Verlockende Preise, verborgene Gefahren 31.10.2024, 12:50 Uhr

Shoppen bei Temu: Gekauft wird trotz bekannter Risiken

Temu boomt trotz bekannter Risiken: Warum günstige Preise und verlockende Angebote Käufer anziehen, und welche Gefahren dabei oft übersehen werden.

Temu

Temu ist in den vergangenen Jahren wie eine Rakete in den E-Commerce-Himmel geschossen - trotz bekannter Risiken und Gefahren.

Foto: Dominik Hochwarth

EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen Online-Händler Temu

Die Europäische Kommission verdächtigt den chinesischen Online-Marktplatz Temu, möglicherweise gegen EU-Recht zu verstoßen. Die Behörde in Brüssel hat ein formales Verfahren eingeleitet, um zu prüfen, ob die Plattform ausreichend gegen den Verkauf illegaler Produkte vorgeht, wie es in einer Mitteilung hieß. Zusätzlich soll untersucht werden, ob das Design des Dienstes potenziell süchtig machend wirkt.

Der Plattform wird vorgeworfen, nicht konsequent gegen illegale Angebote vorzugehen. Laut der Kommission tauchen bestimmte Händler erneut auf der Seite auf, obwohl sie zuvor gesperrt wurden. Zudem bestehe die Gefahr, dass Belohnungsprogramme die Nutzer süchtig machen könnten, was das körperliche und geistige Wohlbefinden beeinträchtigen könnte. Die Kommission plant, weitere Beweise zu sammeln, auch durch Befragungen.

Keine andere Shopping-App verzeichnete im vergangenen Jahr in Deutschland so viele Downloads wie Temu. Schätzungen zufolge werden täglich bis zu 200.000 Pakete von der chinesischen Online-Plattform an deutsche Kunden verschickt. Was Temu so attraktiv macht, sind die extrem niedrigen Preise und die riesige Produktauswahl. Doch hinter der verlockenden Fassade lauern Gefahren, vor denen Verbraucherschützer und Experten warnen. Mangelnde Produktsicherheit, fragwürdige Qualitätsstandards und mögliche Datenschutzprobleme sind nur einige der kritischen Punkte, die potenzielle Käuferinnen und Käufer beachten sollten.

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Der Aufstieg von Temu: Was steckt hinter dem Erfolg?

Temu ist ein Tochterunternehmen des chinesischen E-Commerce-Giganten Pinduoduo und wurde 2015 gegründet. Die Plattform bietet eine riesige Auswahl an Produkten, von Elektronik über Kleidung bis hin zu Spielzeug und Haushaltsgeräten. Die aggressiven Marketingstrategien von Temu haben sich als äußerst erfolgreich erwiesen.

Die App lockt mit ständig wechselnden Rabattaktionen, Coupons und Sonderangeboten.  Diese Preisschlachten und die Möglichkeit, Produkte zu einem Bruchteil des regulären Preises zu erwerben, haben Temu innerhalb kürzester Zeit zu einer der beliebtesten Shopping-Apps gemacht.

Die meisten Produkte auf Temu stammen direkt von Herstellern in China. Dadurch entfallen Kosten für Zwischenhändler und teure Lagerlogistik. Ein weiterer Grund für die günstigen Preise: Für Produkte unter 150 Euro entfällt in der Regel der Zoll, was die Versandkosten weiter senkt. Diese Faktoren tragen wesentlich dazu bei, dass Temu konkurrenzlos günstige Preise anbieten kann.

Qualität und Sicherheit: Verbraucher sollten skeptisch bleiben

Während Temu mit niedrigen Preisen punktet, gibt es erhebliche Mängel bei der Qualität und Sicherheit der angebotenen Produkte. Laut einer GfK-Umfrage im Auftrag des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) sind sich mehr als zwei Drittel der Käufer bewusst, dass die bei Temu gekauften Produkte häufig nicht den europäischen Standards entsprechen. Dies betrifft sowohl die Produktsicherheit als auch die Einhaltung von Vorschriften zu Inhaltsstoffen und Arbeitsschutz.

Besonders deutlich wird das Problem bei Elektroartikeln und Spielzeug, wo fehlende oder gefälschte CE-Kennzeichnungen an der Tagesordnung sind. Die CE-Kennzeichnung signalisiert, dass ein Produkt den Sicherheitsstandards der EU entspricht. Bei Temu fehlen diese Kennzeichnungen jedoch häufig oder sind manipuliert. Dies erhöht das Risiko für Verbraucher, mangelhafte oder sogar gefährliche Produkte zu kaufen.

Nachhaltigkeit: Günstig, aber um welchen Preis?

Ein weiterer kritischer Aspekt beim Einkaufen auf Temu ist die Frage der Nachhaltigkeit. Die Plattform bietet vor allem billige Produkte an, die in der Regel eine kurze Lebensdauer haben. Diese Wegwerfprodukte tragen zur wachsenden Müllproblematik bei und stehen im Widerspruch zu den Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit. Zudem werden selbst kleinste Artikel oft einzeln per Luftfracht aus China angeliefert, was den CO2-Ausstoß erhöht und die Umwelt zusätzlich belastet.

Temu behauptet zwar, sich für soziale Verantwortung und den Ausgleich von CO2-Emissionen einzusetzen, doch gibt es kaum Transparenz oder Beweise, die diese Behauptungen untermauern. Experten wie Christoph Tripp, Professor für Handelslogistik an der Universität Nürnberg, kritisieren das Geschäftsmodell scharf. Er betont, dass soziale und ökologische Nachhaltigkeit bei Temu nur eine untergeordnete Rolle spielen und eher als Marketinginstrument genutzt als tatsächlich umgesetzt werden.

Datenschutz: Welche Daten sammelt Temu?

Der Datenschutz ist ein weiterer Bereich, in dem Temu Bedenken aufwirft. Die Anwendung erfordert umfangreiche Berechtigungen und verlangt Zugriff auf persönliche Daten wie Fotos, Videos, das Adressbuch und sogar WLAN-Daten der Nutzer. Obwohl Temu in seinen Datenschutzrichtlinien betont, dass die Datensicherheit wichtig sei und die Daten europäischer Kunden in der Infrastruktur von Cloud-Anbietern im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gespeichert würden, gibt es Grund zur Skepsis.

Sicherheitsanalysen und Expertenmeinungen wie die des „c’t Magazins“ bewerten die App kritisch. Sie wird als potenzielle „Wanze“ bezeichnet, die umfangreiche Daten sammelt und diese möglicherweise für kommerzielle Zwecke nutzt. Nutzer sollten sich daher bewusst sein, dass sie durch das Herunterladen der App und die Nutzung der Plattform umfangreiche Informationen preisgeben, die zu Marketing- und möglicherweise anderen Zwecken genutzt werden können.

Retouren und Kundenservice: Wo es hapert

Temu wirbt mit einem kundenfreundlichen Rückgaberecht: Rücksendungen sollen kostenlos sein, der Kaufpreis wird bei Rückgabe innerhalb von 90 Tagen erstattet. Doch die Praxis sieht oft anders aus. Auf Bewertungsplattformen wie Trustpilot berichten Kundinnen und Kunden von Problemen bei der Rückerstattung. Viele Käufer mussten um ihr Geld kämpfen und einige berichten sogar, dass ihnen das Geld komplett verweigert wurde.

Auch der Kundenservice wird häufig kritisiert. Nutzerinnen und Nutzer berichten, dass sie bei Problemen oft nur automatisierte Antworten von Chatbots erhalten und es schwierig ist, ihr Anliegen zu klären. Dies führt zu Frustration und Misstrauen bei den Kunden und wirft die Frage auf, wie ernst Temu sein Versprechen der Kundenzufriedenheit wirklich nimmt.

Rechtliche Aspekte: Die Verantwortung der Käufer

Ein Einkauf bei Temu kann auch rechtliche Konsequenzen haben. Da die Produkte direkt aus China importiert werden, übernimmt der Käufer rechtlich gesehen die Rolle des Importeurs. Das bedeutet, dass der Käufer für eventuelle Schäden oder Mängel, die durch das gekaufte Produkt verursacht werden, haftbar gemacht werden kann. So können beispielsweise Brand- oder Verletzungsgefahren bei defekten Elektrogeräten zu ernsthaften rechtlichen Problemen führen.

Auch gefälschte Produkte sind auf Temu keine Seltenheit. Da der Zoll bei Warenwerten unter 150 Euro in der Regel keine detaillierten Kontrollen durchführt, besteht die Gefahr, dass Fälschungen oder minderwertige Nachahmungen ins Land gelangen. Werden größere Mengen gefälschter Waren entdeckt, kann dies sogar zu einer Strafverfolgung führen, wenn der Verdacht auf gewerbsmäßigen Handel besteht.

Der Digital Services Act: Eine Herausforderung für Temu

Der Digital Services Act (DSA) der EU stellt eine gesetzliche Grundlage dar, um große Online-Plattformen wie Temu zur Verantwortung zu ziehen. Der DSA verpflichtet „sehr große Online-Plattformen“, Risikoanalysen vorzulegen und Maßnahmen zu ergreifen, um Verbraucher zu schützen. Der ZVEI unterstützt diese Regelungen und fordert eine strikte Umsetzung, um fairen Wettbewerb zu gewährleisten und Verstöße gegen Produktsicherheit und -konformität zu ahnden.

Das Geschäftsgebaren von Temu beschäftigt zunehmend auch die einheimischen Unternehmen. In der aktuellen ZVEI-Befragung von Mitgliedern der Consumer-Industrie gaben 72 % an, von Temus Marktaktivitäten in Europa bereits betroffen zu sein. Nahezu alle Unternehmen (92 %) gehen zudem davon aus, dass sich die Situation durch solche Online-Plattformen weiter verschärfen wird. Als besonders problematisch sehen sie die mangelnde Produktsicherheit (92 %) und -konformität (80 %) sowie den Vertrieb von Produkten, in denen verbotene Stoffe verarbeitet wurden (64 %).

Carine Chardon, Bereichsleiterin Consumer beim ZVEI, betont, dass die Politik und die Behörden gefordert sind, gleiche Marktzugangsvoraussetzungen zu schaffen. Eine bessere Ausstattung der Marktüberwachungs- und Zollbehörden sei notwendig, um Verbraucher effektiv zu schützen und faire Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer sicherzustellen.

Fazit: Verlockende Preise, aber Risiken nicht unterschätzen

Temu hat sich in Deutschland einen festen Platz als günstige Einkaufsplattform erobert. Doch der vermeintliche Preisvorteil geht oft auf Kosten von Sicherheit, Qualität und Nachhaltigkeit. Verbraucher sollten sich der Risiken bewusst sein und ihre Kaufentscheidungen gut überdenken. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen, bevor man auf verlockende Angebote hereinfällt. Nicht nur die Qualität der Produkte, sondern auch der Datenschutz und mögliche rechtliche Konsequenzen sollten in die Überlegungen einfließen. Wer billig kauft, kauft im schlimmsten Fall nicht nur zweimal, sondern setzt sich auch erheblichen Risiken aus.

Die boomenden Verkaufszahlen von Temu zeigen, dass der Reiz günstiger Preise groß ist. Doch sowohl für Verbraucher als auch für die Industrie in Europa ist es entscheidend, dass nicht nur der Preis, sondern auch die Sicherheit und der faire Wettbewerb im Vordergrund stehen. Nur so kann ein nachhaltiges und vertrauenswürdiges Einkaufsumfeld geschaffen werden, das sowohl den Interessen der Kunden als auch den Anforderungen an Produktqualität und Verbraucherschutz gerecht wird.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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