Mancher Börsenbrief will Anleger „skalpieren“
Die Hausse an den Börsen weckt das Interesse an Aktien – ein ideales Umfeld für dubiose Tipps und Kaufempfehlungen. Immer häufiger muss sich die Finanzaufsicht mit dem Verdacht von Marktmanipulationen beschäftigen.
Aktien sind wieder „in“. Der Deutsche Aktienindex (Dax) notierte Anfang Mai so hoch wie noch nie. Auch Freunde und Arbeitskollegen sprechen neuerdings über Dividenden und Kursgewinne. Die Hausse an der Börse freilich lockt auch Akteure an, die es nicht gut meinen mit deutschen Anlegern. Sie nutzen das wieder erwachte oder erstmals entfachte Interesse an Aktien aus, um Kasse zu machen. Ein gängiges Instrument für ihre Abzockermethoden: Börsenbriefe.
Aktuell warnt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) „nachdrücklich vor Aktienempfehlungen in Börsenbriefen“. Eigenen Angaben zufolge hat die BaFin im vergangenen Jahr 250 Untersuchungen wegen mutmaßlicher Marktmanipulationen eingeleitet – „so viele wie niemals zuvor.“
Freiverkehr besonders von Manipulationen betroffen
Ein Großteil der Verfahren betraf den wenig regulierten Freiverkehr an der Börse. Das übliche Tatschema: „Ein Unternehmen wurde in den Freiverkehr einbezogen, unmittelbar danach gab es für dessen Aktien massive Kaufempfehlungen. So wurde eine Nachfrage erzeugt, die Manipulatoren nutzten, um ihre Aktien dieses Unternehmens gewinnbringend zu verkaufen. War die Werbemaßnahme beendet, brach der Kurs regelmäßig stark ein. Anleger, die aufgrund der Empfehlungen Aktien erworben hatten, erlitten oftmals hohe Verluste“, so die BaFin.
Das hier skizzierte Vorgehen wird als „Scalping“ bezeichnet, also Anlegern „das Fell über die Ohren ziehen“. Das „Messer“ führen in manchen Fällen die Herausgeber von Börsenbriefen, die kostenlos per E-Mail verschickte werden. Im bislang umfangreichsten Verfahren wegen Marktmanipulation verurteilte das Landgericht München im Januar 2012 den Herausgeber von mehreren Börsenbriefen wegen Marktmanipulation in 44 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 4950 €, teilte die BaFin auf Anfrage mit. Der Verurteilte habe in seinen Börsenbriefen Aktien zum Kauf empfohlen, ohne darauf hinzuweisen, dass er selbst Positionen hielt.
In einem weiteren von der BaFin beispielhaft genannten Fall hat das Landgericht Berlin im April 2011 einen bekannten Herausgeber eines Börsenbriefs zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er Aktien empfohlen hatte, die sich zum Zeitpunkt der Empfehlung im Depot einer Gesellschaft auf Mauritius befanden. An der Muttergesellschaft war der Börsenbriefherausgeber beteiligt. Laut BaFin hatte er auf diesen Umstand nicht hingewiesen. Einige Herausgeber von Börsenbriefen sind dazu übergegangen, auf Interessenkonflikte dieser Art hinzuweisen. Dies schützt sie besser vor dem Staatsanwalt.
Die Leser des Börsenbriefs jedoch müssen den Hinweis in der Regel suchen. Denn oft steht er nur klein geschrieben im Haftungsausschluss, der zudem oft wenig transparent mit dem englischen Begriff „Disclaimer“ bezeichnet wird. Bis zur Lektüre des Kleingedruckten scheinen viele Anleger indes gar nicht zu kommen.
Gesunder Menschenverstand wird ausgehebelt
Schlagzeilen wie „Kursrakete“, „Aktien, die in Kürze explodieren!“, „Diese Aktie müssen Sie sofort kaufen!“ oder „Die 1000-Prozent-Chance“, hebeln den gesunden Menschenverstand aus. Bei unseriösen Börsenbriefen hat die reißerische Wortwahl Methode. Auch gleicht das Layout oft eher einem Werbeprospekt als einer nüchternen Analyse.
Laut BaFin geben Börsenbriefe immer die Meinung ihres Verfassers wider. Wie dieser zu seiner Einschätzung gekommen ist, sollte nachvollziehbar dargelegt sein. „Fehlt es an solchen Fakten und gibt der Verfasser lediglich eine nicht weiter begründete, dafür aber außerordentlich positive Meinung kund, sollten bei Anlegern die Alarmglocken schrillen“, warnt die BaFin in einer Broschüre.
Einen Überblick über seriöse Börsenbriefe gibt der Informationsdienst Aktien-Monitor, der eigenen Angaben zufolge rund 100 deutschsprachige Börsenbriefe bewertet und seit 2006 jährlich den „Deutschen Börsenbrief Award“ verleiht (siehe Tabelle).
„Nachhaltiger Erfolg der Anlageempfehlungen, Entwicklung der Leserzahlen, Erfahrung der Redaktion, Unabhängigkeit sowie Informationsgehalt und Übersichtlichkeit“, nennt Oliver Küster, Sprecher des Informationsdienstes, als die wichtigsten Kriterien für die Beurteilung der Börsenbriefe.
Manche Börsenbriefe schon älter als 30 Jahre
Laut Aktien-Monitor haben Börsenbriefe wie „Platow-Börse“, „Finanzwoche“ oder „Actien-Börse“ in den vergangenen mindestens 30 Jahren sämtliche Höhen und Tiefen an den Kapitalmärkten überstanden und berichten noch heute „einer treuen und zahlreichen Leserschaft“. Der Erfahrung der Börsenbrief-Redaktion misst Aktien-Monitor die größte Bedeutung zu. Denn Börse sei zu 50 % Psychologie – mit immer wiederkehrenden Mustern. Unabhängigkeit, sprich keine bzw. nur sehr geringe Finanzierung durch Werbung, sei ebenfalls sehr wichtig.
Da die Redakteure und Analysten eines Börsenbriefs bezahlt werden müssen, kosten diese in der Regel mehrere hundert Euro pro Jahr. Offenbar hat Qualität auch hier seinen Preis. „Einen seriösen Börsenbrief, der kostenlos ist, kann es nicht geben“, sagt Küster. Aktuell belegten die beiden Börsenbriefe aus dem Hause Bernecker die ersten beiden Plätze, gefolgt von der Finanzwoche.
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