US-Wahl – Einfache Formel vs. Big Data: So funktioniert das Prognose-Modell von „Wahl-Orakel“ Allan Lichtman
Seit 1984 sagt Allan Lichtman jedes Ergebnis der US-Wahl korrekt voraus: Dahinter steckt eine simple mathematische Formel.
Seinen Spitznamen wird er wohl nicht mehr los: „Wahl-Orakel“ nennen sie ihn. Dabei wirkt der Historiker und Politologe Allan Lichtman, der an der American University in Washington lehrt, in TV-Interviews keineswegs abgehoben und erst recht nicht esoterisch, sondern höchstwissenschaftlich.
Seit 1984 hat er eine schon beinahe unheimlich anmutend perfekte Trefferquote bei der Voraussage von Wahlausgängen: Vor jeder US-Wahl hat er den jeweiligen Sieger richtig vorherbestimmt.
US-Wahl: Wie funktioniert das Prognose-Modell vom „Wahl-Orakel“?
Was steckt dahinter? Tatsächlich hat Lichtman ein eigenes mathematisches System entwickelt. Seine Prognosen basieren auf 13 Schlüsselindikatoren, den „Keys to the White House“, also den „Schlüsseln zum Weißen Haus“. Kann der Amtsinhaber die Punkte für sich bejahen, bekommt er einen Punkt. Muss er sie verneinen, geht der Punkt an den Herausforderer:
- Parteimandat: Hält die amtierende Partei nach den jüngsten Halbzeitwahlen mehr Sitze im Repräsentantenhaus als vor den Zwischenwahlen?
- Wettbewerb: In der Aufstellung der Partei gibt es keinen ernstzunehmenden Konkurrenten?
- Amtsdauer: Ist der Kandidat der amtierende Präsident?
- Dritte Partei: Es gibt keine Drittpartei.
- Kurzfristige Wirtschaft: Die Wirtschaft befindet sich in keiner Rezession während der Wahlkampfphase.
- Langfristige Wirtschaft: Das reale Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum ist während der gesamten Amtszeit gleich geblieben oder sogar gewachsen.
- Kurswechsel: Es gab einschneidende innenpolitische Änderungen, für die der Amtsinhaber verantwortlich ist.
- Soziale Unruhen
- Skandale: Die Regierung wurde von großen Skandalen verschont.
- Außenpolitische Fehler: Die aktuelle Regierung hat keine schwerwiegenden außenpolitischen Fehler begangen.
- Außenpolitische Erfolge: Die amtierende Regierung hat große Erfolge in der Außenpolitik erzielt.
- Charisma des amtierenden Kandidaten: Der Kandidat ist sehr charismatisch oder wird überaus verehrt.
- Charisma des Herausforderers: Der Kandidat ist nicht charismatisch.
Sprechen mindestens sechs der Schlüssel gegen den amtierenden Kandidaten, wird er verlieren – so die einfache Formel. Was erstaunlich ist: Aktuelle Wahlumfragen, die Meinungen von Experten oder akute Ereignisse wie zum Beispiel Corona oder auch Fernsehdebatten spielen bei dem Rechenmodell keine Rolle.
Und doch lag Lichtman bislang immer richtig – und schneidet damit besser ab als die meisten anderen Analysten wie etwa das Statistik-Portal FiveThirtyEight oder das Meinungsforschungsinstitut Gallup, die auf Big Data und komplizierte Algorithmen setzen.
Meinungsforscher befragen nur „mögliche Wähler“
Ein Grund mag sein, dass Wahlumfragen eben keine Vorhersagen sind. Das erleben wir bei politischen Wahlen immer wieder: Überraschungsmomente, mit denen niemand gerechnet hatte. Denn Umfragen sind letztlich nur Momentaufnahmen, kurzfristige Stimmungsbilder, die sich jederzeit wieder verändern können. Und die Gründe für solche Veränderungen sind so komplex und können so kurzfristig passieren, dass sie schlicht nicht vorhersehbar sind.
Hinzukomme, dass Meinungsforscher eigentlich keine realen Wähler befragen würden, sondern „mögliche Wähler“, so Allan Lichtman in einem Interview mit dem IPG-Journal: „Dieses Konstrukt setzt eine Bewertung voraus, die zu Fehlern führt. Wenn Meinungsforscher von einer Fehlertoleranz von plus oder minus drei Prozent sprechen, ist das lediglich der statistische Fehler. Unberücksichtigt bleiben die Fehler, die sich dadurch einschleichen, dass die Einschätzungen sich auf „mögliche Wähler“ oder auch auf Leute beziehen, die sich noch nicht endgültig entschieden haben oder einfach irgendwas antworten.“
Für die aktuelle Wahl 2020 sagt Lichtman übrigens einen Sieg Joe Bidens voraus.
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