Polen will seine Ingenieure nicht ziehen lassen
Ab 1. Mai dürfen neben Bürgern aus sieben anderen osteuropäischen Ländern auch Polen ohne weitere Genehmigung in Deutschland arbeiten. In diesen Monaten werden sie vor die Wahl gestellt: In der Heimat bleiben oder doch lieber gen Westen auswandern? Die VDI nachrichten sammelten in Polen Stimmen.
Schätzungen des Polnischen Amts für Statistik gehen davon aus, dass zurzeit in Deutschland rund 415 000 Polen berufstätig sind. Nach Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes in Richtung Osteuropa am 1. Mai könnte sich die Zahl erheblich steigern.
„Die Deutschen warten mit offenen Armen auf uns“, titelte jüngst die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza: „Das ist eine Chance für Krankenschwestern, Pflegekräfte, Ingenieure und Facharbeiter auf dem Bau, die bei uns keine Beschäftigung finden.“
Für polnische Ingenieure ist es tatsächlich eine Versuchung, in Deutschland Fuß zu fassen: Wer sich für Deutschland entscheidet, verdient gutes Geld. Auf Internetforen kursieren Einstiegsgehälter von durchschnittlich 39 000 € jährlich, in der Spitze 50 000 €. „Was ist besser: 3000 Zloty oder 3000 € im Monat?“, lautet eine wohl eher rhetorisch gemeinte Frage auf einem Internetforum für polnische Ingenieure.
Werden also ab dem 1. Mai polnische Ingenieure scharenweise ins Land der unbegrenzten beruflichen Möglichkeiten wechseln? Wird die Migration enormen Schaden für die wirtschaftliche Entwicklung in den polnischen Grenzgebieten zu Deutschland haben, wie böse Zungen behaupten?
Die polnische Arbeitsministerin Jolanta Fedak winkt ab. „Ich erwarte keinen großen Abfluss der Arbeitskräfte aus unserem Markt. Ich erwarte auch nicht, dass die Arbeitslosenzahl in Polen wesentlich zurückgeht.“ Aber die Ministerin hat andere Befürchtungen. „Die Deutschen bereiten Projekte vor, die unsere Jugendlichen, die gerade einen Beruf erlernen, dazu bewegen könnten, ihre Karriere in Deutschland fortzusetzen. Deshalb sollten wir in den Grenzgebieten Projekte auf die Beine stellen, die unsere Jugend hier halten.“ Dahinter stecke die Absicht deutscher Firmen und Berufsschulen, ungefähr 10 000 junge Polen als Berufsschüler abzuziehen.
Polnische Politiker weisen darauf hin, dass auch Polen unter Ingenieurmangel leide und die sich rasant entwickelnde Wirtschaft solche Leute brauche. Es fehlten laut Polnischem Amt für Statistik im Jahr 2010 rund 67 000 Ingenieure, in diesem Jahr ist die Zahl auf 76 000 gewachsen. Polnische Unternehmen suchen in erster Linie nach Mechanik- und Maschinenbau-Ingenieuren (12 000). Auch an Bauingenieuren mangelt es.
Unternehmen müssten sich darauf einstellen, hoch Qualifizierten gute Arbeitsbedingungen in Aussicht zu stellen. Dazu zählen auch bessere Gehälter. Deshalb, so das polnische Arbeitsministerium, werde es wohl zu keiner extremen Abwanderung von Fachleuten kommen.
„Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich schon vor geraumer Zeit für Spezialisten geöffnet. Wir haben schon vor vier Jahren kein großes Interesse am Wechsel zu unserem Nachbarn festgestellt“, erläutert Michal Boni, Berater des polnischen Premierministers.
Ob polnische Ingenieure in großer Zahl in Deutschland unterkommen werden, erscheint offen. Die britische Regierung erklärte vor dem Eintritt Polens in die EU und der Arbeitsmarktöffnung Großbritanniens, nicht mehr als 10 000 Polen würden auf die Insel kommen. Es waren aber fast 2 Mio. Polen.
Nach Großbritannien mussten die Osteuropäer emigrieren, beim Wechsel nach Deutschland wäre das für Grenzgänger unnötig. Andererseits wäre Polen schlecht beraten, seine Ingenieure widerstandslos abziehen zu lassen. ANDRZEJ KANIEWSKI
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