Onlinhandel in der Industrie 29.03.2023, 12:31 Uhr

Zukunft des B2B-Handels: Warum Industrieunternehmen digitale Vertriebswege brauchen

Immer mehr Industrieunternehmen bemerken, dass die alten analogen Vertriebswege nicht mehr den Anforderungen der heutigen Zeit entsprechen. Wie sieht die Zukunft des B2B-Handels aus? Wir haben darüber mit Sebastian Maurer, dem Gründer und Geschäftsführer von digital.manufaktur gesprochen.

B2B Onlinhandel

Der B2B-Handel wird in Zukunft immer häufiger digital ablaufen.

Foto: Panthermedia.net/aoo3771 (YAYMicro)

Im Privatbereich nimmt der Onlinehandel Jahr für Jahr einen höheren Stellenwert ein, verschiedene B2C-Marken waren die Vorreiter im digitalen Vertrieb. Die Industrie beschäftigte sich hingegen lange Zeit nicht mit diesem Thema. Das hat sich geändert. Seit einigen Jahren häufen sich die Anfragen nach digitalen Lösungen für den Vertrieb. Viele Industrieunternehmen stehen zunehmend unter Druck, da ihre analogen Vertriebsmodelle nicht mehr den heutigen Anforderungen entsprechen. Wir haben uns mit Sebastian Maurer, dem Gründer und Geschäftsführer von digital.manufaktur über die Zukunft des B2B-Handels unterhalten. Unter anderem geht es darum, warum Industrieunternehmen digitale Vertriebswege benötigen.

Herr Maurer, wir alle wissen aus unserem Privatleben, dass der Onlinehandel seit Jahren auf dem Vormarsch ist. Doch wie sieht es im produzierenden Gewerbe aus? Gewinnt der digitale Vertrieb auch hier an Relevanz? 

Sebastian Maurer: Ich beschäftige mich seit rund zwei Jahrzehnten nahezu täglich mit dem Thema Onlinehandel und habe mit meinem Team zahlreiche E-Commerce-Projekte umgesetzt. Während anfangs vor allem die großen B2C-Marken die Vorreiter im digitalen Vertrieb waren, erhalten wir seit einigen Jahren vermehrt Anfragen von Industrieunternehmen. Diese stehen zunehmend unter Druck, da ihr analoges Vertriebsmodell oftmals nicht mehr den Anforderungen ihrer Geschäftskund*innen entspricht.

Inwiefern haben sich die Anforderungen der B2B-Einkäufer:innen in den letzten Jahren verändert?

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S.M.: Sie haben es eingangs bereits erwähnt: In unserem Privatleben ist das Onlineshopping längst zur Normalität geworden. Wir informieren uns online über Produkte, vergleichen Preise und bestellen bequem mit wenigen Klicks das beste Angebot. Diese Kauferfahrung übertragen die Einkäufer*innen auf ihre Berufswelt: Wer privat mit dem Handy einkauft, will im Büro keine Faxe mehr verschicken. Wer zu Hause Preise vergleicht, bezieht auch im Beruf Vergleichsplattformen und Online-Marktplätze wie Amazon Business in die Kaufentscheidung ein.

Wie groß ist der Anteil der Einkäufer:innen, die Online-Kanäle für ihren Beschaffungsprozess nutzen? 

S.M.: Aktuelle Studienergebnisse zeigen, dass bereits über 80 Prozent der B2B-Einkäufer:innen Online-Kanäle für die Informationssuche und Beschaffung von häufig benötigten Produkten mit geringem Warenwert nutzen. Dazu zählen beispielsweise Maschinenzubehör, Werkzeuge und Elektrokleinteile. In der Gruppe der unter 26-Jährigen, der sogenannten “Generation Z”, bestellen sogar über 90 Prozent solche Produkte online. Das bedeutet: Wer die Entscheider:innen von morgen überzeugen will, muss sich heute um zukunftssichere digitale Angebote kümmern.

Erwarten Sie, dass der digitale Handel in Zukunft den seit langem etablierten Vertrieb mit persönlichem Kundenkontakt, z.B. über den Außendienst, ablösen wird? 

S.M.:  Ich bin davon überzeugt, dass Geschäfte auch in Zukunft zwischen Menschen und nicht zwischen Maschinen gemacht werden. Gerade im B2B-Bereich ist der persönliche Kontakt enorm wichtig, um langfristige Geschäftspartnerschaften aufzubauen und zu pflegen. Bei komplexen Maschinen oder anderen hochpreisigen und erklärungsbedürftigen Produkten und Dienstleistungen ist die persönliche Beratung durch kompetente Vertriebsmitarbeiter:innen unersetzlich. In vielen Industrieunternehmen ist es jedoch so, dass der Vertrieb nur einen kleinen Teil seiner Zeit für seine Kernaufgaben – die Betreuung von Stammkunden und die Akquisition von Neukunden –  aufwenden kann. Administrative Tätigkeiten wie die Datenerfassung und die manuelle Auftragsbearbeitung nehmen einen erheblichen Teil der Arbeitszeit in Anspruch. Hier können digitale Werkzeuge eine enorme Effizienzsteigerung bringen. Wenn digitale Tools die administrativen Standardaufgaben übernehmen, haben die hochqualifizierten Mitarbeiter*innen im Vertrieb mehr Zeit für die Tätigkeiten, bei denen der Faktor Mensch im Mittelpunkt steht.

Sebastian Maurer

Sebastian Maurer – Gründer und Geschäftsführer von digital.manufaktur.

Foto: digital.manufaktur

Haben Sie konkrete Beispiele dafür, wie digitale Tools den Vertriebsprozess verbessern können? 

S.M.: Die Einrichtung eines komfortablen Onlineshops mit Self-Service-Portal für jeden Geschäftskunden bietet eine Reihe von Vorteilen. Zum Beispiel ist der Shop rund um die Uhr zugänglich. Die Kund*innen können ihre Bestellung dann tätigen, wenn es für sie passt und sind nicht auf die Arbeitszeiten ihres Ansprechpartners angewiesen. In ihrem persönlichen Kundenportal können die Einkäufer:innen jederzeit Informationen wie Bestellbestätigungen, Rechnungen oder den Versandstatus abfragen, ohne den Kundenservice anrufen zu müssen. Das bedeutet eine erhebliche Zeitersparnis für beide Seiten. Die Automatisierung dieser administrativen Aufgaben setzt neue Kapazitäten frei. In Zeiten des Fachkräftemangels ist das Gold wert.

Sie führen viele Gespräche mit Entscheider:innen in Industrieunternehmen. Wie reagieren diese auf die steigende Nachfrage nach digitalen Informations- und Bestellmöglichkeiten? 

S.M.: Da gibt es noch große Unterschiede zwischen den verschiedenen Unternehmen. Einige sind in der Automatisierung ihrer Prozesse schon sehr weit, andere zögern noch. Die Unternehmen, die den hohen Mehrwert der Digitalisierung erkannt haben, testen bereits neue, digitale Vertriebsmodelle und steigern damit ihre Attraktivität. Dies setzt viele etablierte Unternehmen, die noch keine digitale Vertriebsstrategie haben, unter Druck. Denn die wachsende Zahl an Online-Vertriebskanälen im B2B-Segment erhöht die Markttransparenz und damit den Wettbewerbsdruck in den Bereichen Produktentwicklung, Preispolitik und Kundenservice. Aus meiner Sicht werden digitale Angebote, die einen Mehrwert auf Unternehmens- und Kundenseite schaffen, zur Pflicht, um langfristig am Markt bestehen zu können.

Warum zögern einige Industrieunternehmen noch, den Vertrieb zu digitalisieren? Vor welchen Herausforderungen stehen sie dabei? 

S.M.: Leider sind in vielen Industrieunternehmen die Prozesse noch nicht so digital, wie sie sein sollten. Das wird diese Betriebe aus meiner Sicht in den nächsten Jahren deutlich ausbremsen. Gerade bei etablierten Unternehmen, die schon lange am Markt sind, gibt es viele “Altlasten” im IT-Bereich. Je umfangreicher das bestehende Ökosystem an IT-Systemen ist, desto komplexer gestaltet sich häufig der Modernisierungsprozess. Es bedarf einer Strategie, um Prozesse systematisch zu automatisieren und bestehende Daten zu migrieren. Daneben spielt aber auch der Faktor Mensch eine zentrale Rolle im Digitalisierungsprozess. In vielen Unternehmen muss sich das Mindset ändern. Für die digitale Transformation braucht es die richtigen Leute an Bord.

Wie kann dieser Mentalitätswandel aus Ihrer Sicht umgesetzt werden? 

S.M.: Es liegt in der Verantwortung des Managements, das Team zu schulen und im Veränderungsprozess zu unterstützen. Dazu muss zunächst definiert werden, welche Stakeholder vom Veränderungsprozess betroffen sind. Wir haben vorhin zum Beispiel über den Außendienst gesprochen. Hier reicht es nicht aus, die Mitarbeiter*innen nur fachlich zu schulen. Sie müssen auch den persönlichen Mehrwert der Digitalisierung verstehen und diese nicht als Konkurrenz, sondern als Bereicherung für den Arbeitsalltag erkennen. Die neuen Tools sollen den Außendienst von administrativen Aufgaben entlasten, damit er sich den geschäftskritischen, komplexen Verkaufsaufgaben widmen kann. Die Abgrenzung der Aufgaben, Rollen und Tätigkeiten zwischen der digitalen Vertriebsplattform und dem Außendienst ist dabei entscheidend. Wenn sich beide optimal ergänzen, steigert dies Effizienz, Mitarbeitermotivation und Umsatz.

Erfahrungsgemäß können Entscheidungsprozesse in großen Unternehmen mit vielen Hierarchieebenen sehr lange dauern. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Wettbewerbsfähigkeit im sich schnell verändernden E-Commerce-Markt? 

S.M.: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Komplexe Organisationsstrukturen und lange Entscheidungswege behindern oft die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten. Bei steigendem Wettbewerbsdruck laufen Unternehmen so Gefahr, von der Konkurrenz abgehängt zu werden. Mein Team und ich haben bereits zahlreiche Digitalisierungsprozesse in B2B-Unternehmen begleitet. Gute Erfahrungen haben wir damit gemacht, wenn Unternehmen eine eigene Business Unit gründen, die als interner Dienstleister fungiert. Auf diese Weise kann sich das Unternehmen – zumindest für den Anfang – zugunsten der Umsetzungsgeschwindigkeit von komplexen Strukturen emanzipieren.

Wie sollte ein Unternehmen vorgehen, das in den B2B-E-Commerce einsteigen will? Womit sollte man beginnen? 

S.M.: Das Unternehmen sollte sich zunächst fragen, welche strategischen Ziele es erreichen will. Soll zum Beispiel zunächst nur das Kerngeschäft digitalisiert werden, um bestehende Kund:innen zu binden? Oder soll der digitale Vertriebskanal vor allem der Neukundengewinnung dienen? Ich empfehle, digitale Angebote schrittweise einzuführen. Dazu eignet sich die Definition eines MVP (“Minimal Viable Product”): Welche Kernfunktionen braucht der digitale Vertriebskanal, um live gehen zu können? Viele Unternehmen starten beispielsweise mit einem Shop für Aftermarket-Produkte, also Verschleiß-, Reparatur- und Zubehörteile. Nach dem ersten Launch kann der Onlineshop dann sukzessive skaliert werden. Ein anderes Beispiel sind internationale Konzerne, die sich häufig zunächst auf einen Kernmarkt konzentrieren und ihr Online-Angebot dann schrittweise auf verschiedene Länder ausweiten.

Bisher haben Sie sich vor allem auf das Thema Onlineshop bezogen. Welche weiteren Möglichkeiten gibt es für Industrieunternehmen, den Vertrieb zu digitalisieren?  

S.M.: Onlineshops sind nach wie vor die wichtigste Informationsquelle für Einkäufer:innen, die neue Produkte bestellen wollen. Ausgestattet mit speziellen B2B-Funktionen ist ein Onlineshop ein wichtiges Instrument zur Kundenbindung und Neukundengewinnung. Industrieunternehmen, die erst einmal klein anfangen wollen, können aber beispielsweise zunächst ihr Produktsortiment digitalisieren und mit digitalen Katalogen ihre Marketing- und Vertriebskampagnen verbessern. Auch unterstützende Tools wie digitale Projektmappen, Bestelllisten und Scanneranbindungen können das Kundenerlebnis verbessern.

Sie sprachen gerade von speziellen Funktionen, die ein B2B-Onlineshop haben sollte. Welche sind das? Was unterscheidet einen B2C-Shop von einem B2B-Shop? 

S.M.: Im Hinblick auf die User Experience erwarten B2B-Einkäufer:innen eine ähnlich intuitive Handhabung und Transparenz, wie sie es von B2C-Onlineshops gewohnt sind. Beispielsweise wünschen sie sich genaue Informationen zu Preisen, Verfügbarkeiten und Lieferzeiten. Auch eine ausgefeilte Suchfunktion ist ihnen wichtig. Allerdings funktioniert der B2B-Handel in einigen relevanten Aspekten anders als der B2C-E-Commerce. So sind in Unternehmen häufig mehrere Personen mit unterschiedlichen Budgetverantwortungen und Entscheidungsbefugnissen in den Beschaffungsprozess involviert. Diese Strukturen und Abläufe müssen in einem B2B-Onlineshop möglichst genau abgebildet werden, indem den einzelnen Mitarbeitenden Rollen und Berechtigungen zugewiesen werden können. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass im B2B-Geschäft in den meisten Fällen individuelle Konditionen ausgehandelt werden. Daher ist es wichtig, kundenspezifische Produktkataloge, Preis-, Liefer- und Zahlungsbedingungen im Online-Kundenportal abzubilden.

Meiner Erfahrung nach unterscheiden sich B2C und B2B auch im Bereich des Online-Marketing. Im B2C-E-Commerce wird der Großteil des Umsatzes über SEA und SEO generiert – Google ist dabei ein sehr wichtiger Partner. Viele B2B-Shops sind jedoch passwortgeschützt und nicht bei Google gelistet. Wie schafft es ein solcher Shop, neue Kundinnen und Kunden anzusprechen und zu generieren?  

S.M.: Im Grunde fasst diese Frage alles noch einmal perfekt zusammen. Sicherlich sollten bestimmte Sortimente und vor allem Konditionen nicht öffentlich sein. Diese sind nur über ein Passwort im firmeneigenen Kundenportal einsehbar. Dennoch sind die Sichtbarkeit in Suchmaschinen und ein systematisches Online-Marketing aus meiner Sicht elementar wichtig für den langfristigen Erfolg von B2B-Angeboten. Neue Kundenbeziehungen können – unterstützt durch automatisierte Prozesse – effizient aufgebaut werden. Wichtig wird auch hier sein, dass der Shop durch vielfältige wertvolle Informationen und Werkzeuge auch für Interessenten und Interessentinnen angereichert wird und somit vom reinen Bestellprozess zum digitalen Berater wird.

Kommen wir nun zum Thema Technologie. Welche technischen Aspekte müssen Unternehmen bei einer digitalen Vertriebsstrategie berücksichtigen?

S.M.: Wenn wir Unternehmen bei ihrem Digitalisierungsprozess begleiten, machen wir zunächst eine Bestandsaufnahme: Wie sieht die bestehende IT-Landschaft aus? Welche Systeme (ERP, CRM, PIM etc.) müssen an das neue Shopsystem angebunden werden? Bei der Auswahl des richtigen Shopsystems beraten wir unsere Kund*innen sehr individuell. Das eine perfekte System gibt es nicht, da die Anforderungen je nach Unternehmen und Branche sehr unterschiedlich sein können. Wichtig ist jedoch, auf eine moderne und zukunftssichere Technologie zu achten.

Welche Technologien sollte ein E-Commerce-Tech-Stack beinhalten, um für die Zukunft gut aufgestellt zu sein? 

S.M.: E-Commerce verändert sich ständig. Wir setzen daher auf eine API-First- und Microservice-orientierte Architektur sowie eine Cloud-basierte Infrastruktur. Damit können sich Unternehmen agil an veränderte Marktanforderungen anpassen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist eine gute User Experience. Und zwar nicht nur auf dem Desktop im Büro mit stabiler Internetverbindung, sondern auch auf mobilen Endgeräten und bei geringer Bandbreite. Die Arbeitswelt wird immer mobiler. Einkäufer:innen tätigen Bestellungen nicht mehr ausschließlich am Schreibtisch, sondern immer häufiger auch von unterwegs oder direkt in der Fabrik. Dabei erwarten sie eine ebenso hohe Seitenladegeschwindigkeit und ein genauso reibungsloses Nutzererlebnis wie am PC im Büro. 

Zum Abschluss: Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Punkte, die  Industrieunternehmen aus unserem Gespräch mitnehmen sollten? 

S.M.: Erstens: Um langfristig am Markt bestehen zu können, führt kein Weg an der Digitalisierung des Vertriebs vorbei. Zweitens: In der Beschaffung rückt das Kundenerlebnis in den Vordergrund. Digitale Services sollen einen Mehrwert bieten, um Kund*innen ans Unternehmen zu binden und das Vertriebsteam zu entlasten. Drittens: Das Ganze ist kein Hexenwerk und lässt sich mit einem erfahrenen Digitalisierungspartner an der Seite systematisch umsetzen.

Über digital.manufaktur

Digital.manufaktur mit Sitz in Hannover und Mannheim begleitet namhafte Marken aus ganz Deutschland bei ihrer Digitalisierungsstrategie. Das interdisziplinäre Team aus Entwickler:innen, Designer:innen und Technologie-Expert:innen realisiert dabei seit 2006 erfolgreich zukunftsweisende E-Commerce-Plattformen und Digitalisierungsprojekte.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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