckt den andern ab. Rehau, Schongau und Franken klingen nach technischem Niemandsland. Trotzdem schaffen es die Firmen dort, gute Ingenieure für ein Leben auf dem Land zu gewinnen. Wer dann erst mal da ist, der bleibt – oft für immer. Das hat gute Gründe.
Wolfgang Karl hat einen Studienabschluss, der bei Personalern hoch im Kurs steht. Wirtschaftsingenieure kennen sich mit kaufmännischen und technischen Themen zugleich aus, das macht sie sehr begehrt. Und deshalb können Absolventen dieses Fachs häufig aus mehreren Stellenangeboten wählen.
Dass Karl sich mit seinen 27 Jahren für Rehau in Rehau entschied, mag zunächst überraschen, weil Firma und Ort eher Unbekannte sind. Daher kurz die Erklärung: Rehau hat rund 10 000 Einwohner und liegt im Oberfränkischen, etwa 10 km südöstlich von Hof. Vom obersten Stock des Verwaltungsgebäudes ist Tschechien zu sehen. Und viel Natur. Wie die Stadt, so heißt auch die Firma. Rehau ist Profi in Sachen Polymere. Kunststoffprodukte der Firma machen Autos und Flugzeuge leichter und sicherer und sie haben ein schönes Design, etwa für die Möbelbranche.
„Nach meinem Studium stehen für mich zunächst die beruflichen Ziele im Vordergrund. Deshalb habe ich mich ganz bewusst für Rehau entschieden, dort kann ich mich die Woche über ganz auf meine Karriere konzentrieren“, begründet Karl seine Wahl für Rehau. Seit April 2011 arbeitet er als Entwicklungsingenieur an Stoßfängern für die Automobilbranche.
Rehau: Global Player in tiefster Abgeschiedenheit
Rund 15 000 Mitarbeiter von Rehau haben zuletzt einen Umsatz von etwa 2,7 Mrd. € erwirtschaftet. Das Unternehmen ist in über 50 Ländern vertreten und daher ein Global Player – in tiefster Abgeschiedenheit. „Der Standort Rehau ist sicherlich nicht mit dem pulsierenden Leben in Großstädten zu vergleichen, er hat aber viele Vorteile, die vielleicht erst auf den zweiten Blick überzeugen“, sagt Andreas Iwansky, Abteilungsleiter Employee Services. Als Beispiele nennt er günstigen Wohnraum und ebensolche Lebenshaltungskosten, kurze Wege, gute Verkehrsanbindung, komplettes Schulangebot, einen hohen Erholungswert und interessante Jobs.
In Rehau hat das Unternehmen etwa 300 Ingenieure. Danijel Macanovic ist einer von ihnen. „Ich habe in der Vorentwicklung gearbeitet und wollte raus, um näher an Produkten und Menschen zu sein.“ Seit zehn Jahren ist der 37-jährige Chemieingenieur nun schon bei Rehau, zurzeit als Projektleiter. Er stammt aus Nürnberg, kennt daher das Stadtleben und weiß: „Ländliche Gegenden haben durchaus ihren Reiz.“
Die berufliche Tätigkeit steht auch bei ihm an erster Stelle, dann das Häuschen im Grünen, „das mich hier weniger kostet als eine Notunterkunft in München“. Und für ihn als Vater zählt Sicherheit. „In Rehau wächst mein Sohn behütet auf.“ Dass in Ballungsräumen höhere Gehälter bezahlt würden als in der Provinz, weiß Macanovic. „Doch am Ende zählt, was übrig bleibt.“ Und in Rehau sei das am Monatsende mehr, als in einer Metropole.
Bei Hoerbiger in Schongau tendiert die Fluktuationsrate der Ingenieure gegen Null
Schongau ist mit seinen 12 000 Einwohnern ebenfalls alles andere als eine Metropole. Das Städtchen liegt im Pfaffenwinkel, einer Region in Oberbayern zwischen Lech und Loisach. Dort hat Hoerbiger seinen Sitz „und das ist definitiv ein Standortnachteil“, sagt Personalreferentin Nicole Thomsen. Hoerbiger, ein Schweizer Konzern, ist weltweit in führender Position in den Geschäftsfeldern Kompressor-, Automatisierungs- und Antriebstechnik tätig. Weltweit beschäftigt das Unternehmen rund 2000 Ingenieure, davon 550 in Schongau. „Viele Ingenieure meinen, in landschaftlich schönen Gegenden sei technologisch nicht viel geboten.“ Was eine absolute Fehleinschätzung sei, „denn, man schafft es nicht, über 500 Ingenieure allein wegen Bergen, Wäldern und Seen aufs Land zu locken“.
Zuerst die Stelle, dann der Standort, in dieser Reihenfolge entscheiden Ingenieure, so die Erfahrung von Thomsen. Es sind ihrer Meinung nach bodenständige Menschen mit Begeisterung für Natur und Sport, die zu Hoerbiger kommen. Und sind sie erst einmal angekommen, dann bleiben sie auch, bauen sich ein Haus, gründen eine Familie und engagieren sich in Vereinen. „Unsere gegen Null tendierende Fluktuationsrate ist der beste Beweis dafür.“ Und das bei großer Konkurrenz: Jede zweite bei der Bundesagentur für Arbeit offen gemeldete Ingenieurstelle ist in Baden-Württemberg, Bayern oder Hessen, informiert der VDI.
Automobilzulieferer Brose punktet mit hoher Lebensqualität und niedrigen Lebenshaltungskosten
Brose Fahrzeugteile ist wie die beiden anderen ebenfalls ein mittelständisches Unternehmen, das global unterwegs ist und seinen Sitz auf dem flachen Land hat. Coburg hat zwar viermal so viele Einwohner wie Rehau, ein Zugpferd, das Ingenieure anlockt, ist die Stadt dennoch nicht. Weltweit hat der Automobilzulieferer von mechatronischen Systemen und Elektromotoren etwa 18 000 Mitarbeiter in 22 Ländern, davon 2500 Ingenieure. In Deutschland arbeiten davon rund 1500 in Forschung und Entwicklung an den drei fränkischen Standorten Coburg, Hallstadt und Würzburg. „Alle drei Städte liegen in der Provinz und in allen dreien sind wir einer der größten Arbeitgeber“, sagt Personalchefin Esther Loidl.
Anforderungen, Entwicklungsmöglichkeiten und Internationalität sind ihrer Erfahrung nach die ausschlaggebenden Kriterien für Ingenieure bei der Auswahl eines Arbeitgebers. „Dann folgen Aspekte wie Tradition und Sicherheit des Arbeitsplatzes, was für Bewerber immer wichtiger wird.“ Inhabergeführte Familienunternehmen könnten das häufig bieten. Brose punktet zudem bei den Themen hohe Lebensqualität und niedrige Lebenshaltungskosten. „Das gibt es bei uns an allen drei fränkischen Standorten gratis,“ sagt Loidl, die das als Standortvorteil für Brose ausmacht. Vom ländlichen Firmensitz aus könne jeder ins Ausland gehen, wenn er die große weite Welt sehen will. Oder in Franken Karriere machen. „Dass Unternehmen in der Provinz dieselben Karrierechancen bieten wie Konzerne in Ballungszentren, scheinen manche Absolventen nicht in Betracht zu ziehen.“ Nach Meinung von Loidl ein Denkfehler. Sie selbst hat einen Job in Mexiko für Brose in Coburg aufgegeben.
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