Interview 19.11.2024, 09:15 Uhr

Nachfolge im Mittelstand: Mit Weitsicht und Empathie zum Erfolg

Was bedeutet es, ein mittelständisches Unternehmen zu übernehmen? Wie überzeugt man Mitarbeitende, die zunächst verständlicherweise zurückhaltend auf einen neuen Chef blicken?

Nachfolge

Unternehmensnachfolge im Mittelstand: Herausforderungen meistern – Worauf es für den Nachfolger ankommt.

Foto: PantherMedia / zhudifeng

Felix Brüggemann begann seine Laufbahn in einem süddeutschen Konzern und gründete später ein Unternehmen für Lichtsteuerungstechnologien in der Luftfahrt. 2022 zog er sich daraus zurück und suchte eine neue Herausforderung, die er schließlich über Tradineo fand. Seit 2023 ist er Geschäftsführer der KL netprint GmbH, einem Hamburger IT-Dienstleister mit über 900 Kunden und Fokus auf Netzwerk-, Server- und Drucklösungen.

Herr Brüggemann, wie viele Mitarbeitende haben Sie beim Übergang übernommen?

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Insgesamt habe ich rund 20 Mitarbeitende übernommen. Mit dem Ausscheiden des Alteigentümers verließen zwei Personen das Unternehmen – wie von Anfang an geplant: zum einen der Alteigentümer selbst und seine Frau, die im Vertrieb tätig war. Den restlichen Mitarbeiterstamm habe ich vollständig übernommen, und bis heute hat niemand aus der Belegschaft gekündigt.

In ein bestehendes, gut eingespieltes Team als externer Nachfolger eintreten

Was war die größte Herausforderung für Sie beim Einstieg ins Unternehmen?

Die größte Herausforderung war für mich, in ein bestehendes, gut eingespieltes Team als externer Nachfolger einzutreten. Die Mitarbeitenden kannten sich lange und arbeiteten gut zusammen, und ich kam als ‚Neuer‘ hinzu, auf den nicht wirklich gewartet wurde. Anders als bei einem regulären Neueinstieg wurde ich nicht als angekündigter Mitarbeiter erwartet, sondern trat eher unerwartet in die Rolle ein.

In einem solchen Nachfolgeprozess wissen oft auch nicht alle Mitarbeitenden sofort, dass eine Führungskraft wechselt. Daher war es für mich wichtig, Schritt für Schritt das Unternehmen und die Menschen kennenzulernen. Das begann bei einfachen Dingen wie dem Einrichten des Arbeitsplatzes, aber auch dem Verstehen, wer welche Rolle hat und wie das Team im Alltag miteinander harmoniert. Es war eine Zeit des Eingewöhnens, in der ich mir Vertrauen und Verbindungen erarbeiten musste.

Gab es Bedenken im Team, als Sie als neuer Geschäftsführer eingestiegen sind?

Mir war bewusst, dass Bedenken verständlich wären, gerade bei einem Unternehmensverkauf. Schließlich weiß das Team oft nicht sofort, wer der neue Inhaber ist und welche Absichten er verfolgt. Man liest ja viel über Investoren, die ein Unternehmen zunächst voranbringen und dann gewinnbringend verkaufen oder in Einzelteile zerlegen.

Deshalb war es mir und auch Tradineo von Anfang an wichtig, diesen Bedenken früh entgegenzuwirken und Vertrauen zu schaffen.

Inwiefern also?

Uns war es wichtig, gleich von Anfang an einen Fürsprecher für uns zu haben – sozusagen ein vertrauensvolles ‚Testimonial‘. Dieser Fürsprecher war in unserem Fall der Alteigentümer selbst. Er stand vor dem Team und erklärte: ‚Ich hätte das Unternehmen an viele verkaufen können, aber mir war es wichtig, jemanden zu finden, der es weiterführt und dem die Menschen hier wirklich am Herzen liegen.‘ Das war ein starkes erstes Signal, um Vertrauen zu schaffen.

Für mich war es zudem zentral, vorab Mitarbeitende kennenzulernen. Obwohl dies nur begrenzt möglich war, konnten wir eine Schlüsselperson treffen und auch privat besser kennenlernen. So wussten wir, dass die persönliche Chemie stimmte und dass sie uns positiv im Team vertreten würde – ob in der Kaffeepause oder im Gespräch mit Kollegen.

Beim Einstieg selbst achteten wir darauf, das Team nicht mit langen Präsentationen und Strategien zu überfordern. Stattdessen stellten wir uns kurz und prägnant vor und gaben jedem Mitarbeitenden eine ‚Info-Tasche‘ mit. Diese enthielt Informationen zu Tradineo und mir, inklusive eines Videos über mich und meine Familie. So konnten die Mitarbeitenden, auch zu Hause mit ihren Partnern, sehen, wer ich bin und was mir wichtig ist – damit bei Fragen wie ‚Wer ist denn der neue Chef?‘ mehr kam als nur ein Name, sondern ein echter Eindruck. Das war für uns ein wesentlicher Schritt, um Vertrauen aufzubauen und die Mitarbeitenden von Anfang an mitzunehmen.

Haben Sie dadurch das Vertrauen der Mitarbeitenden gewinnen können?

Ich denke, es war entscheidend, von Anfang an transparent zu sein – sowohl über meine Person als auch über Tradineo und unsere Pläne. Dabei ging es nicht nur darum, das Vertrauen der Mitarbeitenden zu gewinnen, sondern auch das ihres sozialen Umfelds. Mir wurde in den ersten Wochen tatsächlich von Mitarbeitenden zurückgemeldet, dass ihre Partner das Video gesehen hatten und positiv reagierten – etwa mit Kommentaren wie: ‚Das wird gut, er wirkt wie ein netter Kerl.‘ Solche Rückmeldungen waren für mich wertvoll, denn sie zeigen, dass es wichtig war, die neue Situation für alle möglichst greifbar zu machen.

„Es wäre grob fahrlässig, bestehende Strukturen von heute auf morgen zu ändern“

Wie haben Sie sichergestellt, dass bestehende Strukturen, die seit Jahren bestehen, nicht abrupt verändert werden?

Ich bin jemand, der durchaus Engagement und Interesse für neue Entwicklungen mitbringt. Mit KL netprint haben wir allerdings ein profitables Unternehmen übernommen. Es wäre grob fahrlässig, hier bestehende Strukturen von heute auf morgen zu ändern, denn das Unternehmen läuft gut. Daher muss ich mich manchmal sogar bremsen, um nicht zu viele neue Ideen oder Produktsegmente auf einmal einzuführen.

Die Zahlen sprechen für sich und motivieren mich, die bestehenden Strukturen und Prozesse nicht grundlegend in Frage zu stellen. Zudem ist die größte Veränderung bereits, dass ich als neue Person im Büro des Geschäftsführers sitze. Diese Veränderung allein erfordert von allen Mitarbeitenden Anpassung, und ich wollte sicherstellen, dass sie nicht mit weiteren abrupten Änderungen konfrontiert werden.

Stattdessen haben wir zunächst positive Veränderungen eingeführt, die schnell wahrgenommen werden können, wie regelmäßige Meetings und eine quartalsweise Kommunikation, in der wir über Unternehmenskennzahlen und Strategien informieren. Dabei ist es mir wichtig, Transparenz zu schaffen, damit die Mitarbeitenden verstehen, wie es dem Unternehmen geht und wohin es sich entwickelt.

Dabei möchte ich nicht alleine im Vordergrund stehen; stattdessen beziehe ich mein Führungsteam aktiv in diesen Veränderungsprozess ein. Gemeinsam kommunizieren wir moderate Anpassungen und stellen sicher, dass alle involviert sind, was ich für entscheidend halte.

Wie wurden die Mitarbeitenden in den Übernahmeprozess involviert? Gab es zusätzlich Schulungen oder Workshops, um sie während dieser Übergangsphase zu unterstützen?

Konkrete Schulungen im Rahmen des Übernahmeprozesses haben wir nicht durchgeführt, aber ich halte Schulungen und Weiterbildung grundsätzlich für sehr wichtig. Ich bin überzeugt, dass man nie auslernt – egal, wie alt man ist oder wie lange man in einer Branche oder einem Unternehmen tätig ist. Von Anfang an habe ich signalisiert, dass ich die Weiterbildung und persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden fördern möchte, da dies auch zur Bindung ans Unternehmen beiträgt.

Zusätzlich haben wir Workshops durchgeführt, die in enger Zusammenarbeit mit meinen Mitarbeitenden stattfanden. Ein zentrales Thema war beispielsweise die Definition unserer Arbeitgebermarke. Um uns als attraktiven Arbeitgeber zu positionieren, habe ich ausgewählte Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen in einen ganztägigen Workshop einbezogen.

Es war mir wichtig, dass wir nicht nur auf Führungsebene arbeiten, sondern auch die Perspektiven der Mitarbeitenden im operativen Geschäft, wie Techniker oder Außendienstmitarbeiter, einfließen lassen. Gemeinsam haben wir die Werte und Merkmale unserer Arbeitgebermarke erarbeitet, was die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen stärkt.

Hatten Sie Unterstützung von der Personalabteilung während des Übernahmeprozesses oder gab es diese nicht?

In unserem Unternehmen gibt es keine interne Personalabteilung oder HR-Abteilung. HR-Themen landen entweder direkt auf meinem Tisch oder wir arbeiten mit externen Dienstleistern zusammen. Wenn es beispielsweise um Coaching oder die individuelle Weiterentwicklung eines Mitarbeitenden geht, setzen wir externe Coaches ein, um die bestmögliche Unterstützung zu bieten.

Felix Brüggemann

Felix Brüggemann.

Foto: KL netprint GmbH

Teamgefühl stärken

Haben Sie Teambuilding-Events oder gemeinsame Abendessen organisiert, als Sie neu im Unternehmen waren, um das Team zusammenzubringen?
Ja, tatsächlich! Das war für mich von Anfang an wichtig. In den ersten anderthalb Monaten haben wir gleich zwei Teamevents organisiert, bei denen wir gemeinsam essen gingen und sogar Golf spielten. Solche Aktivitäten sind entscheidend, um das Teamgefühl zu stärken.

Ein besonderes Ritual, das sich etabliert hat, ist unser wöchentliches Treffen, das ich als ‚Bier an der Rampe‘ initiiert habe. Jeden Donnerstagabend lade ich alle Mitarbeitenden ein, sich an der Laderampe zu versammeln und bei einem Getränk – sei es sei es das besagte Bier oder auch ein Softgetränk – in entspannter Atmosphäre zusammenzukommen.

Mir war es wichtig, mit jedem einzelnen Mitarbeiter persönliche Gespräche zu führen, aber das ist in einem Bürosetting oft schwierig. In einer ungezwungenen Umgebung, wie beim ‚Bier an der Rampe‘, entstehen Gespräche viel leichter. So können wir auch über persönliche Dinge plaudern, wie zum Beispiel über wie zum Beispiel über Vorlieben für Fußballvereine oder die Wochenendplanung.

Das Schöne ist, dass viele Mitarbeitende regelmäßig kommen, und wir haben dieses Ritual bis heute beibehalten. Jeden Donnerstagabend um 17:00 Uhr gehe ich entweder selbst dorthin oder es klopft jemand an die Tür und erinnert mich: ‚Felix, es ist 17:00 Uhr!‘ Ein Teil der Belegschaft trifft sich dann wieder an der Laderampe. Manchmal sind es 20 Leute, manchmal nur 5, aber es ist wirklich ein schönes Ritual geworden, das wir kontinuierlich pflegen.

Insider-Tipps für eine Unternehmensübernahme

Welche Empfehlungen würden Sie anderen Unternehmern geben, die überlegen, ein Unternehmen zu übernehmen?
Wenn ich einige zentrale Empfehlungen für Unternehmer zusammenfassen sollte, die über eine Unternehmensübernahme nachdenken, wären das folgende Punkte:

  1. Frühzeitige und transparente Kommunikation: Es ist entscheidend, frühzeitig und offen zu kommunizieren, wenn sich eine Übergabe abzeichnet. Der alte Unternehmer sollte jedoch darauf achten, nicht zu früh Informationen zu teilen, um Spekulationen zu vermeiden, falls sich die Verkaufspläne ändern. Es ist wichtig, klar zu kommunizieren, wer der Nachfolger ist und welche Pläne für das Unternehmen bestehen, um Gerüchte und Unsicherheiten zu minimieren.
  2. Einbindung der Mitarbeitenden: Die Einbeziehung von Mitarbeitenden in strategische und operative Entscheidungen ist von großer Bedeutung. Entscheidungen sollten nicht hinter verschlossenen Türen getroffen werden, sondern gemeinsam mit den Mitarbeitenden, damit sie sich auch mit den Ergebnissen identifizieren können.
  3. Erhalt der Unternehmenskultur und Werte: Wenn das Unternehmen gut läuft, sollte die bestehende Unternehmenskultur und die Werte erhalten bleiben. Wenn es eine familiäre Atmosphäre gibt oder eine offene Kommunikation gefördert wird, sollte dies beibehalten werden. Plötzliche, radikale Änderungen, sollten vermieden werden, um die Integrität der bestehenden Strukturen zu wahren.
  4. Vertrauenswürdigkeit und Versprechen halten: Ein wesentlicher Aspekt ist, dass der Unternehmensnachfolger das Vertrauen der Mitarbeitenden gewinnen. Nachdem ich ein Jahr im Unternehmen war, haben mir Mitarbeitende gespiegelt, dass ich meine Versprechen gehalten habe. Die Punkte, die ich zu Beginn angesprochen habe, habe ich in die Tat umgesetzt. Es ist entscheidend, das Vertrauen der Mitarbeitenden zu verdienen, insbesondere wenn sie sich auf eine neue Führungskraft einlassen, die möglicherweise noch keine Branchenerfahrung hat.

Und vielleicht als letzte Frage: Gibt es etwas, das Sie im Nachhinein anders machen würden? Gibt es Entscheidungen oder Maßnahmen, die Sie früher hätten treffen, anders umsetzen oder ganz vermeiden wollen?

In der Gesamtsumme würde ich nicht viel anders machen. Mein Ziel war es, das Team zu halten. Schließlich sind wir ein Unternehmen, dass zunächst nur austauschbare Produkte verkauft. Die intelligenten Lösungen, die daraus entstehen, kommen von den Mitarbeitenden – das Team macht also den Unterschied. Mein Ziel habe ich erreicht, denn tatsächlich hat niemand gekündigt, was zeigt, dass ich auf dem richtigen Weg war.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI-Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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