„Bundeswehr steht blank da“: Soldaten haben nicht einmal dicke Jacken
Könnte die Bundeswehr einem Angriff gegen die NATO etwas entgegensetzen? Nein, sagt der oberste Heeressoldat Alfons Mais. Es fehlt im Heer gar an dicken Jacken und Unterwäsche, beklagt die Wehrbeauftragte Eva Högl. Auch andere Politiker fordern ein Umdenken in der Sicherheitspolitik und mehr Mittel für die Bundeswehr. Wie ist es um das Heer bestellt?
Das Medium ist eher ungewöhnlich für ein solches Statement: Beim Karrierenetzwerk Linkedin hat der Heeresinspekteur der Bundeswehr Alfons Mais der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt und damit für Diskussionen gesorgt. Die Frage angesichts der russischen Attacke auf die Ukraine: Könnte die Bundeswehr einem Angriff auf die NATO überhaupt etwas entgegensetzen?
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Für Mais lautet die Antwort: Nein. „Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, schreibt er. Und weiter: „Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können sind extrem limitiert. Wir haben es alle kommen sehen und waren nicht in der Lage mit unseren Argumenten durchzudringen, die Folgerungen aus der Krim-Annexion zu ziehen und umzusetzen. Das fühlt sich nicht gut an! Ich bin angefressen!“
Ukraine-Krieg: Bundeswehr soll sich „strukturell neu aufstellen“
Es sei an der Zeit, den Afghanistaneinsatz „strukturell und materiell hinter uns zu lassen und uns neu aufzustellen“. Sonst könne man den „verfassungsmäßigen Auftrag und unsere Bündnisverpflichtungen nicht mit Aussicht auf Erfolg umsetzen“, so Mais, der seinem Frust freien Lauf lässt.
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Für die Äußerung gab es im Kommentarbereich Zustimmung, aber auch Kritik. So merkt ein Nutzer an: „Herr Mais, wie vereinbaren Sie es eigentlich mit ihrer Pflicht zur Zurückhaltung bei politischen Äußerungen, in einem laufenden, eskalierenden Konflikt mit eigenen politischen Forderungen unterwegs zu sein?“
Tatsächlich ist ein solch deutlicher Kommentar von einem Bundeswehr-Generalleutnant ungewöhnlich. Trifft aber offenbar einen Nerv. Denn auch aus der Politik mehren sich über die Parteigrenzen hinweg Stimmen, die eine bessere Ausstattung der Streitkräfte fordern. Angesichts der gescheiterten diplomatischen Bemühungen im Vorfeld des Ukraine-Kriegs zeichnet sich ein Umdenken im Umgang mit autoritären Staaten ab.
Lindner fordert mehr Mittel für Bundeswehr
So forderte Bundesfinanzminister Christian Lindner mehr Mittel für die Bundeswehr. „Wir müssen uns mit der Tatsache vertraut machen, dass unsere Streitkräfte seit vielen, vielen Jahren auf Verschleiß gemanagt wurden.“ Die deutsche Politik müsse lernen, „dass auch Bündnisverteidigung eine politische Priorität ist“, sagte Lindner am Donnerstagabend in der Sendung „Maischberger“.
Nach der Finanzplanung der alten Bundesregierung wären die Mittel für die Bundeswehr in den kommenden Jahren gesunken, so Lindner weiter. „Sinkende Verteidigungsausgaben, die passen nicht mehr in die Zeit.“ Für ihn sei schon vor der aktuellen Situation in der Ukraine klar gewesen, „dass die Mittel für die Bundeswehr verstärkt werden müssen“.
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Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, man müsse bei der Finanzierung der Bundeswehr „deutlich mehr machen“.
SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil: Umdenken in der Sicherheitspolitik
Und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sprach von einem Umdenken in der Sicherheitspolitik. „Wir brauchen einen anderen, einen abschreckenderen Umgang mit autoritären Staaten“, so Klingbeil in der ZDF-Sendung „Maybritt Illner“. Das Konzept „Wandel durch Handel“ sei gescheitert, wie man im Umgang mit Russland und auch mit China sehe. Die sicherheitspolitische Debatte werde sich fundamental ändern, wenn es zwei Stunden von Berlin entfernt militärische Auseinandersetzungen gebe. Der Wert von Sicherheit werde eine andere Bedeutung haben. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mehr Geld auch für die Bundeswehr ausgeben müssen“, so Klingbeil. „Es wird jetzt darum gehen, die Bundeswehr zu stärken, die Nato zu stärken, die sicherheitspolitische Debatte zu stärken.“
In der Tat scheint es um das Material, das der Bundeswehr zur Verfügung steht, nicht sonderlich gut bestellt zu sein. Das jedenfalls lässt sich unter anderem aus einem Bericht des Verteidigungsministeriums zur materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr schließen. Demnach sind 77 % der Hauptwaffensysteme einsatzbereit, die Quote bei Kampfflugzeugen liegt bei 71 %, bei Hubschraubern lediglich bei 40 %. Bei der Marine heißt es, weniger als 30 % der Schiffe seien uneingeschränkt einsatzfähig, Probleme gebe es bei der Instandhaltung. Zuletzt sorgten auch Meldungen über nicht einsatzfähige Panzer und Flugzeuge für Schlagzeilen, ebenso wie das mangelbehaftete Sturmgewehr G36 der Bundeswehr.
Wehrbeauftragte zum Ukraine-Krieg: Nicht genug dicke Jacken
Die Wehrbeauftragte Eva Högl beklagt schon fast absurd anmutende Ausrüstungsmängel bei den Bundeswehrsoldaten, die in Litauen auf dem Militärstützpunkt Rukla die russische Armee abschrecken sollen. „Die Soldatinnen und Soldaten müssen sich durch Wald und Feld schlagen, sind lange draußen. Mir haben reihenweise Soldatinnen und Soldaten erzählt, dass sie keinen ausreichenden Kälte- und Nässeschutz haben“, sagte die SPD-Politikerin in einem Zeitungsinterview. Es fehlten dicke Jacken, „aber auch Unterwäsche“.
Lambrecht: „Wir sind ein verlässlicher Partner“
Auch die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer meldete sich zu Wort. Sie sei „wütend auf uns für unseren historischen Fehler“, schrieb sie bei Twitter. Nach den Vorfällen in Georgien und der Krim habe man die Chance verpasst, sich darauf vorzubereiten, Putin abzuschrecken.
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I’m so angry at ourselves for our historical failure. After Georgia, Crimea, and Donbas, we have not prepared anything that would have really deterred Putin.
— A. Kramp-Karrenbauer (@akk) February 24, 2022
Deutlich positiver schätzt Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Situation der Bundeswehr ein, sie sicherte der NATO die volle Unterstützung Deutschlands zu. „Wir sind ein verlässlicher Partner und wir sind auch in der Lage, diesen Worten Taten folgen zu lassen. Das haben wir schon gemacht in Bezug auf die Verstärkung in Litauen, in Bezug auf Air Policing und es wird weiteres folgen. Wir sind dabei, alles vorzubereiten. Deswegen ein klares Bekenntnis: Alliierte können sich auf uns verlassen, da sind wir entsprechend aufgestellt. Das ist überhaupt nicht infrage zu stellen. Und ich kann nur jedem raten, der Verantwortung trägt, alle Kraft momentan darauf zu verwenden, diese Herausforderungen zu erfüllen. Das ist das Gebot der Stunde“, sagte Lambrecht am Donnerstag in Berlin – womöglich auch mit Blick auf die Kritik von Alfons Mais.
Auch aus der CDU-Fraktion gab es Stimmen, die die Einschätzung Heeresinspekteurs nicht teilen. Es stehe gut um die Bundeswehr, wenn auch nicht perfekt, sagte etwa CDU-Politiker Henning Otte, der Mitglied im Verteidigungsausschuss ist.
(mit dpa)
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