Keines der neun noch laufenden deutschen AKW ist wirklich sicher
Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 sollte die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke überprüft werden. Ein Nationaler Aktionsplan wurde erarbeitet, der strenge Anforderungen definierte. Viel passiert ist bis heute nicht.
Es war ein wahrer Doppelschlag, heute auf den Tag genau vor zwei Jahren, am 11. März 2011: Zuerst bebte um 14:46 Uhr Ortszeit die Erde in der japanischen Küstenstadt Fukushima. Dann rollten um 15:27 Uhr und um 15:35 Uhr zwei gewaltige Flutwellen über den Ort mit seinen sechs Atomreaktoren hinweg. Die erste Welle ist 14 Meter hoch, die zweite 15 Meter. Die Atomreaktoren sind schon nach dem Erdbeben mit einem Wert von 9,0 auf der Richter-Skala ohne Strom, für die auf permanente Kühlung angewiesenen Reaktoren ohnehin schon eine bedrohliche Situation. Die beiden Monsterwellen, die die Reaktoranlage überrollen, leisten ganze Arbeit: Die zehn Meter über den Meeresspiegel gelegenen Reaktorblöcke 1 bis 4 werden bis zu fünf Meter tief überschwemmt, die drei Meter höher erbauten Blöcke 5 und 6 nur bis zu einem Meter. Das Wasser dringt überall in die havarierten Bauten ein, zerstört Notstromaggregate und Stromverteilerkästen. In den Blöcken 1, 2 und 3 kommt es zur Kernschmelze. Der Super-Gau.
Die Hilflosigkeit, mit der die Betreiberfirma Tepco in den folgenden Tagen auf die gewaltige Katastrophe reagierte, löste Erstaunen aus: Da versuchten Arbeiter völlig ungeschützt gegen die Strahlung in den Blöcken 1 bis 3 Autobatterien an einzelne Systeme anzuschließen, die Feuerwehr spritzte Wasser in die explodierten Kraftwerksblöcke, um eine vollkommene Überhitzung der Brennstäbe und damit deren Durchschlagen in den Untergrund zu verhindern.
Merkel reagiert schnell
Die studierte Physikerin und Bundeskanzlerin Angela Merkel, bis zu dieser Nuklearkatastrophe bekennende Atomkraftbefürworterin, reagiert schnell. Am Abend des 14. März 2011 verkündet sie der erstaunten deutschen Öffentlichkeit, dass alle 17 deutschen Kernkraftwerke für drei Monate einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden sollen. O-Ton Merkel: „Wir haben eine neue Lage. Wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.“ Dafür sollten die sieben ältesten Kernkraftwerke Deutschlands vorerst abgeschaltet werden. Am 30. Juni 2011 folgt der Entschluss, aus der friedlichen Nutzung der Atomenergie auszusteigen und bis zum Jahre 2022 alle deutschen Atomreaktoren endgültig abzuschalten. Der Zeitplan des nationalen Atomausstieges: Bis zum 31. Dezember 2015 geht Grafenrheinfeld vom Netz, zwei Jahre später trifft es Grundremmingen B, Ende 2019 fährt Phillipsburg 2 herunter. Zum 31. Dezember 2021 müssen Grohnde, Grundremmingen C und Brokdorf dran glauben, ein Jahr später, zum 31. Dezember 2022 ist der nationale Atomausstieg mit dem Ende von Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 endgültig Geschichte.
Es dauert also noch knapp zehn Jahre, bis in Deutschland das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen wird. Wie die Geschichte der Reaktorkatastrophen zeigt, ist das eine lange Zeit. So vergingen vom ersten Gau in der westlichen Welt, der Beinahe-Kernschmelze im US-amerikanischen Atommeiler Three-Mile-Island in Harrisburg bis zur Explosion in Tschernobyl gerade einmal sieben Jahre. Eine jetzt vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) veröffentlichte Studie zeigt, dass von den neun in Deutschland laufenden Atommeilern nach wie vor erhebliche Risiken ausgehen. Zwar wurden 2011 sämtliche Reaktoren dem so genannten „Europäischen Stresstest“ unterzogen. Doch geschehen ist seither offenbar gar nichts. Die Physikerin Oda Becker, Autorin der BUND-Studie zieht deshalb ein finsteres Fazit: „In den Grundzügen ist die jetzige Situation in Deutschland vergleichbar mit der Situation in Japan vor der Atomkatastrophe.“
BUND: Noch keine Anlage ausreichend geschützt
Es sind schon eine Menge Problemfelder, in die die Studie ihre Finger legt und auf eklatante Schwachstellen hinweist. So kam es im letzten Jahr in den beiden deutschen Atomkraftwerken Grundremmingen und Phillipsburg 2 zu „Beinahe-Störfällen“, weil Schalter im Stromversorgungssystem nicht korrekt funktionieren. Erfahrungen zeigen, dass das Notstromsystem störungsanfällig ist. Im Jahr 2009 betrafen 19 der 103 meldepflichtigen Ereignisse das Notstromsystem, 2010 waren es 16 von 80, und 2011 immerhin noch 13 von 104. Der Nationale Aktionsplan definierte deshalb Anforderungen an ein sicheres Notstromsystem. Nüchtern meint die Physikerin Oda Becker: „Noch laufen in allen Anlagen die Umsetzungen dieser Anforderungen, das heißt noch ist keine Anlage ausreichend geschützt.“
Beruhigend klingt das nicht, und das ist es auch nicht. So lagern an praktisch allen deutschen AKW-Standorten ausgediente Brennelemente in so genannten Zwischenlagern in Abklingbecken, weil in Deutschland noch immer ein Endlager für diese starken radioaktiven Strahlungsquellen fehlt. Bei der Katastrophe in Fukushima gelangte eine große Menge Radioaktivität in die Umwelt, weil in den Abklingbecken die Kühlung ausfiel. Der Nationale Aktionsplan sah deshalb vor, die Wasserzufuhr und die Stromversorgung der Abklingbecken so nachzurüsten, dass sie auch im Notfall funktionieren. Auch hier zieht Becker das verstörende Fazit, dass bislang in keiner Anlage die entsprechenden Maßnahmen umgesetzt sind. Besonders gravierend scheint dieser Sicherheitsmangel beim technisch veralteten Siedewasserreaktor in Grundremmingen zu sein. „Die Lagerbecken befinden sich im oberen Bereich des Gebäudes außerhalb des Sicherheitsbehälters“, erläutert Becker: „Sollte es zu einem Verdampfen des Kühlmittels oder gar zu einer Schmelze der Brennelemente kommen, gibt es keine wirkliche Barriere für das Entweichen der radioaktiven Stoffe.“
Und so geht es auf 46 Seiten weiter: Demnach sind die Atomkraftwerke in Grafenrheinfeld, Grundremmingen B und C, Phillipsburg 2, Grohnde, Emsland und Isar 2 nach wie vor nicht ausreichend vor möglichen Erdbeben geschützt. Sechs Meiler sind noch immer potenziell durch Hochwasser gefährdet. Bei den Meilern in Grundremmingen, Grohnde und Neckarwestheim ist schon beim so genannten Bemessungshochwasser das Gelände überflutet.
Deutsche Atommeiler schon jetzt im Rentenalter
Ein Riesenproblem stellt das Alter der deutschen Atommeiler dar. Sie laufen bereits 24 bis 31 Jahre. Und nach rund 20 Jahren Laufzeit, so schätzen Experten, machen sich Alterserscheinungen durch Strahlung, mechanische und thermische Belastung und Korrosionsprozesse bemerkbar. Das betrifft nahezu alle sicherheitsrelevanten Bereiche der Anlagen: Es geht um Kabel, um Ventile und um Elektronikbauteile. Dazu kommen noch die Risiken durch mögliche Terroranschläge, durch Brände oder durch Flugzeugabstürze. Es ist zum Beispiel noch nie untersucht worden, ob ein Riesenflieger wie der Airbus 380 das Containment eines Atommeilers zerstören kann. Becker:„Ein Unfall mit erheblichen radioaktiven Freisetzungen kann zurzeit in keinem deutschen Atomkraftwerk praktisch ausgeschlossen werden.“
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