Unternehmensberatung: Ingenieurgespräche auf Augenhöhe
Wer sein Know-how einsetzen will, um Menschen und Prozesse in Unternehmen zu entwickeln, ist in der Beratung gut aufgehoben oder coacht. Oft winkt hier ein überdurchschnittliches Einkommen, das aber auch hart erarbeitet wird. Denn fundiertes Technikwissen allein reicht bei Weitem nicht, um beim Kunden zu landen.
In Rudolf Spitzmüllers Unternehmensberatung, der Spitzmüller AG aus Gengenbach in der Nähe von Freiburg, arbeiten Maschinenbauer, Luft- und Raumfahrttechniker, promovierte Biologen und Diplom-Chemiker. Rund 60 % seiner Berater sind Ingenieure. Die Firma mit 42 Mitarbeitern bietet technische Unternehmensberatung und generiert unter anderem staatliche Förderungen, mit denen mittelständische Betriebe ihre Investitionen finanzieren.
„In unseren Beratungsgesprächen sitzt neben dem Kunden und dem Banker einer unserer Spezialisten am Tisch“, erläutert Spitzmüller. Die Anträge für Fördermittel aus den Töpfen von Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium sind reine Bürokratie. Wer hier abgreifen will, muss nach den Regeln der Beamten spielen sowie technische Innovationen beurteilen können. „Nur wer die Technik einwandfrei beherrscht, kann einen Antrag durchbringen“, weiß der Vorstand. Außerdem unterhalten sich Chefs mittelständischer Industriebetriebe gerne mit jemandem, der etwas von Technik versteht. „Wir haben einen direkten Draht zum Kunden“, sagt Spitzmüller.
Um seine Neueinsteiger fit für das Beratungsgeschäft zu machen, hat Spitzmüller ein Weiterbildungskonzept ausgetüftelt. Anfänger arbeiten ein Jahr als Assistent für einen Berater. Montags entwickelt der Mentor mit seinem Schützling einen Wochenplan, einmal in der Woche tauschen sich erfahrene Berater mit Neulingen in einem Meeting aus.
Ingenieure in der Unternehmensberatung: Beziehungskompetenz ist klassische Schwäche
In regelmäßigen Mentorengesprächen reflektieren Chef und Assistent bei einer Wanderung im Grünen ihr Tun. Ein digitales Wissensmanagementsystem nach dem Wiki-Prinzip beinhaltet wichtige Schlagwörter zum Nachlesen und wird von allen Mitarbeitern regelmäßig gepflegt. Die Plattform beinhaltet neben Textbeiträgen kleine Lerneinheiten im Video- oder interaktiven Format. Zu jeder Lernübung ist ein praktisches Beispiel verlinkt. „Die klassischen Schwächen der Ingenieure sind zu 5 % zu viel Liebe zum Detail und zu 60 % Defizite in der Beziehungskompetenz. Der Rest sind persönliche Schwächen“, erläutert Spitzmüller. An diesen Schwächen wird in Seminaren gearbeitet.
Für die Personalrekrutierung hat Spitzmüller eine besondere Strategie. Obwohl Ingenieure stets gefragt sind, unterschätzten Arbeitgeber oft die Kompetenzen der Generation 55plus. Spitzmüller: „Diese Best Ager greife ich gerne ab und qualifiziere sie für die Beratung weiter, das ist eine Win-Win-Situation.“
Lange Arbeitstage müssen Ingenieure in Kauf nehmen. Und sie müssen sich für einen Beraterjob weiterqualifizieren. Lebenslang Lernen, sich stets in Frage stellen und achtsam gegenüber sich selbst und anderen sein – das gehört zur Arbeit eines Beraters oder eines Trainers.
Ingenieure in der Unternehmensberatung haben mehr Freiraum
Wer den Blick von außen detailverliebten Arbeiten vorzieht, wird finanziell belohnt. Nach drei Jahren in seiner Unternehmensberatung, so Spitzmüller, verdienten Berater ein Drittel mehr als ein vergleichbar Qualifizierter in der Industrie. Nach fünf Jahren seien es schon 50 % mehr. Aber nicht nur des Geldes wegen kämen Ingenieure zu ihm: „Da arbeitet man 20 Jahre an der Entwicklung eines Rückspiegels, der dann doch nie kommt. Das ist vielen Angestellten zu theoretisch“, sagt Spitzmüller. In der Beratung habe man es womöglich ebenfalls mit Rückspiegeln zu tun, aber der Blick von außen biete mehr Freiraum und weniger Detailarbeit. „Meine Leute sind froh, dass sie etwas bewegen können. Sie sind keine Rädchen in einer großen Maschinerie“, sagt der Chef.
Der Solar-Großhändler Aton Solar aus Laichingen auf der Schwäbischen Alb arbeitet auch gezielt mit Ingenieuren in der Kundenberatung. Elektroingenieur Hermann Rieger sitzt zu einem Drittel seiner Arbeitszeit in konkreten Beratungssituationen – Tendenz steigend.
Seit sieben Jahren arbeitet Rieger im schnelllebigen Solargeschäft. Sein Arbeitgeber Aton-Solar steht trotz sinkender Handelsmargen gut da. Das schwäbische Unternehmen betätigt sich, weil an Modulen immer weniger zu verdienen ist, mehr und mehr als Energie-Consultant. „Meine Stärke als Ingenieur ist es, individuelle Lösungen zu finden“, ist sich Rieger sicher. In der jungen Branche gebe es kaum standardisierte Systeme für jeden Kundenwunsch. „Wir kombinieren oft verschiedene technische Möglichkeiten miteinander, besonders im Bereich Gebäudeenergieverbrauch schlummern noch viele Potenziale, die mit entsprechender Technik genutzt werden können“, erläutert Hermann Rieger.
Dazu gehört Fachwissen, das sich der Spezialist für erneuerbare Energien vor allem durch Berufserfahrung aneignete. „Ich tue mich schwer damit, einem Kunden etwas zu verkaufen, wenn ich nicht selbst davon überzeugt bin“, sagt der Speicherexperte. Ohne technischen Sachverstand könne man das komplexe Thema kaum an den Mann bringen.
Rieger argumentiert nicht mit Zahlen, wenn er diese nicht selbst nachgerechnet hat. „Das ist manchmal nicht dienlich für das Geschäft, aber ich kann nicht anders.“ Und er weiß, dass es auf manchen Gebieten Sachkundigere gibt. In steuerlichen Fragen schickt der Ingenieur seine Kunden zum Steuerberater.
Ingenieure wissen, wie sie mit Ingenieur-Chefs umgehen müssen
Die Unternehmensberatung Ingenior von Ralf Juhre mit fünf Standorten in Deutschland hilft Firmen, Veränderungsprozesse vorzunehmen. „Veränderungen im Unternehmen sind nur nachhaltig, wenn Chefs ihre Mitarbeiter mitnehmen, bei Ingenieuren ist das eine besondere Herausforderung“, erläutert der Geschäftsführer. Die vier Ingenieure in Juhres Trainerstab wüssten, wie sie mit Ingenieur-Chefs umzugehen haben. „Sie sprechen auf Augenhöhe miteinander“, sagt der gelernte Bankkaufmann.
In der Einführungsrunde eines Seminars zur Firmenkultur müsse ein Seminarleiter erst einmal beweisen, dass er Spezialist auf seinem Gebiet ist. Wenn er das unter Beweis gestellt habe, wird er von den Ingenieuren akzeptiert.
Auf die Frage, warum sich Ingenieure für eine Arbeit als Berater entscheiden, hat Juhre sofort eine Antwort parat: „Man muss sich irgendwann einmal entscheiden, wo der soziale Faktor in der eigenen Arbeit bleibt.“ Der Faktor Mensch sei im Beraterjob gewährleistet.
Einige Ingenieure entscheiden sich nach einer Kündigung oder Insolvenz, sich als Berater selbstständig zu machen. Auch auf die Gefahr hin, dass in der Existenzgründungsphase das Einkommen in den Keller rauscht. „Hat ein Trainer einen Ingenieurhintergrund und coacht ein großes Projekt, hat er sein Industriegehalt schnell erreicht oder übertroffen“, sagt Juhre.
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