Norden ist die Auffahrt zur ausspionierten Datenautobahn in die USA
Bevölkerungsarm, aber verkehrsreich – in der ostfriesischen Kleinstadt Norden beginnt die Datenautobahn zwischen Deutschland und den USA. Britische Nachrichtendienstler sollen von hier aus das riesige transatlantische Unterwasserkabel TAT-14 angezapft haben, das quer durch den Atlantik verläuft und 15 Mio. Telefonate gleichzeitig übertragen kann. Seit Bekanntwerden der Spionagevorwürfe gilt für die Seekabelendstelle die Sicherheitsstufe 1.
Es waren graue Wintertage, als der britische Diplomat Carruthers in der ostfriesischen Kleinstadt Norden eine Verschwörung aufdeckte. Das geschah allerdings nur auf dem Papier. Der Londoner Aristokrat ist Held der Erzählung „Das Rätsel der Sandbank“, mit der der irische Autor Erskine Childers 1903 das Empire vor deutschen Kriegsvorbereitungen warnen wollte und nebenbei das Genre des Spionageromans schuf.
110 Jahre später hat Carruthers real existierende Nachfolger bekommen, denn die Briten haben den 25 000-Seelen-Ort im äußersten Nordwesten Niedersachsens erneut als Quelle dunkler Geheimnisse entdeckt. Den Berichten des ehemaligen US-Geheimdienstlers Edward Snowden zufolge hat der Nachrichtendienst Government Communications Headquarter GCHQ das Transatlantikkabel TAT-14 angezapft, das an der ostfriesischen Küste im Meer versinkt und etwa ein Drittel des deutschen Datenverkehrs nach Nordamerika transportiert.
TAT-1 war 1956 erste transatlantische Telefonverbindung
Viel ist nicht los in der Kleinstadt; im Sommer rauschen hier die Touristen durch, die vom benachbarten Norddeich zu den ostfriesischen Inseln fahren. Auch von TAT-14 ist hier kaum etwas zu sehen. TAT steht für Trans Atlantic Transmission Cable – die 2001 installierte Glasfaserleitung zwischen Norden und Nordamerika ist die modernste Variante, seitdem 1956 mit TAT Nr. 1 die erste transatlantische Telefonverbindung geschaffen wurde.
Während damals gerade einmal 36 Gespräche pro Richtung parallel abgewickelt werden konnten, schafft Nr. 14 mehr als 15 Mio. Telefonate und gigantische Datenmengen gleichzeitig. Das 1,3 Mrd. $ teure Kabelwerk ist eine Gemeinschaftsleistung von 50 europäischen und amerikanischen Telekommunikationsunternehmen die Deutsche Telekom ist als einziger deutscher Carrier darunter und trug 128 Mio. € zu dem Gesamtwerk bei.
Das Kabel besteht aus vier Glasfaserpaaren, die den Atlantik in einer Ringkonfiguration auf zwei Trassen von Ostfriesland über die Niederlande, Frankreich und Großbritannien bzw. auf der Nordroute über Dänemark und die Shetland-Inseln überqueren und zu zwei Orten im amerikanischen New Jersey führen. Das Netz ist auf eine geschätzte Kapazität von 640 Gbit/s und eine Gesamtübertragungsrate von mehr als 1 Tbit/s ausgelegt.
Kabel sind ein Meter tief im Meeresboden vergraben
Die Aufteilung hat Sicherheitsgründe: Dass alle Stränge gleichzeitig ausfallen und damit den Daten- und Telefonverkehr zwischen den fünf beteiligten europäischen Ländern und den USA lahmlegen, gilt als unwahrscheinlich. Wenn eine der 1 m tief im Meeresboden vergrabenen Leitungen gelegentlich von Schiffsankern touchiert wird, lässt sich der Datenverkehr schnell auf die verbliebenen Fasern oder eines der anderen Seekabel verteilen.
TAT-14 kommt ausgerechnet dort ans Tageslicht, wo Carruthers im Roman seine ersten vagen Erkenntnisse über deutsche Kriegspläne nach London „kabelte“: im alten Postamt in Norden. Dort hat die Telekom die „Seekabelendstelle“ – neudeutsch Competence Center Submarine Cables – untergebracht, hinter dem Gebäude verschwindet TAT-14 im Boden.
Dass die beschauliche Kleinstadt der Endpunkt der 15 000 km langen Leitung ist, hat strategische Gründe. Zum einen sind von hier die am Netzwerk beteiligten Nachbarländer Dänemark, Frankreich, die Niederlande und das bundesdeutsche Netz auf kurzem Weg mit Anschlussleitungen zu erreichen zum anderen birgt das flache Wattenmeer einen gewissen Schutz für die ersten Meilen des sensiblen Systems, denn die Küstenzone ist Weltnaturerbe und Nationalpark, in dem der Schiffverkehr streng reglementiert ist. Schon Childers hatte der abgeschiedenen Region eine besondere Bedeutung zugemessen – als gut getarnter Ausgangspunkt für einen Überraschungsangriff auf Großbritannien.
Datenautobahn TAT-14 wurde 2001 freigeschaltet
Als TAT-14 am 21. März 2001 nach zweieinhalbjähriger Bauzeit ans Netz ging, jubelte das internationale Konsortium. „Mit dem TAT-14-System werden alle 50 teilhabenden Carrier in die Lage versetzt, ihren jeweiligen Kunden auf der derzeit günstigsten Kostenbasis im Markt hervorragende Übertragungsleistungen anzubieten“, sagte der damalige Telekom-Vorstand Technik und Netze, Gerd Tenzer. Die Freigabe der transatlantischen Datenautobahn wurde auf www.tat-14.com sogar live übertragen.
Heute beschränkt sich die Seite auf knappe Infos sowie eine Liste mit den Namen, E-Mail-Adressen und Faxnummern der Ansprechpartner im „TAT-14-General-Committee“. Daneben gibt es nur den passwortgeschützten Eingang zum Intranet des TAT-14-Konsortiums. Keinen Eintritt gibt es derzeit in die Seekabelendstelle seit Bekanntwerden der Spionagevorwürfe gelte dort die Sicherheitsstufe 1, teilte eine Telekom-Sprecherin mit.
Aus dem alten Postamt heraus wird rund um die Uhr die Funktionsfähigkeit der Seekabel überwacht sollte es zu Störungen kommen, können die Beschäftigten die Stelle selbst tief im Atlantik durch Messungen lokalisieren und innerhalb von 24 Stunden Spezialschiffe auf den Weg schicken, die das Kabel unter Wasser orten, durchtrennen und ein Reparaturstück einspleißen. Für das Gebäude und seine Inhalte besteht ein Film- und Fotografierverbot der Leiter der Seekabelendstelle stehe für Interviews nicht zur Verfügung, teilte die Telekom mit.
Vor Jahren hatte der Mitarbeiter noch häufiger Interviews geben dürfen. „Manipulationen an einem Seekabel würden unsere Messgeräte sofort registrieren“, zitierte ihn die Wochenzeitung „Die ZEIT“ vor zwölf Jahren zum Thema Abhörsicherheit. Und: Seekabelendstellen seien die einzigen Orte, an denen man an die Daten herankommen könnte deswegen sei auch schon der Verfassungsschutz im Haus gewesen: „Die wollten nachsehen, ob hier auch keiner etwas mithört.“
Britischer Geheimdienst konnte das Kabel in Cornwall anzapfen
Während Childers seinen Romanhelden bei Eiseskälte an deutschen Fenstern lauschen ließ, mussten die Abhörspezialisten von heute ihre Insel möglicherweise gar nicht verlassen. Vor dem Weg durch den Atlantik kommt TAT-14 in dem Badeort Bude an der Nordküste Cornwalls noch einmal an Land. Experten vermuten, dass die Geheimdienstler hier die Lichtblitze des Glasfaserkabels beobachteten. Bude bot ihnen dabei sogar Synergieeffekte – dort endet auch Apollo, das Transatlantikkabel der britischen Cable & Wireless.
An einem Punkt ist der alte Roman der heutigen Realität jedoch weit voraus. Sowohl die britische als auch die deutsche Regierung zogen seinerzeit Konsequenzen aus Childers‘ Schilderungen und verstärkten die Militärpräsenz an ihren Küsten. Und jahrelang gehörte „Das Rätsel der Sandbank“ im britischen Geheimdienst zudem zur Pflichtlektüre. WOLFGANG HEUMER
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