Wie ein guter Ingenieur ein guter Chef wird
Plötzlich Chef. Doch wie gelingt der Rollenwechsel von der Fach- zur Führungskraft? Gerade ambitionierte Ingenieure sind mit den Spielregeln auf dem Weg nach oben wenig vertraut und scheitern. Vor allem an vermeintlich weichen Faktoren wie Networking oder Aufgabendelegation
Ingenieure mit hervorragenden Karrierechancen kennt Gudrun Happich viele. Wenige hingegen, denen der Sprung in eine Führungsposition geglückt ist. „Es gibt genügend Beispiele, bei denen der Aufstieg schon nach kurzer Zeit scheitert, und der engagierte Leistungsträger diese Position wieder verlässt“, sagt die Chefin des Galileo Instituts für Human Excellence in Köln.
Dabei fängt alles immer so gut an: Leistungsorientierte Ingenieure, berichtet Happich, wollen etwas bewegen, denken mit, haben einen guten Draht zu Mitarbeitern, sind offen und kommunikativ, ehrlich, loyal und bereit, Verantwortung zu schultern.
Doch der Wechsel von der Fach- zur Führungskraft und erst recht ins Topmanagement ist ein überaus kritischer Moment in der Karriere. „Die Anforderungen an eine Führungsrolle werden häufig unterschätzt, und zwar von allen Seiten“, sagt Sandra Fernau, Geschäftsführerin der Management & Technologie Akademie GmbH.
So sieht das auch der Frankfurter Führungskräftetrainer Carsten Hennig: „Meiner Erfahrung nach unterschätzen Ingenieure und technisch ausgebildete Fachkräfte die Bedeutung von weichen Faktoren wie soziale Kompetenzen.“ Denn das technisch-rationale Weltbild gäbe oft klare Strukturen, Wege und Möglichkeiten vor – alles scheint logisch. Bei der Menschenführung helfe das kaum weiter. Und damit gilt es, einen Brocken Arbeit zu bewältigen. Studien zeigten, berichtet Hennig, dass der persönliche Wandlungsprozess, der mit dem Rollenwechsel in die Führungsposition verbunden ist, typischerweise etwa zwei Jahre dauere. „Sich wirklich darauf vorzubereiten, ist relativ schwierig, denn letztlich wird man ja befördert aufgrund von Qualitäten und Eigenschaften, mit denen man sich profiliert hat“, sagt der Trainer.
Jedoch: „Bisherige Stärken schlagen in der neuen Position oft in Schwächen um“, sagt Martin Harder, Geschäftsführer der Managementberatung Praesta Deutschland. Es bestehe die Gefahr, die Unterstützung ehemaliger Kollegen zu verlieren, wenn die bisherige Kompetenz nun arrogant und besserwisserisch wirke. Denn es geht nun nicht mehr darum, selbst zack, zack technische Probleme zu lösen. Das wird allzu oft übersehen. Ganz nach dem Motto: Einmal Ingenieur, immer Ingenieur. „Es gilt zu begreifen, dass das Fachliche in den Hintergrund treten muss und damit die eigene Ingenieurleistung. Jetzt gilt es, das Team und nicht sich selbst zu Höchstleistungen zu führen“, betont Harder. Nebeneffekt: Wer dieses Credo lebt und seinen Mitarbeitern vermittelt, wird sie für sich gewinnen – das baut Widerstände ab und Vertrauen auf. „Wer sich dieser Wahrheit nicht stellt, wird kaum in der Führungsrolle brillieren“, weiß Harder. Es geht um nichts Geringeres als darum, sich neu zu erfinden.
Schon auf dem Weg zum Teamleiter geraten Ingenieure ins Stolpern, da allzu oft der bisherige Arbeits- und Kommunikationsstil beibehalten wird. Doch ein joviales Weiterwursteln hat nichts mit Führen zu tun. „Es bringt nichts, vor den Kollegen so zu tun, als habe sich nichts geändert. Das ist unglaubwürdig und provoziert vielleicht erst recht Neid und Missgunst“, sagt Harder.
Ein klares Bekenntnis zur neuen Rolle, zur gewonnenen Macht und klare Ansagen an das Team sind ein Muss. Außerdem rät Harder zu einer Abkehr vom linearen Denken, das Ingenieuren oft anhafte. „Viele glauben, wenn sie Knopf A drücken, erfolgt die gewünschte Reaktion B“, verdeutlicht er. Doch dem ist nicht so, wie ein frisch gebackener Chef-Ingenieur mit Personalverantwortung für 150 Mitarbeiter erfahren musste: Seine Anweisungen wurden nicht befolgt, weil sie anders verstanden wurden, als sie gemeint waren. „Das Prinzip ‚Stille Post’ hatte zugeschlagen“, berichtet Harder. Der Verblüffte musste lernen, an der Basis präsent zu sein, begreifen, wie seine Mitarbeiter auf der zweiten Führungsebene ticken und Netzwerke aufbauen, statt sich auf alte Seilschaften zu verlassen.
Noch hakeliger wird die Sache, wenn Ingenieure aus der mittleren Führungsebene in die Top-Etage wechseln. „Das gelingt fast nie“, ist die Erfahrung von Gudrun Happich. Bei dieser „zweiten Metamorphose der Führungskraft“, wie sie diesen Schritt nennt, „ist den Führungskräften häufig nicht bewusst, dass sich hier etwas Entscheidendes ändern sollte.“ Nämlich: „Aufsteiger ins Topmanagement sollten nicht nur die dort herrschenden Regeln kennen, sie sollten auch auf deren Klaviatur spielen können“, sagt Happich. „Jetzt stehen Strategien, Beziehungen und Verhandlungen, vor allem auch politisches und taktisches Kalkül im Vordergrund.“
Taktisch unklug ist etwa, den Vorstandskollegen mit einem neuen Vorschlag in der Vorstandssitzung zu überraschen. Besser ist, ihn vorher bei einem gediegenen Mittagessen einzuweihen, rät Happich. Es komme nun nicht nur auf Leistung im Sinne von Inhalten und Problemlösungen an, sondern darüber hinaus gehe es um Leistung im Sinne von „Einfluss und diplomatischer Souveränität“.
Doch selbst, wenn dem frischgebackenen Chef dämmert, dass er nun zum wortgewandten Strategen werden sollte, wehrt er sich oftmals dagegen, weil er sich nicht verbiegen will und derartige Spielregeln einfach unseriös findet. „In der Konsequenz sind diese Leistungsträger noch engagierter, noch klarer, noch undiplomatischer …. und leider auch ganz schnell wieder weg vom Fenster“, bemerkt Happich bündig. Fast jeder zweite eigenverschuldete Karriereknick ließe sich durch eine professionelle Vorbereitung und Begleitung des Rollenwechsels vermeiden, meint Happich, was Unternehmen auch zusehends beherzigten, indem sie ihren neuen Führungskräften Trainer zur Seite stellen. Hoffnungsvoll stimmt da Martin Harders Credo: „Nicht jeder ist ein geborenes Führungstalent. Aber: Man kann es lernen.“ CHRIS LÖWER
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