Sicheres Klettern ohne Kletterpartner
Florian Widmesser klettert in seiner Freizeit. Den jungen Mechatronik-Ingenieur stört, wie abhängig ihn sein Hobby vom Terminplan seiner Kletterpartner macht. Darum hat er nun ein System entwickelt, das ihn in der Wand sichert. Es stößt bei Betreibern von Kletterhallen, Fassadenkletterern und Höhenrettern auf reges Interesse.
Als erfahrener Kletterer kennt Florian Widmesser die Nachteile seines Sports. „Ohne Partner zum Sichern geht Nichts“, sagt er. Das schaffe Abhängigkeiten. Denn seine Kletterfreunde können meist nur nach Feierabend oder an Wochenenden, wenn die Kletterhallen proppenvoll sind. Und wenn sie dann klettern, steht er die halbe Zeit unten, sichert und bekommt vom Hochschauen einen steifen Nacken. „Es ist kein Zuckerschlecken, wenn der Partner einen neuen Schwierigkeitsgrad erarbeitet“, lacht er.
Diese Probleme geht der Regensburger Mechatronik-Ingenieur nun unternehmerisch an. Widmesser hat ein Sicherungsgerät entwickelt, das er künftig mit seiner Auroco GmbH vermarkten will. Die Basis legte er in seiner Diplomarbeit. Später entwickelte er als Exist-Gründerstipendiat ein erstes Funktionsmuster und verfasste mit seinem kaufmännisch bewanderten Partner Jan Lohse einen Businessplan. Derzeit treiben sie ihre Gründung im Bayerischen „Förderprogramm zum leichteren Übergang in eine Gründerexistenz“ (Flügge) voran.
Kletterfreunde: „Mach halt was, dass man allein klettern kann.“
Auf die Idee für den Sicherungsautomaten brachten ihn seine Kletterfreunde. Sie saßen zusammen und dachten über ein Diplomthema für ihn nach. Irgendwann fiel der Satz: „Mach halt was, dass man allein klettern kann.“ Nach kurzem Nachdenken war ihm klar, dass daran sicher nicht nur im Freundeskreis Interesse besteht. „Es ist ja nicht nur in Kletterhallen, sondern auch bei Berufskletterern so, dass immer einer sichern muss“, sagt er. Der zweite Mann sei zum Nichtstun verdammt, müsse aber wachsam bleiben. Ein ebenso verantwortlicher wie undankbarer, unproduktiver Job.
Gespräche mit einigen der 300 deutschen und 2000 europäischen Betreibern von Kletterhallen bestätigten das Interesse an Sicherungssystemen für Alleinkletterer. „Sie würden sie gern verleihen, um die Auslastung ihrer Hallen auch tagsüber zu steigern“, so Widmesser. Von professionellen Kletterern und Höhenrettern bekam er ebenfalls positive Reaktionen. Zwar müssen sie zu mindestens zweit anrücken, doch wo ein Gerät die Kletterer zuverlässig sichert, kann der Partner in Sichtweite andere Aufgaben erledigen.
Sicherungsautomat Auroco: Sicher klettern ohne Partner
Auroco ersetzt Kletterpartner durch ein kaum backsteingroßes Gerät. Wahlweise wird es mit Schrauben oder Klickverschlüssen an Wänden fixiert oder im mobilen Einsatz per Gurt an x-beliebigen festen Strukturen festgezurrt. Herzstück ist eine selbst konstruierte Rolle, die das Seil führt und mit Hilfe eines kleinen 200-Watt-Motors nachzieht. Gebremst wird elektromechanisch. Sollte die Elektronik einmal den Dienst verweigern, sorgt eine Fliehkraftkupplung für sofortigen Seilstopp. „Das System ist mehrfach redundant ausgelegt, weil ja im wahrsten Sinne des Wortes Menschenleben daran hängen”, sagt der Gründer.
Doch wie erkennt die Basis Abstürze? – „Einerseits registriert die Elektronik die erhöhte Drehzahl der Rolle und aktiviert die Bremse“, so Widmesser. Andererseits trage der Kletterer einen 3-Achs-Beschleunigungssensor am Handgelenk. Registriert er einen Sturz, wird binnen 30 ms das Bremssignal an die Basis gefunkt. „Spätestens nach 1 m greift die Seilbremse“, sagt er.
Damit das teure Kletterseil bei solchen Notstopps keinen Schaden nimmt, brauchte Widmesser eine Lösung, die es sanft fixiert und zugleich beim Klettern geschmeidig führt. „Das war schwieriger als gedacht“, berichtet er. Erst ausführliche Tests brachten ihn auf die optimale Rollenkonstruktion: Das Seil läuft zwischen zwei Scheiben auf einer Achse. Damit es beim Nachziehen und beim Abbremsen der Rolle nicht einfach weiter rutscht, haben die Scheiben Profil: Je zwölf gewölbte Stege laufen beiderseits wie Strahlen von der Achse zum Scheibenrand. Sie bilden ein Dutzend zur Achse hin verjüngter Schluchten, die das Seil zuverlässig fixieren, obwohl es nur drei Viertel der Rolle umschließt.
Sicherungsautomat zieht das Seil beim Klettern automatisch nach
„Der Kletterer in der Wand muss das Seil ohne Kraftaufwand nachziehen können“, stellt er klar. Darum bleibt der Motor im Leerlauf, wenn er sich von Haken zu Haken hangelt. Folgt er einem von oben herabhängenden Seil, zieht der von einem Lithium-Ionen-Akku gespeiste Motor frei werdendes Seil regelmäßig nach. Allerdings kann der Kletterer das System auch mit der Funkeinheit am Arm steuern. Kommt er in der Wand gut voran, kann er den Seilnachzug per Knopfdruck auslösen. Und für Pausen im Seil kann er jederzeit die Bremse aktivieren. „Momentan arbeiten wir zusätzlich an einer optionalen Windenfunktion, die den Kletterer hochziehen kann“, erklärt der Gründer. Auf die Idee dazu brachten ihn Höhenretter, die leichte, mobile Winden zur Bergung Verunglückter brauchen.
Widmesser baut derzeit einen optimierten Prototypen, den er mit Unterstützung von Business Angels zur Marktreife bringen will. „Die Konstruktion setzt auf möglichst viele Teile von der Stange. Wo das nicht möglich ist, lassen wir auswärts fertigen“, erklärt er. Auroco werde die Systeme später montieren, auf Herz und Nieren testen und vertreiben. Bis dahin planen die Gründer noch ein gutes Jahr Entwicklungszeit ein. Lohse will sie nutzen, um die weitere Finanzierung auf die Beine zu stellen. „Die Marktdurchdringung ist ohne Risikokapital kaum zu machen“, sagt er. Es sei denn, es finde sich ein strategischer Partner, der den Gipfelsturm ihrer Mensch-Maschine-Seilschaft ohne weitere Absicherung angehen will.
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