Polen und Tschechien wehren sich gegen deutschen Windstrom
Schon länger nimmt in Norddeutschland aus Windkraft erzeugter Strom für den Weg nach Süddeutschland einen Umweg – über Tschechien und Polen, und überlastet immer häufiger dort die Netze. Fällt diese Trasse weg, muss Atomstrom aus Tschechien und Frankreich importiert werden.
Am 19. Februar war es wieder so weit. Über das tschechische Hochspannungsnetz wälzten sich 2000 MW „deutsche“ Elektroenergie. Normal sind es 1000 MW. Der tschechische Netzbetreiber, die staatlich kontrollierte CEPS, musste alle Anstrengung aufwenden, um einen Kollaps der Leitungen zu verhindern. „Das Sicherheitskriterium n-1 war über mehrere Stunden nicht erfüllt“, unterstreicht CEPS-Vorstand Miroslav Vrba den Ernst der Lage. Es soll gewährleisten, dass der Ausfall einer Leitung oder eines Transformators nicht auf andere Netzanlagen übergreift und so eine Kettenreaktion auslöst.
Dabei hatte CEPS Glück, denn im Nordosten Deutschlands herrschte an jenem Sonntag Flaute. Gut 11 000 MW Windkraft sind dort installiert, bei gutem Wind erzeugen diese Anlagen einen beachtlichen Energiefluss, der schon länger mangels ausreichender innerdeutscher Leitungen über Polen und Tschechien nach Süden transportiert wird.
Doch mit der Abschaltung von acht deutschen Atomkraftwerken im März letzten Jahres hat sich die Lage verschärft. Die Frequenz der Krisensituationen ist seitdem stark gestiegen und hält manchmal tagelang an, heißt es unisono bei CEPS und dem polnischen Netzbetreiber PSE Operator (PSE-O).
Polen und Tschechien wollen nicht für deutsche Versämnisse büßen
Der im Süden Deutschlands fehlende Strom muss durch Kapazitäten aus anderen Teilen der Republik ersetzt werden, die größtenteils im Nordosten liegen. Doch die bestehenden Leitungen von Nordost nach Süd sind dafür nicht ausgelegt und der Bau neuer Trassen kommt nur schleppend voran. Also nimmt der Strom den Umweg des geringsten Widerstands über Polen und Tschechien. Das ist üblich, abgesichert durch internationale Verträge, doch die Nachbarn im Osten sind immer weniger gewillt, mit ihren Netzen für deutsche Versäumnisse geradestehen zu müssen.
Um eine Überlastung zu vermeiden, steuern die Netzbetreiber gegen. Durch das Drosseln und Anfahren von Kraftwerksleistungen, dem sogenannten Redispatch, wird der Stromfluss umverteilt. Doch das verursacht Kosten, die letztlich polnische und tschechische Verbraucher tragen müssen.
Polen zieht die Reißleine
Deshalb zieht Polen nun die Reißleine. „Im Zuge der Modernisierung der Umspannwerke in Krajnik und Mikulow planen wir den Einbau von Phasenschiebern“, erklärt PSE-O-Sprecher Slawomir Smoktunowicz. Dort enden die Kuppelleitungen aus dem brandenburgischen Vierraden und dem sächsischen Hagenwerder. Die Vorbereitungen sind in vollem Gange. Smoktunowicz nennt 2014 als Jahr der Inbetriebnahme.
Mit diesen Phasenschiebern, der Spezialform eines Transformators, lässt sich der Stromfluss je nach Bedarf hoch- oder runterregeln. Diese Querregler sind nicht billig, sie haben eine Abschreibung von 40 Jahren. Und sie würden den parallel geplanten Ausbau der Kuppelleitung Vierraden-Krajnik ad absurdum führen.
„Darüber wird noch verhandelt“, reagiert 50Hertz-Sprecher Volker Kamm zurückhaltend auf die polnischen Pläne. 50Hertz betreibt das angrenzende ostdeutsche Höchstspannungs-Übertragungsnetz. Kramm hofft, die Polen letztendlich zu überzeugen. Im Gespräch ist eine stärkere Beteiligung am Redispatch.
Kommen die Phasenschieber, würde das den Druck auf das deutsche Netz erhöhen. Um Überlastungen zu vermeiden, werden vermehrt in Deutschland Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Quellen vom Netz genommen, obwohl diese Kapazitäten erst zuletzt abgeschaltet werden dürfen.
2011 war dies laut 50Hertz bereits an 46 Tagen im Jahr so. „Das ist klimapolitischer und volkswirtschaftlicher Unsinn“, wettert Kamm. Der dann fehlende, öffentlich gestützte Strom aus erneuerbaren Energien – für den ein Ausfall an die Anlagenbetreiber gezahlt werden muss – müsste in Süddeutschland durch Atomstrom aus Tschechien und Frankreich ersetzt werden.
Deutschland muss den Netzausbau zügig vorantreiben
Das dürfte ein Grund für die Zurückhaltung Prags beim dem Thema sein. Premierminister Petr Necas hatte Phasenschieber kürzlich in Berlin sogar als „nicht adäquat“ abgehakt. Das Land exportiert jedes Jahr mehr Energie. 2011 waren es mehr als 17 TWh. Und mit dem geplanten Ausbau des KKW Temelín könnte der Export weiter steigen. Dafür kann Tschechien keinen Zwist mit dem deutschen Nachbarn gebrauchen.
Insofern passt die polnische Initiative ins Konzept. „Der Einbau eines Phasenschiebers an der deutsch-polnischen Grenze schützt auch den polnisch-tschechischen Übergang“, bestätigt CEPS-Vorstand Vrba. Denn während man sich an der eigenen Grenze mit Deutschland den Strom mit einer Kette von Kohlekraftwerken vom Leibe hält, dringt er über den polnischen Umweg ungehindert nach Tschechien.
In einem sind sich alle drei benachbarten Netzbetreiber einig: Deutschland muss den geplanten Bau neuer Leitungen zügig umsetzen.
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