Mit Doktorhut, aber ohne passendes Jobangebot
Selbst hochqualifizierte Ingenieure haben manchmal Schwierigkeiten, eine adäquate Stelle zu finden. An der RWTH Aachen gehen drei Forschungsinstitute daher einen anderen Weg. Mit wachsendem Erfolg.
Auch Jahre danach schwingt in der Stimme von Prof. Günther Schuh noch Bedauern mit, als er von der jungen Ingenieurin erzählt, die vor rund zehn Jahren bei ihm promoviert hat: „Sie war sehr talentiert, aber sie landete auf einer Sachbearbeiterstelle im Einkauf eines US-Konzerns.“ Völlig unter ihrer Qualifikation, wie Schuh findet.
Er ist einer der Direktoren des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen, einem Institut mit 650 Mitarbeitern. Das WZL ist eine der ersten Adressen, wenn es um produktionsnahe Forschung in Deutschland geht. Zwei weitere Institute, das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie und das Forschungsinstitut für Rationalisierung, sind organisatorisch und inhaltlich eng mit dem WZL verzahnt, Schuh ist sowohl am IPT als auch am FIR Direktor. An allen drei Instituten arbeiten insgesamt rund 1150 Mitarbeiter, etwa 300 von ihnen sind Doktoranden.
„Unser Anspruch ist, dass wir aus Doktoranden nicht nur hervorragende Wissenschaftler, sondern auch Führungskräfte machen“, sagt Schuh. „Wir sind organisiert wie ein Beratungsunternehmen und haben viele Positionen mit Fach- und Führungsverantwortung: Gruppenleiter, Abteilungsleiter, Leiter großer Projekte. Jeder Doktorand ist da eingebunden.“
In den laufenden Industrieprojekten und -kooperationen der drei Institute sind rund 300 Unternehmen involviert. Doktoranden und Postdocs belegen verpflichtende und freiwillige Managementkurse, abgeleitet aus dem in Aachen angesiedelten Executive-MBA-Studiengang für Technologie-Manager.
„Die Qualifikationen unserer Mitarbeiter erkannten manche potenziellen Arbeitgeber in der Vergangenheit zu wenig“, so Schuh. „Und immer wieder musste ich feststellen, dass sich auch Mitarbeiter unter Wert verkauft haben, weil sie sich selbst nicht bewusst waren, was sie an Potenzial mitbringen.“
Das wollte Schuh ändern und gründete 2005 den Karrierepool, dessen Aufgabe es künftig sein sollte, Postdocs mit Arbeitgebern in Kontakt zu bringen.
Viele Universitäten und Hochschulen haben erkannt, dass die Studierenden Bachelor, Master und Promotion nicht in einem Elfenbeinturm absolvieren. Da die große Mehrheit von ihnen hinterher außerhalb der Hochschulforschung arbeitet, sollen die Studierenden schon früh mit dem künftigen Arbeitsalltag in Berührung kommen. Praktika, industrienahe Abschluss- und Promotionsarbeiten sind Beispiele dafür, Bonding-Veranstaltungen und Alumni-Netzwerke helfen ebenfalls beim Sprung in ein Unternehmen.
Der Aachener Karrierepool geht einen Schritt weiter: Jeder Doktorand und Postdoc der drei Institute kann sich zunächst in einem vertraulichen Einzelgespräch über seine Interessen und Stärken im Klaren werden. Er bekommt ein individuelles Coaching. Der Karrierepool stellt aktiv den Kontakt zu möglichen Arbeitgebern her.
Selbst bei Fragen zum Arbeitsvertrag kann sich der Bewerber beraten lassen. Daneben führt der Karrierepool auch Assessments von externen Bewerbern durch, wenn es sich um Alumnis, also ehemalige Doktoranden, handelt.
Elemente der Karrierepool-Arbeit finden sich auch an anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, etwa an der Hochschule St. Gallen, dem Massachusetts Institute of Technology oder an manchen Business Schools. „Ich hatte kein konkretes Vorbild für den Karrierepool“, erzählt Schuh, „aber durch meine Mandate in Aufsichts- und Verwaltungsräten konnte ich Erfahrungen mit dem Outplacement sammeln.“
Die Beratung des Karrierepools habe aber nicht den negativen Beigeschmack, den Outplacement oft habe. Wobei Schuh kein Hehl daraus macht, dass er sich nicht als Wohltäter versteht: „Wenn die Industrie nicht wahrnimmt, was für qualifizierte Mitarbeiter sie bei uns bekommen kann, dann hat man als Institutsleiter einfach das Gefühl, sich umsonst bemüht zu haben.“
Der Karrierepool ist durch Drittmittel aus Industrieprojekten finanziert. Zwei Mitarbeiterinnen, die bereits Erfahrungen aus der Personalvermittlung mitbrachten, sind für die inhaltliche Arbeit zuständig. Sie pflegen intensive Kontakte in die Industrie, denn oft handelt es sich um verdeckte Stellen, die Mandanten des Karrierepools besetzen.
Pro Jahr nutzen 30 bis 40 Doktoranden und Postdocs die Dienste des Karrierepools, hinzu kommen rund 20 Beratungen für Ehemalige. Aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Situation gibt es bei den Ehemaligen sogar einen steigenden Bedarf. Die Dienstleistung ist kostenlos, Ehemalige werden um einen freiwilligen Obolus gebeten.
Der Erfolg des Karrierepools hat Schuh überrascht. Sowohl die Institutsmitarbeiter, die das Angebot in Anspruch nahmen, als auch die Arbeitgeber, die eine Stelle besetzen konnten, reagierten positiv auf das Konzept. „Quantitativ ist das schwer zu fassen“, gibt Schuh zu. „Aber ich habe schon den Eindruck, dass unsere Absolventen sich bei ihren ersten Stellen in der Wirtschaft sowohl im Hinblick auf die übertragene Verantwortung als auch beim Gehalt verbessert haben, wenn man es mit der Situation von Absolventen aus der Zeit vor dem Karrierepool vergleicht.“ MICHAEL VOGEL
Ein Beitrag von: