Viele deutsche Unternehmen hinken bei der Digitalisierung hinterher
Der Digitalverband Bitkom hat sich angeschaut, wie die deutsche Wirtschaft mit der Digitalisierung vorankommt. Fazit: Viele wollen, viele hinken aber auch im internationalen Vergleich noch hinterher.
Das klingt erschreckend: Bitkom hat in einer aktuellen Studie festgestellt, dass jedes zweite deutsche Unternehmen noch Probleme mit der Digitalisierung hat. Themen wie künstliche Intelligenz, Datenanalyse und 5G haben den internationalen Wettbewerb angeheizt. Und den deutschen Unternehmen fällt es schwer, Schritt zu halten. Das ergab eine Umfrage unter 606 Unternehmen ab 20 Mitarbeitern im Auftrag von Bitkom.
Unternehmen haben Digitalstrategie, verzetteln sich jedoch in Diskussionen
Sieben von zehn Unternehmen verspüren laut Umfrage mittlerweile einen erhöhten Wettbewerbsdruck durch die Digitalisierung. Dies betrifft sowohl die Konkurrenz aus der IT- und Internetbranche (69 Prozent) als auch aus anderen Branchen (70 Prozent), ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (62 bzw. 59 Prozent). Auch die Herausforderungen der Digitalisierung haben zugenommen: Fast die Hälfte der Unternehmen (48 Prozent) berichtet von Problemen, gegenüber 39 Prozent im Jahr 2023. Trotz dieser Schwierigkeiten verfolgen 91 Prozent der Unternehmen eine Digitalstrategie und 93 Prozent setzen zumindest in Teilbereichen Digitalprojekte um. Zudem sieht sich mehr als ein Drittel (37 Prozent) als Vorreiter der Digitalisierung.
„Wir sehen in vielen Unternehmen verstärkte Bemühungen, die Digitalisierung voranzutreiben. Zu oft bleiben sie aber bei Diskussionen stehen und kommen noch nicht in die Umsetzung. Erfolgreiche Digitalisierung braucht Wissen und Werkzeuge“, sagt Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst. „Jedes einzelne Unternehmen benötigt jetzt eine Kraftanstrengung, um bei der Digitalisierung von der Planung in die Umsetzung zu kommen. Analoge Geschäftsmodelle sind keine Antwort auf einen sich verschärfenden Wettbewerb. Das Management ist gefordert, die Chancen der Digitalisierung zu ergreifen.“
Bremsen äußere Rahmenbedingung die Digitalisierung aus?
Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen sieht sich bei der Digitalisierung durch externe Faktoren gebremst. Zu den Hauptursachen zählen steigende Energiekosten mit 98 Prozent sowie eine fehlende Wachstumsdynamik und Unterbrechungen in der Lieferkette mit jeweils 97 Prozent.
Auch die Inflation und das hohe Zinsniveau wirken sich für 96 Prozent negativ aus. Der Krieg in der Ukraine wirkt sich für 60 Prozent der Unternehmen negativ auf die Digitalisierung aus. Kritik äußern die Unternehmen auch an der Politik: 97 Prozent sehen die Maßnahmen der Bundesregierung und 84 Prozent die der Landesregierungen als hemmende Faktoren.
Gespaltenes Bild bei den Investitionen
Die Einstellung der Unternehmen zu Investitionen in die Digitalisierung zeigt ein gemischtes Bild. Während 7 Prozent der Unternehmen ihre Investitionen in die Digitalisierung deutlich erhöhen wollen, planen 14 Prozent eine leichte Steigerung. Fast die Hälfte, nämlich 48 Prozent, will die Ausgaben auf dem aktuellen Niveau halten.
Dagegen wollen 18 Prozent der Unternehmen ihre Investitionen in die Digitalisierung reduzieren, 12 Prozent sogar deutlich. Trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage und der vielfältigen regulatorischen Eingriffe wertet Bitkom-Chef Wintergerst den Trend zu stabilen bzw. steigenden Digitalinvestitionen insgesamt als positives Zeichen.
Fast alle bauen auf digitale Technologien
Fast alle Unternehmen (98 Prozent) erkennen die entscheidende Rolle von Datenanalysen für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Allerdings setzen nur 37 Prozent Big Data tatsächlich ein, während 48 Prozent die Einführung erwägen oder planen. Dem Internet der Dinge (IoT) messen 93 Prozent eine große Bedeutung bei, aber nur 30 Prozent nutzen diese Technologie, 54 Prozent befinden sich in der Planungs- oder Diskussionsphase.
Bei der 5G-Technologie sehen 92 Prozent eine hohe Relevanz, aber nur 29 Prozent der Unternehmen nutzen sie und 47 Prozent diskutieren oder planen ihren Einsatz. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Robotik (88 Prozent sehen eine hohe Relevanz, 36 Prozent sind Nutzer, 38 Prozent in der Planungs- oder Diskussionsphase) und den autonomen Fahrzeugen (69 Prozent sehen eine hohe Relevanz, 18 Prozent sind Nutzer, 29 Prozent planen oder diskutieren den Einsatz).
Die geringste Diskrepanz zwischen allgemeiner Einschätzung und tatsächlichem Einsatz im Unternehmen besteht bei Virtual und Augmented Reality: 60 Prozent der Unternehmen messen diesen Technologien eine große Bedeutung bei, 29 Prozent setzen sie bereits ein und 31 Prozent befinden sich in der Planungs- oder Diskussionsphase.
Nur 13 Prozent der Unternehmen nutzt künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz (KI) wird von 82 Prozent der Unternehmen als entscheidend für ihre zukünftige Wettbewerbsfähigkeit angesehen, aber nur 13 Prozent setzen sie bereits ein. Weitere 33 Prozent befinden sich in der Planungs- oder Diskussionsphase.
Die Blockchain-Technologie wird, obwohl 70 Prozent ihr eine hohe Bedeutung beimessen, nur von 3 Prozent genutzt, während 23 Prozent ihren Einsatz planen oder diskutieren. Metaverse wird von 44 Prozent als wichtig eingestuft, aber nur von 2 Prozent genutzt oder geplant. Quantencomputern wird von 51 Prozent eine hohe Relevanz zugeschrieben, aber kaum ein Unternehmen setzt sie ein oder befindet sich in der Planungs- oder Diskussionsphase.
„Als rohstoffarmes Land, das noch dazu vor einem gravierenden demographischen Wandel steht, müssen wir stärker als in der Vergangenheit auf digitale Technologien setzen. Gerade Künstliche Intelligenz bietet riesige Chancen und mischt in fast allen Branchen die Karten neu“, so Wintergerst. „Zugleich sind die Einstiegshürden für den Technologie-Einsatz so niedrig wie noch nie. Jedes Unternehmen sollte versuchen, eigene Erfahrungen mit neuen Technologien zu machen. Ziel muss sein, Digitalisierungschancen frühzeitig zu erkennen und zu nutzen.“
Digitalisierung ändert die Geschäftsmodelle
Unternehmen, die mit der Digitalisierung nicht Schritt halten, könnten schon bald vor großen Herausforderungen stehen. Eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent der Unternehmen erlebt bereits eine Veränderung ihres Geschäftsmodells durch die Digitalisierung. Allerdings empfindet fast die Hälfte der Unternehmen die Entwicklung digitaler Produkte und Dienstleistungen als Herausforderung: Für 24 Prozent ist sie eher schwierig, für weitere 24 Prozent sogar sehr schwierig.
Demgegenüber berichten nur 16 Prozent, dass ihnen diese Entwicklung relativ leicht fällt, und nur 4 Prozent finden sie sehr leicht. Wintergerst betont, dass der Einstieg in die Digitalisierung zwar der schwierigste Schritt sei, danach aber enorme Chancen biete: „„Digitalisierung ist kein Zauberwerk und die Einstiegshürden in die digitale Wirtschaft waren wohl noch nie so niedrig wie heute“.
Digitale Produkte oder Dienstleistungen werden für viele Unternehmen zu einer immer wichtigeren Einnahmequelle. 5 Prozent erwarten, dass sie in fünf Jahren mindestens die Hälfte ihres Umsatzes damit erwirtschaften. Rund ein Drittel (32 Prozent) rechnet mit einem Umsatzanteil von 30 bis unter 50 Prozent und rund ein Viertel (26 Prozent) mit 10 bis unter 30 Prozent. Lediglich 13 Prozent gehen von weniger als 10 Prozent aus und nur 1 Prozent erwartet in fünf Jahren keine Umsätze aus digitalen Geschäften. 22 Prozent machen keine Angaben zu ihren Erwartungen.
Wodurch wird die Digitalisierung ausgebremst?
Laut der Bitkom-Umfrage haben die Herausforderungen für Unternehmen im Zusammenhang mit der Digitalisierung zugenommen. Die am häufigsten genannten Probleme sind Datenschutzanforderungen (83 Prozent, Vorjahr 77 Prozent), Fachkräftemangel (78 Prozent, Vorjahr 64 Prozent) und fehlende Zeit für digitale Projekte im Tagesgeschäft (69 Prozent, Vorjahr 54 Prozent). Mehr als die Hälfte der Unternehmen klagt zudem über unzureichende finanzielle Ressourcen (59 Prozent, zuvor 54 Prozent) und hohe Anforderungen an die technische Sicherheit (52 Prozent, unverändert 54 Prozent).
Weitere Hemmnisse sind langwierige Entscheidungsprozesse (41 Prozent), die Nichtverfügbarkeit marktreifer Lösungen (40 Prozent), eine geringe Risikobereitschaft (35 Prozent), der fehlende Austausch mit anderen Unternehmen (29 Prozent), unzureichende Kenntnisse über Best Practices (23 Prozent) und die mangelnde Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (14 Prozent). Demgegenüber ist die Unsicherheit über den wirtschaftlichen Nutzen mit nur 6 Prozent ein geringes Hindernis.
„Fehlende Zeit oder fehlende finanzielle Mittel sollten kein Grund für eine schleppende Digitalisierung sein, hier geht es um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens“, sagt Wintergerst. „Aber auch die Politik sollte ihre Hausaufgaben erledigen. Wir reden seit Jahrzehnten über den Fachkräftemangel, insbesondere in der IT, ohne dass sich etwas verbessert hätte, im Gegenteil. Wir haben zu wenige Fachkräfte, und wir haben zu viel Regulierung.“
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