Nachhaltigkeit in der Industrie: Die Ambitionen der Industrieunternehmen
Die Zukunft der Industrie in der DACH-Region steht unter dem Zeichen der CO2-Neutralität, denn zwei von drei Unternehmen haben das ambitionierte Ziel, innerhalb der nächsten zehn Jahre CO2-neutral zu sein.
In den kommenden Jahren wird kein Industrieunternehmen mehr am Thema Nachhaltigkeit vorbeikommen. Dies resultiert sowohl aus den gesetzlichen Vorschriften und Richtlinien auf nationaler und europäischer Ebene, die umfassende Berichtspflichten auferlegen, als auch aus dem Druck seitens Investoren und Kunden.
Gemäß der neuesten Studie „Zukunft Industrie 2023“ haben 62 Prozent der Industrieunternehmen in der DACH-Region das Ziel, innerhalb der nächsten zehn Jahre CO2-neutral zu werden. Diese Unternehmen streben an, durch Energie- und Wärme-Einsparungen nicht nur ihre Treibhausgasemissionen zu verringern, sondern auch Kosten einzusparen. Um ihren eigenen CO2-Fußabdruck kontinuierlich zu reduzieren, benötigen die Unternehmen jedoch eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie, die ihre gesamte Wertschöpfungskette dekarbonisiert. Die Unternehmensberatung Staufen befragte über 400 Industrieunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz für diese Studie.
Als nachhaltiger Arbeitgeber besser punkten
„Sie fordern von der Industrie zunehmend nachhaltige Produkte“, kommentierte Dr. Björn Falk, Principal bei der Staufen AG. „Auch als Arbeitgeber können nachhaltige Unternehmen bei jungen Talenten besser punkten.“ Die Wirtschaft hat die Botschaft verstanden: Für neun von zehn Unternehmen ist nachhaltiges Wirtschaften die Grundlage für zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg. Allerdings besteht bei der Mehrheit der Unternehmen eine deutliche Kluft zwischen dem Anspruch einer zukünftigen CO2-neutralen Produktion und der Realität. Laut der von Staufen durchgeführten Studie geben 78 Prozent der befragten Unternehmen zu, dass sie noch erhebliche ungenutzte ökologische Potenziale haben.
„In Zeiten, in denen Kostensenkungen unumgänglich sind, setzen viele Unternehmen zunächst auf schnelle Erfolge beim Strom- und Wärmeverbrauch“, sagt Björn Falk. Die größte Hebelwirkung für sieben von zehn Unternehmen (72 Prozent) liegt in der Energieeinsparung im Betrieb. Darüber hinaus erkennen 56 Prozent der Unternehmen das Potenzial der Nachhaltigkeit in einer CO2-neutralen Energieversorgung, zum Beispiel durch die Installation einer Photovoltaikanlage auf dem Dach der Fabrik. Björn Falk: „Durch solche Kostensenkungsprogramme erreichen sie quasi als Nebeneffekt eine Verringerung ihres CO2-Fußabdrucks, den sie dann in ihrem Nachhaltigkeitsbericht dokumentieren können.“
Dabei warnt der Experte: „Der Nachhaltigkeitsbericht allein macht ein Unternehmen noch nicht CO2-neutral. Der Bericht dokumentiert den Stand der Dinge. Wer aber Jahr für Jahr über Erfolge bei der Reduktion seiner Emissionen berichten will, braucht eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie zur Dekarbonisierung der gesamten Wertschöpfungskette – oder muss in den kommenden Jahren teure Zertifikate zur Kompensation erwerben.“
Was sind die Grundlagen der Nachhaltigkeit?
Schlankheit und Digitalisierung der Prozesse sowie die zentrale Zusammenführung von Daten bilden die Grundlage für Nachhaltigkeit. Die Studie zeigt aber, dass viele Unternehmen Nachholbedarf haben, wenn es um eine strukturierte Herangehensweise an das Thema Nachhaltigkeit geht. Nur die Hälfte der Unternehmen berechnet ihren aktuellen CO2-Fußabdruck und nutzt dabei nicht nur eigene Messergebnisse, sondern auch Daten von Zulieferern und Kunden. „Ob es um die Optimierung von Transportwegen, um Verpackungsmethoden, Fertigungsprozesse oder die Recyclingstrategien geht: Die meisten Unternehmen sind hier noch Einzelkämpfer“, erklärte Björn Falk.
Nachhaltigkeit der Zulieferer ist bei der Auftragsvergabe noch kein großes Thema: Lediglich vier von zehn Unternehmen wählen hauptsächlich „grüne“ Zulieferer aus. Allerdings gibt es Unterschiede zwischen den Branchen. Für fast die Hälfte (48 Prozent) der Unternehmen in der Automobilindustrie ist die Nachhaltigkeit der Zulieferer bereits ein wichtiges Vergabekriterium, während im Maschinenbau bisher nur gut ein Viertel (28 Prozent) darauf Wert legt.
„Nachhaltigkeit wird in vielen Unternehmen immer noch hauptsächlich als Kostenfaktor wahrgenommen. Doch wer zögert, verpasst die Chance, sich mit sozialen und ökologischen Themen als Innovator in seiner Branche zu positionieren und den eigenen Marktanteil auszubauen“, betont Falk.
Auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft
Heutzutage befinden sich Industrieunternehmen inmitten einer grundlegenden Transformation, um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen. Dies geschieht unter anderem durch die rasche Digitalisierung, erhöhte Transparenz und den Aufbau einer integrierten Kreislaufwirtschaft.
In vielen Bereichen sind sie Vorreiter für eine nachhaltige Zukunft. Eine weitere Studie „Sustainable Turn 2025“ von ROI-EFESO und RecycleMe gibt einen Überblick über die aktuellen Trends im Bereich der industriellen Nachhaltigkeit und bietet Einblicke in die Themen, die Entscheidungsträger*innen in der Industrie beschäftigen. Mit anderen Worten: die Studie hat die Entscheider*innen gedanklich in das Jahr 2025 versetzt.
„Wir sehen beim Thema Nachhaltigkeit nicht den einen Weg, sondern – je nach Geschäftsmodell und Branchenkontext – ganz verschiedene Herausforderungen und Lösungsansätze“, kommentiert Sebastian Diers, Managing Partner ROI-EFESO Germany. „Mit der Studie zeigen wir, was Industrieunternehmen auf ihrem Weg in eine nachhaltige Zukunft bewegt.“
Die Studie zeigte u.a. drei Entwicklungen auf, mit denen Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau derzeit konfrontiert sind:
- Unternehmen müssen die Nachhaltigkeitsziele der UN vollständig und strategisch in ihre Geschäftspläne integrieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
- Eine nachhaltige Geschäftsphilosophie erhöht massiv die Chancen, junge Talente einzustellen und langfristig an das Unternehmen zu binden.
- Der gesicherte Zugang zu Recycling-Rohstoffquellen wird zum strategischen Wettbewerbsvorteil.
Für die Studie wurden Entscheidungsträger aus produzierenden Unternehmen in den Branchen Food & Beverage, Maschinenbau und Konsumgüter befragt. Es wurden auch Informationen zur Unternehmensgröße und zum Kundenfokus (B2B/B2C) erhoben. Alle Befragten spielen eine zentrale Führungsrolle bei der Transformation ihres Unternehmens, zum Beispiel als CEO, COO, Leiter/in der Unternehmens-CSR, Geschäftsbereichsleiter/in oder Leiter/in Risiko, Recht und Investitionen.
Industrielle Zukunft muss neu gedacht werden
„So unterschiedlich die Chancen und Risiken einzelner Entwicklungen bewertet werden, so einhellig ist das grundsätzliche Verständnis der Unternehmen, dass die industrielle Zukunft neu gedacht werden muss,“ kommentiert Dr. Kai Magenheimer, Partner bei ROI-EFESO die Ergebnisse der Studie. „Der Erfolg des Sustainable Turn hängt dabei maßgeblich von der Integration der Nachhaltigkeit in die strategische Ausrichtung des Unternehmens und einer konsequenten durchgängigen Operationalisierung ab.“
Auch für Sabrina Goebel, General Manager der RecycleMe in Deutschland, ist klar: „Es ist sehr gut zu sehen, dass produzierende Unternehmen die Bedeutung nachhaltiger Business Modelle erkennen. Gerade in den Bereichen Kreislaufwirtschaft und Recycling herrscht derzeit extrem viel Bewegung auf allen Ebenen – im Markt, in der Gesetzgebung und auch beim Konsumverhalten von Endverbraucher*innen.“
Thesen der Studie
Diese Thesen haben die Forschenden aufgestellt:
- Die Transformation zu einer nachhaltigen Industrie erfordert eine Veränderung des Denkens und Handelns in der gesamten Wertschöpfungskette. Unternehmen müssen ihre Prozesse und Produkte überprüfen und optimieren, um nachhaltiger zu werden. Dabei müssen sie auch in die Entwicklung und Nutzung neuer Technologien investieren, die eine nachhaltige Produktion ermöglichen.
- Die Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Industrie wird sich in Zukunft weiter erhöhen. Denn die UN-Nachhaltigkeitsziele fordern von Unternehmen weltweit, ihre Geschäftsmodelle nachhaltiger zu gestalten und einen Beitrag zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten. Unternehmen, die diesen Anforderungen nicht gerecht werden, riskieren nicht nur ihren wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch ihre gesellschaftliche Akzeptanz und Reputation.
- Die Befragten sind sich einig, dass der Druck, Nachhaltigkeitsziele in ihre Geschäftsstrategie zu integrieren, in allen Branchen zunehmen wird.
- Die Frage, ob nachhaltigere Geschäftsmodelle zur Differenzierung im Wettbewerb beitragen und inwieweit das eigene Unternehmen davon betroffen ist, hängt stark von der Branche ab. Im Maschinenbau sieht man hierbei kaum Handlungsbedarf, während die Konsumgüterindustrie vergleichsweise starke Auswirkungen erwartet.
- Es besteht weitgehende Übereinstimmung unter den Befragten, dass die Nachhaltigkeitsperspektive im Wettbewerb um talentierte Mitarbeiter immer wichtiger wird. Allerdings gibt es Unterschiede je nach Kundenfokus. Unternehmen mit Fokus auf B2C-Kunden schätzen den Einfluss auf die Personalgewinnung als größer ein als Unternehmen mit B2B-Geschäft.
- Laut der Studie glauben die meisten Befragten, dass Unternehmen ihre Absichtserklärungen zum nachhaltigen Handeln tatsächlich umsetzen werden und diese umsetzbaren Ziele auch nachprüfbar sind. Im Vergleich zu B2B-Unternehmen beurteilen Befragte im B2C-Umfeld die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen ihre Ziele nur oberflächlich erfüllen werden, als geringer.
- Die Befragten aus allen Branchen sind optimistisch, dass grüne Energien in ausreichendem Maße ausgebaut werden. Eine nachhaltige Energieversorgung wird von den Unternehmen als sehr wichtig für ihr Geschäft angesehen, wobei Unternehmen aus dem B2B-Umfeld, insbesondere im Maschinenbau, hier den größten Einfluss sehen.
- Eine zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit im Produktdesign, in der Verpackung und bei der Fertigung wird von der deutlichen Mehrheit der Unternehmen erwartet. Die Wahrscheinlichkeit und der Einfluss dieser These werden von Herstellern im Bereich der Konsumgüterindustrie am höchsten eingeschätzt.
- Die meisten Befragten sehen eine enge Verbindung zwischen digitaler Exzellenz und Führung im Bereich Nachhaltigkeit. Unabhängig von Branche und Kundenfokus wird die Bedeutung von „Digital Green“ für das Geschäft als hoch eingeschätzt. Insbesondere Unternehmen mit B2B-Fokus und aus der Lebensmittelbranche sind überzeugt, dass diese These eintreffen wird.
- Die Befragten aller Branchen halten es eher für unwahrscheinlich, dass es bis 2025 eine umfassende globale Verpflichtung zur Entsorgung bzw. Wiederverwertung von Produkten und Verpackungen gibt. Falls die These eintreten sollte, rechnen B2B-fokussierte Unternehmen mit deutlich größeren Auswirkungen auf ihr Geschäft als solche mit B2C-Fokus.
- Die Wahrscheinlichkeit, dass neue Verpflichtungen zum Einsatz von wiederverwerteten Kunststoffen die Kosten deutlich erhöhen, wird von Befragten mit B2C-Fokus als eher unwahrscheinlich eingeschätzt, während B2B-orientierte Unternehmen diese Möglichkeit durchaus sehen.
- Die Mehrheit der Befragten stimmt der Einschätzung zu, dass der Zugang zu Rohstoffquellen für Recycling ein wichtiger strategischer Wettbewerbsvorteil ist, der durch entsprechende Kompetenzen gesichert werden muss. Allerdings sehen kleinere Unternehmen mit einem Umsatz unter 500 Mio. EUR die Eintrittswahrscheinlichkeit und den Impact deutlich höher als größere Organisationen.
- Ohne entsprechende Regulierung befürchten die Befragten, dass viele Kunden weiterhin günstige Preise über Nachhaltigkeit setzen werden und der Markt für billig produzierte Waren erhalten bleibt. Während die Branche Food & Beverages im B2C-Bereich weniger betroffen scheint, erwarten die Befragten in der Branche Consumer Goods deutlich stärkere Auswirkungen.
- Die Studienteilnehmer halten es insgesamt für eher zutreffend, dass kollaborative Geschäftsmodelle zwischen Unternehmen und Verbrauchern im Bereich Urban Mining und Recycling entstehen. Allerdings erwarten Unternehmen in der Branche Consumer Goods, dass dies eher unwahrscheinlich ist und der mögliche Einfluss auf sie sehr hoch sein wird.
- Die Befragten halten es für unwahrscheinlich, dass europäische Unternehmen durch zu strenge Nachhaltigkeitsbestimmungen ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren werden. Die Branche Consumer Goods sieht hier jedoch ein gewisses Risiko. Sollte es zu einem „Sustainable Overkill“ kommen, erwarten Unternehmen mit Fokus auf B2B-Geschäfte deutlich stärkere Auswirkungen als solche im B2C-Umfeld.
All das zeigt, dass die Bedeutung der Nachhaltigkeit in der Industrie in den letzten Jahren stark gestiegen ist. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht nur für die Umwelt wichtig ist, sondern auch für den wirtschaftlichen Erfolg und die langfristige Existenzsicherung. Und diese Entwicklung hat nicht nur Auswirkungen auf das Jahr 2025, sondern auch auf die kommenden Jahre…
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