Schrittweises Aus für fluorhaltige Kältemittel umstritten
Nach Willen des Umweltbundesamtes soll möglichst bald auf fluorhaltige Treibhausgase verzichtet werden. Eine Studie zeigt, dass es oft kostengünstige und klimaschonende Alternativen gibt. In der Industrie stieß die Studie auf geteiltes Echo. Die Wirtschaft muss sich aber auf neue Beschränkungen einstellen – der Umweltausschuss des EU-Parlaments fordert strengere Maßnahmen.
Auf viele Anwendungen fluorhaltiger Treibhausgase (F-Gase) kann sofort verzichtet werden. Davon ist Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA) in Dessau, überzeugt. F-Gase könnten meist durch natürliche Kältemittel wie Ammoniak (NH3), Kohlendioxid (CO2) oder kurzkettige Kohlenwasserstoffe wie Propan oder Butan ersetzt werden. Diese Ersatzstoffe haben kein oder nur ein geringes Treibhauspotenzial.
Beispiel für Ersatzstoffe gibt es genug: Für Pkw und Busse gibt es Klimaanlagen, die mit CO2 statt mit Tetrafluorethan (R134a) arbeiten. Fleisch, Gemüse und Softdrinks werden in Kühl- und Gefrierschränken sowie in beweglichen Kühltruhen und Getränkeboxen der Supermärkte häufig mit CO2 oder Propan gekühlt. Kühllager und industrielle Kälteanlagen arbeiteten bereits heute meist mit NH3, ergänzt UBA-Expertin Katja Becken.
Nur wenige F-Gas-Anwendungen hält das UBA noch für akzeptabel. Die F-Gase R134a und Heptafluorpropan (R227ea) dienen in Asthmasprays als Treibgas. Halbleiterhersteller nutzen F-Gase als Ätzgase – also als Quelle für Fluor –, um hochreines Silizium auf der Oberfläche von Wafern gezielt zu strukturieren.
Industrieverband Eurammon engagiert sich seit Jahren für den Einsatz natürlicher Kältemittel
Technisch ist es zum Teil schwierig, auf F-Gas-Mischungen in größeren Kühlanlagen wie Fleischertheken zu verzichten. Hier sind die benötigten Kältemittelmengen größer als in kompakten Kühlschränken und der Einsatz brennbarer Kältemittel wäre aufwendiger.
In der Industrie stieß die UBA-Studie auf geteiltes Echo. Der Industrieverband Eurammon, der sich für den Einsatz natürlicher Kältemittel engagiert, begrüßt die Studie. Der Lebensmittelhersteller Nestlé sagte bereits vor zehn Jahren zu, F-Gase konzernweit vollständig zu ersetzen. Der F-Gas-Ausstieg sei dort nahezu vollzogen, so die Eurammon-Vorstandsvorsitzende Monika Witt.
Einzelne Unternehmen folgten Nestlés Beispiel und im November 2010 zu Beginn des Klimagipfels in Cancún versprachen rund 400 Lebensmittelhersteller und -händler aus 70 Ländern, aus der F-Gas-Anwendung auszusteigen. Diese Firmen haben sich im Consumer Goods Forum (CGF) zusammengetan. Maschinenbauingenieurin Witt ergänzt, natürliche Kältemittel wie NH3, Propan und Butan lassen sich sicher einsetzen, werden die bestehenden Sicherheitsanforderungen eingehalten.
Industrieverband EPEE lehnt Einsatzverbote für fluorhaltige Kältemittel strikt ab
Der Industrieverband European Partnership for Energy and Environment (EPEE), der Kälte-, Klimaanlage- und Kältemittelhersteller vertritt, lehnt Einsatzverbote hingegen strikt ab. Die UBA-Studie berücksichtige Fragen der Energieeffizienz nur unzureichend, so Geschäftsführerin Andrea Voigt. Sie spricht von einer verpassten Chance, da sich das UBA in der Studie auf F-Gase fokussiert.
„Der größte Teil der Klimagasemissionen aus Kälte- und Klimaanlagen ergibt sich nicht aus Kältemittelleckagen, sondern aus dem Energieverbrauch während des Betriebs“, betont Voigt. Die Energieeffizienz ließe sich aber etwa durch intelligente Steuer- und Regelungstechnik oder den Einbau elektronischer Expansionsventile noch steigern.
Zudem eignet sich nicht jedes Kältemittel für jede Anwendung gleich gut, ergänzt Voigt. Sie verweist auf CO2, das als Kältemittel häufig im Supermarkt-Kältebereich eingesetzt wird. „Bei niedrigen Umgebungstemperaturen ist das eine gute Lösung.“ Übersteigt die durchschnittliche Jahrestemperatur der Umgebung jedoch 15 °C, bräuchten Anlagen mit F-Gasen weniger Strom als diejenigen, die auf CO2-Basis arbeiten. Für sinnvoller als Stoffverbote hält Voigt es daher, den Verbrauch und die Herstellungsmengen von F-Gasen zu regulieren – und ansonsten auf den freien Markt zu vertrauen. Ließe sich mit natürlichen Kältemitteln grundsätzlich das Klima preiswert schützen, „würden unsere Verbandsmitglieder sicher freiwillig auf F-Gase verzichten“.
„Unsere Studie ist keine verpasste Gelegenheit“, entgegnet Flasbarth. Im Gegenteil: Sie komme zur rechten Zeit. Die EU-Kommission bereitet sich darauf vor, die „Verordnung über bestimmte fluorierte Treibhausgase“ aus dem Jahr 2006 zu überarbeiten. Die Kommission prüft dabei unter anderem, welche Ersatzstoffe es gibt und wie teuer es ist, F-Gase durch diese zu ersetzen.
UBA: Europäische Industrie soll Vorreiterrolle einnehmen
Gleichzeitig verlangt der Umweltausschuss des EU-Parlaments von der Kommission, nicht nur CO2-Emissionen, sondern auch Emissionen anderer klimaschädlicher Gase wie F-Gase zu regeln. Was die EU in zwei, drei Jahren beschließen wird, ist allerdings noch unklar. Jo Leinen, EU-Abgeordneter der SPD und Vorsitzender des Umweltausschusses, betont, gebe es Ersatzstoffe, müssten diese genutzt werden, um den Klimawandel zu bekämpfen. Er freut sich zwar über jede freiwillige Maßnahmen innerhalb der Wirtschaft, „da sich aber nicht alle Firma daran halten, brauchen wir verbindliche Regeln“.
Dabei geht es um den Klimaschutz weltweit. F-Gas-Emissionen müssen global sinken, so das UBA. Berechnungen zeigen, dass ohne weitere Beschränkungen 2050 rund 6 % aller Treibhausgasemissionen auf F-Gase zurückgehen würden, zurzeit seien es 2 %. Zudem werden Entwicklungs- und Schwellenländer 2050 rund achtmal mehr F-Gase als Kältemittel nutzen als Industrieländer. Die europäische Industrie sollte daher Vorreiter beim Verzicht auf F-Gase sein, so das UBA.
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