Leiharbeit: Ingenieure sind besonders attraktiv
Knapp 10 % der Absolventen von ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen landen nach Recherchen der IG Metall in der Zeitarbeit. Vor allem in Ostdeutschland ist Leiharbeit verbreitet. Die IG Metall will tarifpolitisch auf die wachsende Zahl der Leiharbeiter reagieren, so Vorstandsmitglied Christiane Benner.
Wirtschaftsverbände klagen, es gebe zu wenige Fachkräfte in technischen und naturwissenschaftlichen Berufen. Gleichzeitig sind bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) knapp 40 000 Ingenieure, Techniker und Chemiker (die BA-Statistik fasst diese Gruppen zusammen) in Leiharbeitsfirmen beschäftigt (Stand 2. Hälfte 2010). Schon vor zwei Jahren meldete die Arbeitsagentur, dass jede vierte Ingenieurstelle von Zeitarbeitsfirmen ausgeschrieben wurde. Und auf den aktuellen Jobbörsen wimmelt es nur so von Angeboten der Personalverleiher.
Bundesweit und quer durch alle Wirtschaftszweige waren im vergangenen September nach Angaben des Branchenverbandes BAP gut 900 000 Leiharbeiter unter Vertrag. Nach Recherchen der IG Metall landen derzeit knapp 10 % der Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge in Leiharbeitsfirmen. Und das ist nur ein Teil aller Beschäftigten, die ihren Job nicht in der Stammbelegschaft finden.
Es gibt zudem immer mehr Absolventen, die bei Entwicklungs- oder Ingenieurdienstleistern anfangen. „Das sind junge Ingenieure, die oft über Werkverträge oder ‚body leasing’ in den FuE-Bereichen der Unternehmen arbeiten“, erklärt Christiane Benner, Vorstandsmitglied und Engineering-Expertin der IG Metall. „Nach unserer Einschätzung gibt es immer mehr Arbeit am Rand und damit außerhalb der tariflichen, also fair und gut geregelten Standards.“
Leiharbeit: Ingenieure bringen hohe Margen
Für Zeitarbeitsfirmen sei der Verleih von Ingenieuren sehr lukrativ, da mit hoch Qualifizierten höhere Gewinnmargen erzielt würden, sagt Benner. Daher spezialisierten sich einige Zeitarbeitsfirmen auf Ingenieure – nicht unbedingt zu deren Vorteil. „Das, was bei den Beschäftigten ankommt, liegt unterhalb dessen, was für Ingenieure nach den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie bezahlt wird.“ Die Nachfrage nach hoch qualifizierten Leiharbeitskräften sei deswegen so angestiegen, da die Unternehmen weniger verbindliche Festeinstellungen vornehmen wollten.
Es gibt zwei verschiedene Arten, ohne Festanstellung für Firmen zu arbeiten: als abhängig Beschäftigter in einer Entleihfirma (Arbeitnehmerüberlassung) oder als Selbstständiger, der einer Firma seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt, um ein zuvor vereinbartes Ergebnis zu erzielen (Werkvertrag).
Allerdings werden beide Arten auch vermischt. Beispiel: Ein Unternehmen schließt mit einer Leiharbeitsfirma einen Werkvertrag, und diese Verleihfirma setzt Leiharbeiter ein, um den Werkvertrag zu erfüllen. Belastbare Zahlen zur Häufigkeit solcher Konstruktionen gebe es zwar nicht, räumt Benner ein, doch seien diese Zustände keineswegs selten.
Oft gebe es „Grauzonen“, sagt Benner. Werkverträge seien häufig in Wirklichkeit Leiharbeitsverträge. Auch wenn Ingenieure in der Zeitarbeit deutlich bessere Karten hätten als gering Qualifizierte, fällt das Urteil der Gewerkschaft negativ aus: „Zeitarbeitsverhältnisse sind Arbeitsverhältnisse zweiter Klasse“, stellt Benner klar. „Ich verstehe, wenn junge Leute es gut finden, über Zeitarbeit verschiedene Unternehmen kennenzulernen, aber man muss wissen, was man tut.“ Das Leben sei für Zeitarbeitsbeschäftigte schlechter planbar, auch die Karriereentwicklung sei unsicherer als bei Festangestellten.
Mit großen Ingenieurdienstleistern hat die IG Metall Tarifverträge geschlossen. Bei Ferchau erstreckt sich der Entgelt-Tarifvertrag auf Beschäftigte mit unterschiedlichen Qualifikationen – von An- und Ungelernten über Facharbeiter, Techniker bis hin zu Ingenieuren, berichtet Benner. Mit anderen Entwicklungsdienstleistern wurden Verträge ausgehandelt, die nur Regelungen für höher qualifizierte Beschäftigte enthalten. „Diese sind vom Niveau her mit der Entgelthöhe unserer Flächentarifverträge zu vergleichen“, sagt Benner. Bei einem großen Entwickler für die Autoindustrie seien Monatseinkommen bis zu 6500 € tarifiert. „Wir stellen uns tarifpolitisch auf die Situation ein, dass immer mehr Ingenieure bei Zeitarbeitsfirmen arbeiten und wir entsprechend das Entgeltniveau in diesen Tarifverträgen verbessern müssen.“
„Es gibt ein massives Problem mit Leiharbeit in ganz Sachsen-Anhalt.“
Für Arbeitnehmer ohne besondere Qualifikation stellt sich Zeitarbeit jedoch als prekär dar. Und im Osten sehe es sogar für Fachkräfte düster aus. „Es gibt ein massives Problem mit Leiharbeit in ganz Sachsen-Anhalt.“ Dort gebe es Betriebe, in denen mehr als die Hälfte der Beschäftigen Leiharbeiter sind, sagt Uwe Stoffregen vom IG-Metall-Bezirk Niedersachsen/Sachsen-Anhalt. „Doch es findet langsam ein Umdenken statt, da immer mehr Fachkräfte abwandern.“
Derzeit befänden sich noch viele hoch qualifizierte Leiharbeitsbeschäftigte in der Windkraft-Branche. Mittlerweile versuche die Landesregierung von Sachsen-Anhalt gegenzusteuern, indem sie die Bereitstellung öffentlicher Fördergelder an die Schaffung guter Tarifbedingungen kopple, sagt Stoffregen. Auf diese Weise sollen auch Auspendler zurückgewonnen werden, die in Sachsen-Anhalt wohnen und zum Arbeiten nach Niedersachsen fahren. „Das funktioniert natürlich am besten in Grenznähe.“ Je weiter man in Sachsen-Anhalt aber nach Osten vorstoße, desto weniger Auspendler seien anzutreffen.
Arbeitergeber kritisieren IG Metall-Kampagne gegen Leiharbeit
In Sachsen-Anhalt hat der DGB mit der Zeitarbeitsbranche einen Tarifabschluss erzielt. Für die Entgeltgruppe 1 (einfachste Beschäftigung) gilt ein Stundenlohn von 7,01 €, für die Gruppe 9 (z. B. Hochschulabsolventen) ein Lohn von 17,76 €.
Die Kampagne der IG Metall gegen Leiharbeit trifft bei den Arbeitgebern auf Kritik. Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser verweist darauf, dass weniger als 5 % der der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie Zeitarbeiter seien. Von einem Prekariat könne man in einer Branche nicht reden, deren Durchschnittsentgelt bei 44 000 € im Jahr liege. Kannegiesser verteidigt das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, auch wenn in der Leiharbeit immer über eine „gewisse Strecke“ unterschiedlich bezahlt werden müsse.
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