Langenfeld ist schuldenfrei
Nur wenige Städte in Deutschland sind schuldenfrei. Langenfeld im Rheinland ist hinter Düsseldorf und Dresden die drittgrößte schuldenfreie Kommune. Das Beispiel der 60 000-Einwohnerstadt zeigt, dass Kommunen nicht unbedingt Tafelsilber verkaufen müssen, um ihre Schulden loszuwerden. Wichtig ist Disziplin – auch wenn Bürger gelegentlich murren.
Langenfeld liegt auf halben Weg zwischen Köln und Düsseldorf und ist ein Flickenteppich. Fünf Ortsteile, die 1948 zur „Stadt“ zusammengelegt wurden. Viele Jahre fühlten sich die Bürger eher ihren alten Orten verbunden als der neuen Retortenstadt. Es gab ja noch nicht einmal einen Ortskern. „Keiner bezeichnete sich als ‚Langenfelder‘“, sagt Andreas Voss, Pressesprecher der Stadt, ehemals Lokaljournalist. Der Slogan des Stadtmarketings – „Junge Stadt an alter Straße“ – zündete nicht. Eine Stadt ohne Identität.
Das hat sich geändert. Nichts habe das Wir-Gefühl so stark gefördert wie das Thema Schuldenfreiheit, die 2008 erreicht wurde meint Voss. „Das ist unser Alleinstellungsmerkmal.“ Seitdem sagen die Leute gegenüber Auswärtigen gern: „Wir in Langenfeld sind schuldenfrei“, hat Voss beobachtet. „Vielleicht haben Sie in der Tagesschau schon von uns gehört?“
Nur acht weitere Kommunen außer Langenfeld tragen das Attribut „schuldenfrei“
Im Hochschuldenland Nordrhein-Westfalen gibt es – abgesehen von Düsseldorf – nur acht weitere Kommunen, die sich mit dem Attribut „schuldenfrei“ schmücken können. Allesamt kleine, ländliche Gemeinden, unter denen Langenfeld mit seinen knapp 60 000 Einwohnern als Schwergewicht herausragt.
Anders als die Landeshauptstadt, die unter anderem Anteile an ihren Stadtwerken verkaufte, ging Langenfeld einen schwierigeren Weg, in vielen kleinen Schritten – über 25 Jahre.
1986 hatten die damals größten Arbeitgeber vor Ort – eine Stahlfirma und ein Textilbetrieb – die Stadt verlassen. Auf einen Schlag waren 5000 Arbeitsplätze weg, mit entsprechenden Folgen für die Haupteinnahmequellen Gewerbesteuer und den kommunalen Einkommensteueranteil.
So beschloss der Stadtrat einstimmig, keine neuen Schulden mehr aufzunehmen. Der Schuldenberg von 40 Mio. € sank mit jeder Tilgung. Eine stabile politische Mehrheit für die CDU sorgte dafür, dass die haushälterische Disziplin in fast jedem Jahr eingehalten wurde.
Am 2. Oktober 2008 zahlte die Stadt die letzte Tilgungsrate. Einen Tag später folgte ein viertägiges Stadtfest. Die Schuldenuhr am Rathaus wurde feierlich abgehängt.
Das Konzept von Langenfeld ist einfach: Ausgaben senken, Einnahmen erhöhen
„Unser Konzept lautete, die Ausgaben senken, die Einnahmen erhöhen“, sagt Bürgermeister Frank Schneider. Der 48-Jährige begleitet die Antischuldenpolitik Langenfelds seit Mitte der 90er-Jahre, erst als Büroleiter seines Vorgängers, seit zwei Jahren als Bürgermeister mit absoluter Mehrheit.
Damit das lokale Steueraufkommen steigt, sollten neue Firmen und Familien angelockt werden. Die aber brauchten Platz. Beides provozierte aber auch einen Teil der Bürger. Beim Versuch, neue Gewerbe- und Wohngebiete auszuweisen, „erhalte ich Gegenwind, damals wie heute“, sagt der Bürgermeister. „Wer immer auf eine Wiese geguckt hat, gründet sofort eine Bürgerinitiative.“ Davor zu kapitulieren, sei aber tödlich für eine Stadt. „Wir sind jeden Konflikt mit den Bürgern eingegangen, um den Wirtschafts- und Wohnstandort auszubauen.“
Für Schneider ging es vor allem darum, „die Denke der Bürger zu verändern“. Der Anspruch auf Rundumversorgung reibe sich an strikter Haushaltsdisziplin. Das zeigte sich etwa nach der Entscheidung, Asylbewerber nicht mit Bargeld, sondern mit Naturalien zu versorgen. Zwei Tage war das Rathaus besetzt, erinnert er sich. „Alle Gutmenschen der Welt kamen und beklagten, wie man so etwas Menschenverachtendes machen kann: Fresspakete!“
Doch die Verwaltung setzte sich durch. Doppel- und Dreifachempfänger gab es plötzlich nicht mehr, die Ausgaben sanken deutlich.
Auch bei den städtischen Dienstleistungen merkten die Bürger schnell, was Sparwillen im Rathaus samt Personalabbau bedeutet. Was in vielen Kommunen kostenlos ist, kostet in Langenfeld extra oder wird schlicht nicht geboten. „Wir haben kein Spaßbad – anders als unsere Nachbarstädte, die hoch verschuldet sind“, erläutert Schneider.
Langenfeld: Hallenbad statt Spaßbad
Das Langenfelder Hallenbad eigne sich zwar nur fürs Bahnenziehen, sei aber im Unterhalt auch nur halb so teuer. Auf Kunst im öffentlichen Raum wurde verzichtet, die Reinigung von Nebenstraßen eingestellt, Vereinszuschüsse gekürzt. „Wir waren eine der ersten Städte, die Hallennutzungsgebühren verlangt haben.“ Auch wenn es nur die Erwachsenen traf, nicht die Kinder und Jugendlichen – der Aufschrei der Vereine war laut.
Er verhallte nach und nach, als die Sportler sahen, dass die Stadt das Geld in die Sportstätten steckte. „Unsere Anlagen sind alle top“, sagt Schneider. „Wir haben nämlich während der Entschuldungsphase nie gesagt, wir sparen uns zu Tode.“
Allerdings investierte die Stadt nicht in alles Mögliche, sondern konzentriert in Wirtschaftsförderung und Bildungsinfrastruktur. Neue Firmen köderte man mit unbürokratischen Genehmigungsverfahren, neue Einwohner mit attraktiven Schulen.
Eine Werbekampagne machte Unternehmen neugierig. Selbst die Großkonzerne Bayer und Henkel aus dem benachbarten Leverkusen und Düsseldorfer verlegten Töchter nach Langenfeld.
Heute wohnen rund 10 000 Bürger mehr in Langenfeld als vor 25 Jahren. Die einstige „Schlafstadt“ ist als Industriestandort so attraktiv geworden, dass täglich 3400 Beschäftigte aus dem Umland zur Arbeit einpendeln – sehr untypisch für eine Gemeinde im Speckgürtel gleich mehrerer Großstädte. Seit 1996 stieg die Zahl der Arbeitsplätze in Langenfeld um ein Drittel, die Gewerbesteuereinnahme um 150 %.
Mit diesen Pfunden kann die Kommune nun wuchern. Weil ihre Stadt keinen Schuldendienst mehr leisten muss, zahlen die Langenfelder Grund- und Gewerbesteuern, die zu den niedrigsten in Nordrhein-Westfalen gehören. Die städtischen Gebühren, z. B. für Müll und Abwasser, liegen heute niedriger als vor zehn Jahren.
Die Schulen bekommen über einen stiftungsartigen Fonds projektbezogene Geldspritzen. Fußballvereine freuen sich über neue Kunstrasenplätze und der Kaninchenzüchterverein über neue Trinkapparaturen in den Ställen. Und der Bürgermeister ist stolz darauf, immer mehr städtische Kindergärten eröffnen zu können.
Aber selbst beim Verteilen der Wohltaten herrscht Disziplin. Steuersätze wurden erst am Ende der Entschuldungsphase gesenkt, nicht zu deren Beginn. Während Wahlkämpfer in Schuldenstädten die Abschaffung von Kindergartengebühren propagieren, kann sich Langenfeld eine Senkung leisten – um gerade mal 20 %.
„Schuldenfrei zu bleiben, ist mindestens genauso schwer, wie schuldenfrei zu werden“
„Schuldenfrei zu bleiben, ist mindestens genauso schwer, wie schuldenfrei zu werden“, weiß Schneider. Er sieht schwere Zeiten auf sich zukommen. Denn Langenfelds Beispiel macht keine Schule. Die schwindelerregende Verschuldung, die in nordrhein-westfälischen Kommunen um sich gegriffen hat, wird für die schuldenfreie Stadt zum Problem.
Langenfeld unterstützt schwächere Städte bereits über kommunalen Finanzausgleich, Kreisumlage und Solidarpakt. Nun soll nach dem Willen der Landesregierung eine neue Abgabe zugunsten der höchstverschuldeten Städte hinzukommen – eine Zusatzlast, für die Langenfeld erst seine Reserven aufzehren und in drei Jahren neue Schulden aufnehmen müsste, so der Bürgermeister.
Dass Ruhrstädte trotz Schulden neue Stadien und Theater bauen und in Badefreuden investieren – darüber regt er sich auf. Die Langenfelder Schuldenuhr jedenfalls ist nicht verschrottet, sondern nur eingemottet. Vielleicht wird sie demnächst wieder gebraucht.
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